Frankfurter Rundschau 30.6.99
Des Hochverrats schuldig
Im Wortlaut: Todesurteil gegen Öcalan
Hochverrat lautete die Begründung, mit der das türkische Staatssicherheitsgericht
auf der Gefängnisinsel Imrali am Dienstag PKK-Chef Abdullah Öcalan
zum Tode verurteilte. Gerichtspräsident Türgut Okyay beschuldigte
ihn "terroristischer Aktivitäten". Nachfolgend Auszüge aus der
Urteilsverlesung: "Zum Abschluß des Verfahrens unseres Gerichtshofs
gegen den Angeklagten Abdullah Öcalan haben wir einstimmig entschieden,
ihn zum Tode zu verurteilen nach Artikel 125 des Strafgesetzbuches. Der
Angeklagte hat die bewaffnete terroristische Organisation PKK gegründet
und Aktionen befohlen, die Tausende unschuldige Opfer bewirkt haben und
niemanden verschonten - weder Säuglinge noch Kinder, Frauen, Greise
oder Zivilisten -, um sein Ziel zu erreichen, einen Teil des türkischen
Staatsgebiets abzutrennen und einen sogenannten Kurdenstaat zu gründen.
(...) Das Ausmaß der Aktionen der von dem Angeklagten angeführten
Organisation stellte eine ernste, nahe und offene Bedrohung des türkischen
Staates dar. (...) Hunderte von Aktionen, die von der PKK verübt wurden,
rechtfertigen für sich alleine eine Verurteilung zum Tode. (...) Der
Angeklagte verliert seine Bürgerrechte auf Lebenszeit. Seine Anwälte
haben das Recht, Berufung gegen das Urteil einzulegen." (afp)
Frankfurter Rundschau 30.6.99
PKK-Chef Öcalan zum Tode verurteilt
EU warnt Türkei vor Hinrichtung / Anwälte wollen Straßburger
Gerichtshof anrufen
Von Gerd Höhler
Das türkische Staatssicherheitsgericht von Ankara hat am Dienstag
auf der Gefängnisinsel Imrali den Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei
PKK, Abdullah Öcalan, wegen Hochverrats zum Tod durch den Strang verurteilt.
Öcalans Anwälte wollen dagegen den Europäischen Gerichtshof
für Menschenrechte anrufen. Kurden in vielen Ländern reagierten
mit Protesten. Die EU warnte die Türkei davor, Öcalan hinzurichten.
ATHEN, 29. Juni. Der Vorsitzende des Gerichts, Richter Turgut Okyay, sagte
zur Begründung des Schuldspruchs, Öcalan habe die Abtrennung
eines Teils des türkischen Staatsgebietes durch terroristische Aktivitäten
betrieben und "Tausende unschuldige Menschen ermordet, ohne Rücksicht
darauf, ob es sich um Babys, Kinder, Frauen oder Greise handelte". Er sei
"eine unmittelbare, ernste und große Gefahr für das Land". Daher
könne es keine Strafmilderung, etwa in lebenslange Haft, für
ihn geben. Auf den Tatbestand des Hochverrats, dessen Öcalan angeklagt
war, steht nach Paragraph 125 des türkischen Strafgesetzbuches zwingend
die Todesstrafe. Den Antrag der Verteidiger, Öcalan nur wegen Bildung
einer kriminellen Vereinigung zu verurteilen, was mit 15 Jahren Haft geahndet
werden kann, verwarfen die Richter. Öcalan hatte in einem kurzen Schlußwort
den gegen ihn erhobenen Vorwurf des Hochverrats zurückgewiesen und
gesagt, er kämpfe für die Einheit des Landes und den Frieden.
Er wiederholte seinen Appell zu einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage.
"Die Zukunft unseres Landes liegt im Frieden, nicht im Krieg", sagte Öcalan
und schloß: "Ich wünsche mir, daß dieser Prozeß
dazu beiträgt." Der Fall kommt nun automatisch vor ein Berufungsgericht.
Öcalans Anwälte kündigten an, sie wollten auch den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen. Die Verteidiger
argumentieren unter anderem, Öcalans Verschleppung aus Kenia in die
Türkei im Februar sei rechtswidrig gewesen. Der türkische Ministerpräsident
Bülent Ecevit sagte in einer ersten Stellungnahme, er hoffe, das Urteil
werde sich als glücklich für die Türkei erweisen. Ecevit
gilt als Gegner der Todesstrafe. Seine beiden Koalitionspartner, der Rechtsextremist
Devlet Bahceli und der Nationalliberale Mesut Yilmaz, haben sich jedoch
bereits für ein Hinrichtung Öcalans ausgesprochen. Falls das
Todesurteil in zweiter Instanz bestätigt wird, hat das Parlament über
eine Vollstreckung zu entscheiden. Vollstreckt worden ist die Todesstrafe
in der Türkei seit 15 Jahren nicht mehr. In Bonn bedauerte Innenminister
Otto Schily (SPD) das Todesurteil. Wie Frankreich und Großbritannien
forderte er die Türkei auf, von einer Vollstreckung abzusehen. Auch
die EU-Kommission und der Europarat appellierten an die Türkei, die
Todesstrafe nicht zu vollstrecken. In einer vom Bonner Auswärtigen
Amt verbreiteten Erklärung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
wird ebenfalls verlangt, Öcalan nicht hinzurichten. Die Nichtanwendung
der Todesstrafe gehöre zu den gemeinsamen Werten der Europäischen
Union, der die Türkei beitreten wolle. Die UN-Menschenrechtskommissarin
Mary Robinson beklagte die Mißachtung internationaler Rechtsnormen
im Prozeß. Das türkische Außenministerium verbat sich
aber jede ausländische "Einmischung". Die Führung der PKK rief
zu friedlichem Protest gegen das Urteil auf. In einer Erklärung, die
über die pro-kurdische Nachrichtenagentur DEM verbreitet wurde, sprach
sich der im Exil verstreute Führungsrat für "demokratische und
politische" Proteste aus. In vielen europäischen Städten, darunter
auch Berlin und Frankfurt, gab es Demonstrationen, die jedoch zunächst
bei weitem nicht das Ausmaß der teils gewalttätigen Proteste
nach der Verhaftung Öcalans erreichten.
|