Bei einer Hinrichtung Öcalans droht der Ausschluß Ankaras
Der Europarat erinnert die Türkei mit deutlichen Warnungen
an die Verpflichtungen im Rahmen der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Von unserem Korrespondenten REINHOLD SMONIG
STRASSBURG. Die Türkei ist mehr denn je Problemkind Nummer eins der Straßburger Staatenorganisation des demokratischen Europa. Während Menschenrechtsschutz, pluralistische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit das einigende Band unter den 41 Staaten des Europarates darstellen, bleibt Ankara insbesondere im ersten Punkt chronisch hinter den Kriterien zurück. Dementsprechend häufen sich am Straßburger Menschenrechtsgerichtshof die Klagen türkischer Staatsbürger. Schwerste Tatbestände wie Folterungen, Mord, Verschleppung, Willkürjustiz und Zerstörungen sind an der Tagesordnung. Nicht verwunderlich ist daher, daß gegen Ankara derzeit rund 3000 registrierte Beschwerden in Straßburg vorliegen - damit ist die Türkei "Spitzenreiter". Gegen Deutschland liegen 460 registrierte Beschwerden vor, gegen Österreich 411.
Als erster ging das Ministerkomitee, das Exekutivorgan der paneuropäischen Staatenorganisation, in die Offensive. Erstmals veröffentlichte es offiziell eine Zusammenstellung der gegen die Türkei ergangenen Schiedssprüche des Menschenrechtsgerichtshofes. Vier ungeklärte Morde an Kurden waren ebenso darunter wie vier Fälle von Folter sowie Verschleppungen und willkürliche Zerstörungen durch Armee-Einheiten. Damit wurde die Regierung in Ankara zwar nur indirekt, aber für Europaratsverhältnisse so deutlich wie noch nie als Wiederholungstäter angeprangert. Die Europaratsländer sind angehalten, die durch die Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs offenkundig gewordenen Mißstände bei ihren Armee-, Polizei- oder Justizbehörden generell abzustellen, um Wiederholungen zu unterbinden.
Schuß vor den Bug
Auch wenn das Ministerkomitee des "Europa der 41" die in der Türkei gleichzeitig eingeleitete Organisationsreform unter den Sicherheitskräften sowie gewisse Strukturreformen im Justizapparat lobte, war die in Form einer Resolution veröffentlichte Warnung an die Türkei ein deutlicher Schuß vor den Bug.
Zum Auftakt der Sommersitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates folgte nun eine zweite Salve gegen die nach wie vor nicht europaratskonforme Türkei. Am Vorabend der Wiederaufnahme des Prozesses gegen den Anführer der kurdischen Extremistenpartei PKK, Abdullah Öcalan, betonte der Präsident der Parlamentarischen Versammlung, Lord Russell-Johnston, im Falle einer Hinrichtung Öcalans werde der Europarat seine Beziehungen zur Türkei überprüfen.
Die türkische Delegation werde dann wohl aus der Parlamentarischen
Versammlung ausgeschlossen werden, ließ Lord Russel-Johnston durchklingen,
auch wenn dieser zugleich die türkische Entscheidung begrüßte,
in den umstrittenen Staatssicherheitsgerichten künftig die weisungsgebundenen
Militärrichter durch zivile Richter zu ersetzen.