Spiegel online, 25.6.99
Verfassungsschützer rechnet "mit dem Schlimmsten" Von Nicole Adolph
Am kommenden Dienstag wird das türkische Staatssicherheitsgericht über das Schicksal des Kurdenführers Abdullah Öcalan entscheiden. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE spricht der Präsident des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Rolf Peter Minnier, über die Vorbereitungen der Sicherheitsbehörden und das Gewaltpotential der Kurden. Spiegel Online: Glauben Sie, daß Kurdenführer Abdullah Öcalan zum Tode verurteilt wird? Minnier: Aufgrund des Straftatbestandes, dessen Öcalan angeklagt ist, kann nach türkischem Recht nur die Todesstrafe stehen. Ich glaube, es ist unausweichlich, daß das Todesurteil verhängt wird. Die Frage ist dagegen, ob es zu einer Vollstreckung kommt. Da liegen die eigentlichen Probleme. Spiegel Online: Wie wird die PKK auf dieses Urteil reagieren? Minnier: Die PKK ist darauf vorbereitet. Nach dem Urteil wird es sicherlich Aktivitäten der PKK geben, wie etwa demonstrative Aktionen. Das hat auch damit zu tun, daß die kurdische Frage jetzt in ihrer Endphase ist. Wir müssen damit rechnen, daß es zu Übergriffen vor allem von Jugendlichen kommen kann, die die ganze Zeit schon mit den Füßen scharren und finden, die PKK müsse sich wieder verstärkt in der Öffentlichkeit zeigen. Spiegel Online: Rechnen Sie schon unmittelbar nach der Urteilsverkündung mit Krawallen? Minnier: Nein. Von der PKK bewußt gesteuerte Krawalle erwarten wir erst zu einem späteren Zeitpunkt. Es wäre unklug von der PKK, wenn sie gleich nach dem Urteilsspruch zur Gewaltanwendung zurückkehren würde. Denn das wäre für die weitere Entwicklung des Verfahrens, also für die Behandlung im Parlament und durch den Staatspräsidenten, kontraproduktiv. Das Urteil wird aber zweifellos Solidarität der PKK mit ihrem Vorsitzenden hervorrufen. Spiegel Online: Wieviel Macht hat die PKK in Deutschland? Minnier: Man kann nicht sagen, daß die PKK Macht hat. Aber sie hat natürlich Strukturen, die jederzeit aufgerufen werden können. Durch die Verhaftung Öcalans und den Prozeß hat es jedenfalls kein Abbröckeln in den Strukturen der PKK gegeben. Im Gegenteil: Viele Kurden fühlen die kurdische Sache bei Öcalan immer noch am besten aufgehoben. Es wird der PKK möglich sein, ihre Mitglieder zu mobilisieren und Aktionen auf die Beine zu stellen, die mit Gewalttätigkeiten verbunden sind. Spiegel Online: Rechnen Sie mit dramatischen Vorfällen wie nach der Festnahme Öcalans im Februar, als PKK-Anhänger das israelische Konsulat in Berlin stürmten und mehrere Menschen ums Leben kamen? Minnier: Es gab ja schon sehr martialische Situationen. Zum Beispiel 1993 bei der Besetzung des Generalkonsulats in München mit Geiselnahme oder 1996, als Kurden Autobahn-Blockaden errichteten und Polizeibeamte mit Benzin übergossen. Die PKK kann eine große Bandbreite von Gewalt an den Tag legen. Im Falle der Urteilsvollstreckung müssen wir mit dem Schlimmsten rechnen; türkische Einrichtungen werden da natürlich besonders gefährdet sein. Spiegel Online: Wie hat sich der Verfassungsschutz auf mögliche gewalttätige Aktionen von Kurden vorbereitet? Minnier: Der Verfassungsschutz hat keine Exekutivbefugnisse. Wir sind ein Nachrichtendienst, dessen Aufgabe es ist, die Strukturen der PKK aufzuklären und der Polizei Hinweise darauf zu geben, womit in entsprechenden Situationen zu rechnen ist. Darauf sind wir vorbereitet, indem wir alle unsere Maßnahmen hochgefahren haben. Welche das sind, kann ich hier leider nicht sagen. Spiegel Online: Offensichtlich reichen diese Vorbereitungen nicht aus: Innenminister Schily jedenfalls hat den deutschen Sicherheitsbehörden "besorgniserregende Unkenntnis" über die Strukturen der PKK vorgeworfen. Minnier: Das ist so nicht richtig. Schily hat das damals in Bezug auf Öcalans Festnahme gesagt. Daß diese Nachricht bei den Kurden schneller angekommen ist als bei den deutschen Sicherheitsbehörden, hat ihn betrübt - und da hat er recht. Aber das war eine Konstellation, die sich in dieser Form hoffentlich nicht wiederfinden wird, weil da bestimmte Zufälligkeiten eine Rolle gespielt haben. Spiegel Online: Welchen Beitrag kann die Bundesregierung im Fall Öcalan leisten? Minnier: Mit Öcalan als Person ist der gesamte kurdische Befreiungskampf der letzten 20 Jahre verbunden. Deshalb ist es sehr wichtig, daß die EU und die Bundesrepublik als wesentlicher Teil dieser Union auf die Türkei einwirken. Sie müssen die Türkei davon überzeugen, daß jetzt der richtige Zeitpunkt ist, auf die Kurden zuzugehen. Es muß eine Lösung gefunden werden, damit die Kurden innerhalb der Türkei ihre Autonomie- und Selbständigkeitsvorstellungen verwirklichen können. Die Kurden verlangen ja schon lange keinen eigenen Staat mehr auf türkischen Gebiet, sondern das Respektieren ihrer kurdischen Besonderheiten. Da muß die Türkei noch Einiges leisten. Das Interview führte Nicole Adolph.
|