Frankfurter Rundschau 25.6.99
Öcalan-Prozeß geht zu Ende
Von Gerd Höhler
Zuvor hatten die Verteidiger Öcalans am Donnerstag ihre Schlußplädoyers vorgetragen. Sie äußerten dabei Zweifel an der Unabhängigkeit des Gerichts. Die Öcalan-Anwältin Mükrime Tepe bezeichnete das Staatssicherheitsgericht als "politisches Gericht", das nicht unabhängig und unparteiisch sei. Ein anderer Verteidiger, Ahmet Avsar, argumentierte, der PKK-Chef sei rechtswidrig in die Türkei gebracht worden. Öcalan war am 15. Februar von türkischen Agenten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi aufgespürt und entführt worden. Die zwölf Anwälte beschränkten sich auf kurze mündliche Erklärungen. Ihr eigentliches Abschlußplädoyer legten sie dem Gericht in schriftlicher Form vor. Es umfaßt rund 350 Seiten. Unterdessen wies der türkische Staatspräsident Süleyman
Demirel darauf hin, daß mit dem Urteilsspruch des Staatssicherheitsgerichtes
der Öcalan-Prozeß "nicht zu Ende" sei. In einem Gespräch
mit der Zeitung Radikal erinnerte Demirel daran, daß im Fall eines
Schuldspruchs automatisch die Revisionsinstanz eingeschaltet werde. Er
verwies auch auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte,
den Öcalan anrufen könnte, und auf das türkische Parlament,
das eine Hinrichtung ausdrücklich billigen müßte. Demirel,
der als Staatschef einer Exekution ebenfalls zustimmen müßte,
wollte damit offenbar die Möglichkeit andeuten, daß man auf
die Vollstreckung eines Todesurteils verzichten könnte.
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