Goslarsche Zeitung, 25.6.99
Demirel zu Öcalan-Prozeß: Das ist nicht das Ende des Verfahrens Istanbul (dpa) - Der türkische Staatspräsident Süleyman Demirel hat darauf aufmerksam gemacht, daß mit dem Urteil gegen den Chef der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, das Verfahren nicht zu Ende ist. Demirel verwies heute in der türkischen Zeitung "Radikal" auf Revisionsinstanzen, das türkische Parlament und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Das Urteil gegen den Separatistenführer wird in der kommenden Woche erwartet. Die Staatsanwaltschaft wirft Öcalan Hochverrat und zahlreiche Morde an türkischen Soldaten und Zivilisten vor und fordert die Todesstrafe. Das türkische Parlament und der Staatspräsident müßten einer Hinrichtung ausdrücklich zustimmen. In der Türkei ist seit 1984 niemand mehr hingerichtet worden. Öcalan ist seit seiner spektakulären Festnahme in der kenianischen Hauptstadt Nairobi im Februar dieses Jahres auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftiert. Goslarsche Zeitung, 25.6.99 Öcalan macht Türkei für Kurden-Konflikt verantwortlich Mudanya (Reuters) - PKK-Chef Abdullah Öcalan hat in der abschließenden Verteidigungsrede in seinem Hochverratsprozeß die türkische Regierung für den Kurden-Konflikt verantwortlich gemacht. Die kleinsten Hindernisse seitens der Behörden könnten Aufstände wie den der Kurden auslösen, sagte der Gründer der Kurdenguerilla gestern einer Meldung der Nachrichtenagentur Anatolien zufolge. Öcalan warf der Regierung zum ersten Mal seit Beginn des Verfahrens vor, die kurdische Minderheit im Land unterdrückt zu haben. So habe etwa das Verbot der kurdischen Sprache den Konflikt angeheizt. Bundesinnenminister Otto Schily erklärte, eine Vollstreckung der Todesstrafe an Öcalan könne die Aufnahme der Türkei in die EU gefährden. Der Prozeß gegen den Chef der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) war gestern nach zweiwöchiger Unterbrechung fortgesetzt worden. Er findet auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmara-Meer statt. Öcalan sagte vor Gericht, Gesetze wie das Verbot der kurdischen Sprache in den Medien und Schulen hätten die Rebellion der Kurden ausgelöst. Er spreche nicht, um sein Leben zu retten. Er hatte wiederholt angeboten, die PKK zur Niederlegung der Waffen zu bewegen, sollte ihm die Todesstrafe erspart bleiben. Diese war bereits beim Prozeßauftakt von der Staatsanwaltschaft gefordet worden. Schily sagte einem Vorabbericht der "Berliner Morgenpost" zufolge, die Bemühungen der Türkei zum Beitritt in die Europäische Union (EU) könnten durch die Vollstreckung der Todesstrafe an Öcalan empfindlich gestört werden. Es sei im Interesse der türkischen Regierung, die Tür zu Europa nicht zuzuschlagen. Derzeit biete sich der Türkei die historisch einmalige Chance, das Kurden-Problem friedlich zu lösen. Das Urteil gegen Öcalan soll noch im Juni gefällt werden. Die Anklage macht Öcalan für den Tod von 30.000 Menschen während des seit 15 Jahren andauernden Unabhängigkeitskampfes der von ihm gegründeten Kurden-Guerilla verantwortlich. Die Todesstrafe müßte vom Parlament bestätigt werden. Sie ist in der Türkei seit 1984 nicht mehr vollstreckt worden.
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