Berliner Zeitung, 30.6.99
EUROPARAT Der Türkei droht nun der Ausschluß von Sigrid Averesch
Behrendt zeigte sich enttäuscht über das Urteil. "Das Gericht hat eine Chance vergeben", sagte er. Es habe "nicht deutlich gemacht, daß es die Verpflichtungen respektiert, die die Türkei im Europarat eingegangen ist". Er hoffe aber, daß das Parlament in Ankara "politische Reife zeigt und einer Vollstreckung nicht zustimmt". Würde die Todesstrafe nicht vollstreckt und die Türkei sich um eine politische Lösung bemühen, wäre dies nach Einschätzung Behrendts "das richtige Signal auch für eine Mitgliedschaft der Türkei in die EU". Dann solle der Europarat ein Gespräch zwischen Vertretern der türkischen Regierung und der Kurden initiieren, um das Problem zu lösen. Behrendt nannte mehrere Voraussetzungen für eine Aufnahme der Türkei in die EU. So müsse die Regierung anerkennen, "daß die kurdische Minderheit Rechte nach der Minderheitenkonvention des Europarats erhält, etwa die Wahrung der kulturellen Identität". Er forderte auch die Aufhebung des Ausnahmezustands in den südöstlichen Provinzen der Türkei. Behrendt verwies darauf, daß der Europarat ein Überprüfungsverfahren gegen die Türkei in Gang gesetzt und Kritik an der Verletzung von Menschenrechten, an der Folter in Gefängnissen und der Einschränkung der Meinungsfreiheit geübt habe. Er betonte, daß es Anhaltspunkte gebe, daß die türkische Regierung zu Änderungen bereit sei. Als wichtiges Signal nannte Behrendt den Austausch des Militärrichters durch einen Zivilrichter im Öcalan-Prozeß. "In der Regierung Ecevit ist ein Umdenkungsprozeß erkennbar", sagte der Politiker. Er räumte "Versäumnisse" der europäischen Staaten und
ihrer Institutionen bei der Lösung des Kurdenproblems ein. In den
vergangenen Jahren "ist ab zu ein Auge zugedrückt worden", da wirtschaftliche
und militärstrategische Interessen in den Beziehungen zum Nato-Partner
Türkei im Vordergrund gestanden hätten. "Vor allem die amerikanische
Seite hat starken Einfluß genommen", sagte Behrendt. Der Europarat
dürfe aber nicht mit zweierlei Maß messen. "Für Altmitglieder
wie die Türkei muß das gleiche gelten wie für Neumitglieder."
Er führte dabei die Ukraine an. Ihr droht der Ausschluß, falls
sie keine rechtsstaatlichen Reformen in Gang setzt.
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