»Außer Allah mischt sich hier niemand ein!«
Öcalan-Prozeß wird am Mittwoch fortgesetzt
Von Silke Barra
»Da würde die Türkei den allerschwersten Fehler begehen«, antwortete der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech auf die Frage nach den Konsequenzen einer Vollstreckung des zu erwartenden Todesurteils gegen den Kurdenführer Abdullah Öcalan.
Paech drückte damit u. a. die Hoffnung aus, daß gegen ein solches Urteil internationaler Druck erwachsen würde. Doch noch bevor der Prozeß für 15 Tage ausgesetzt wurde, noch während weitere Details bekannt wurden, die belegen, daß das Verfahren keinerlei rechtsstaatlichen Standards standhält, wagte Bundeskanzler Gerhard Schröder beim EU-Gipfel in Köln einen Vorstoß: Die Türkei müsse künftig »gleichberechtigt« in den EU-Erweiterungsprozeß einbezogen werden. Unbekannt blieb, ob Schröder diese Forderung an eine friedliche Lösung des Kurdenkontliktes oder auch nur an die Aussetzung der Vollstreckung eines Todesurteils gegen Öcalan geknüpft hat. Ein fatales Signal zu diesem Zeitpunkt!
Bis zum 23. Juni müssen die Verteidiger Öcalans die 16 000seitige Anklageschrift studieren und ihre Abschlußplädoyers vorbereiten. Ihr Antrag, diese, Frist auf einen Monat zu verlängern, wurde abgelehnt. Und nicht nur dieser.
Wesentliche Fragen entscheidet der Krisenstab
Gleich zu Prozeßbeginn hatten. Öcalans Anwälte eine Aussetzung des Verfahrens beantragt, weil es komplett unter der Ägide des eigens dafür eingesetzten Krisenstabs beim Ministerpräsidenten abläuft. Dieses Gremium aus Ministern und Militärs entscheidet über wesentliche Fragen des Verfahrens in letzter Instanz, über die Haft- und Besuchsbedingungen ebenso wie über die Zulassung von Beobachtern. Sämtliche Gespräche Öcalans mit seinen Verteidigern und mit Richtern im Rahmen der Prozeßvorbereitung wurden von maskierten Beamten des Krisenstabes begleitet. Diese degradierten selbst die Richter zu Zuschauern, so daß zwei von ihnen unter Protest den Raum verliesen.
Aber auch der Krisenstab ist an Grenzen gebunden -und hält sich nicht daran. So erklärte er die Insel Inmrall eigens wegen des Prozesses zu militärischen Sperrgebiet. Solches ist jedoch nur bei Naturkatastrophen, größeren Bevölkerungsbewegungen, Nukleaunfällen oder ökonomischen Krisen erlaubt. Möglich ist ein derartiger Verstoß gegen türkisches Recht infolge der in der Verfassung festgeschriebenen Entscheidungsgewalt des Nationalen Sicherheitsrates in allen Fragen. die die »nationale Sicherheit« betreffen.
Die Begründung dafür, daß der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens abgelehnt, wurde, offenbarte weitere Mängel im türkischen Rechtsverständnis. Sie lautete, der Antrag sei bereits bei einer Anhörung am 30. April in Ankara vorgebracht worden. Dort mußte die Verhandlung jedoch abgebrochen werden, weil Zuschauer die Anwälte mit Steinen bewarfen.
Späte Reform der Staatssicherheitsgerichte
Abgelehnt wurde zunächst auch der Antrag, den Prozeß wegen
der angekündigten Verfassungsreform bezüglich der Staatssicherheitsgerichte
auszusetzen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
in Strasbourg festgestellt, daß diese wegen Beteiligung von Militärrichtern
nicht rechtsstaatlichen Standards entsprechen. Er befand dieses Verstoß
gegen das Recht, auf ein faires Verfahren gemäß Artikel 6 der
Europäischen Menschenrechtskonvention. Die türkischen Richter
argumentierten dagegen, der Prozeß werde ohnehin in die Berufung
beim Kassationsgericht gehen, und das sei zivil. Am Freitag endlich beschloß
das Parlament, die Zusammensetzung der Staatssicherheitsgerichte zu ändern.
Künftig soll dem Gremium kein Militär mehr angehören. Auch
im Prozeß gegen Öcalan kann nun ein ziviler Ersatzrichter eingesetzt
werden.
Bisher weigerte sich das Gericht jedoch zu prüfen, inwieweit Öcalan
durch wiederholte Waffenstillstandsangebote zu einer möglichen Lösung
des Konflikts beigetragen hat. Alle kurdischen Organisationen, einschließlich
der PKK, sind längst von der Forderung nach einem eigenen Staat zurückgetreten.
Sie erkennen das Recht der Türkei auf territorale Integrität
an. Also könnte die Hochverratsanklage um den Entwurf der Gefährdung
der „Unteilbarkeit von Staatsgebiet und Staatsvolk“ reduziert werden.
Auch Öcalans jetziges Friedensangebot und seine Entschuldigungen
bei den Kriegsopfern werden als „unaufrichtig“ abgetan. Verbrechen türkischer
Sicherheitskräfte gibt es dagegen angeblich nicht, obgleich der EGMR
solche Verbrechen mehrfach festgestellt hat. So ist zu fürchten, daß
eine Intervention des Strasbourger Gerichts auch im Fall Öcalan keinen
Erfolg haben wird. „Außer Allah mischt sich hier niemand ein“, drohte
der Vorsitzende des Staatssicherheitsgerichtes in Ankara, Turgut Okyay.