taz, 30.6.1999
Kommentar
Aus dem Urteil sind politische Konsequenzen zu ziehen Am Ende kam es,
wie es kommen mußte. Das türkische Staatssicherheitsgericht
verurteilte den PKK-Chef Abdullah Öcalan zum Tode. Sicherlich, alles
andere wäre eine Überraschung gewesen, doch eben daran war der
Prozeß gegen den PKK-Chef reich. Erst Öcalans demütiger,
fast verzweifelter Auftritt zu Verhandlungsbeginn, der vor allem seine
Anwälte und Anhänger schockierte und brüskierte. Dann sein
geschickter Rollensprung zum Staatsmann, der mit Enthüllungen über
geheime Kontakte zwischen der PKK und diversen türkischen Regierungen
etliche Leute in Ankara in Verlegenheit brachte. Und dann der fast schon
verständnisvoll wirkende Vorsitzende Richter, der den Prozeß
so leitete, daß ihm selbst eine Beobachterdelegation des Europäischen
Parlaments eine faire Verhandlungsführung bescheinigte. Mit all dem
hatte vor Prozeßbeginn niemand gerechnet. Doch am Ende konnten auch
die Richter nicht über ihren Schatten springen. Zu erdrückend
sind die Beweise gegen Öcalan, zu eindeutig die Rechtslage der Türkischen
Republik, und zu sehr haftet ihm in der Öffentlichkeit das Stigma
des Terroristen an. Dennoch scheinen sich einige türkische Politiker
im Laufe des Prozesses von der Meinung verabschiedet zu haben, daß
nur ein toter Öcalan ein guter Öcalan ist. Äußerungen
in den türkischen Medien deuten darauf hin, daß sie zumindest
bereit sind, sein Vermittlungsangebot zu testen - nicht weil sie den PKK-Chef
für besonders vertrauenswürdig halten, sondern weil sie wissen,
daß sonst eine Katastrophe naht: der permanente Bürgerkrieg
in allen Teilen der Türkei, inklusive Städten und Touristenzentren,
geführt von einer führerlosen Organisation. Es wäre eine
politische Entscheidung, Öcalan den Strang zu ersparen. Zu fällen
hat sie entweder das Parlament, das über die Exekution abstimmen muß,
oder Staatspräsident Demirel, der einen Gnadenerlaß unterzeichnen
kann. Ersteres ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Parlament
unwahrscheinlich, zweites hoffentlich noch ein bißchen offen. Europa
kann wenig tun. Auf Druck aus Brüssel wird man in Ankara nur reagieren,
wenn dieser mit einem wirklich lukrativen Angebot verbunden ist - einer
EU-Vollmitgliedschaft. Doch an die glaubt in der Türkei nach jahrelangen
Absagen kaum noch jemand. Öcalan könnte das den Kopf kosten.
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