junge Welt 30.6.99

Todesurteil: Ankara will keinen Frieden 
Türkisches Gericht: PKK-Chef Abdullah Öcalan soll hängen. 

jW-Bericht
Während türkische Truppen beim KFOR-Einsatz an der faktischen Loslösung des Kosovo aus dem jugoslawischen Staatsterritorium teilnehmen, hat das türkische Staatssicherheitsgericht am Dienstag den Chef der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, wegen »Hochverrats« und »Separatismus« einstimmig zum Tode verurteilt. Das Gericht auf der Gefängnisinsel Imrali sprach Öcalan schuldig, die Abtrennung eines Teils des türkischen Staatsgebietes mit »terroristischen Aktivitäten« betrieben zu haben. Der Führungsrat der PKK - seine Mitglieder leben verstreut im Exil - rief nach Verkündung des allgemein erwarteten Urteils zu »demokratischen und politischen Protesten« auf. Auch in mehreren Städten Deutschlands versammelten sich im Laufe des Tages kurdische Demonstranten zu friedlichen Protesten. Mit einer eindringlichen Warnung vor den Folgen des Urteils trat die Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK), der politische Arm der PKK, an die Öffentlichkeit. Ankara habe die kurdischen Aufrufe zu einer »friedlichen Beilegung des Krieges« ignoriert, hieß es in einer in Wien veröffentlichten ERNK-Erklärung. Damit sei eine »historisch wichtige Gelegenheit für eine demokratische Lösung des Kurdenproblems leichtfertig verworfen« worden. Abdullah Öcalan hatte im September 1998 einen einseitigen Waffenstillstand ausgerufen, den die Türkei aber nicht anerkannte. So drangen türkische Truppen während des Krieges der NATO gegen Jugoslawien in einer großangelegten Militäroperation erneut bis in den kurdischen Teil des Irak vor. Der italienische ERNK-Vertreter Ahmet Yaman sprach in Rom von einem »tragischen Urteil«, das »die Unmenschlichkeit des türkischen Regimes« zeige. In der Türkei drohe nun ein »Bürgerkrieg«. Der Präsident des kurdischen Exilparlaments Jasar Kaya sagte einem Mailänder Radiosender, der »Krieg« gegen die Türkei werde »wiederaufgenommen und verstärkt«. Zunächst solle aber die Entscheidung des türkischen Parlaments über die Vollstreckung des Todesurteils abgewartet werden. Mit einer Bestätigung des Urteils durch den Kassationsgerichtshof der Türkei rechnet Öcalans deutscher Anwalt Hans-Eberhard Schultz. »Dann kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg angerufen werden. Und da bin ich recht optimistisch«, sagte Schultz am Dienstag im jW-Interview. Falls sich in der Türkei allerdings die Kräfte durchsetzten, die sich nicht nach einem Strasbourger Urteil richten wollen, sei die Gefahr groß, daß Öcalan tatsächlich hingerichtet werde. Die deutsche Regierung forderte Schultz auf, sich für eine internationale Kurdistan-Konferenz stark zu machen, auf der die PKK und andere kurdische Organisationen vertreten sein müßten. Als nicht richtig bezeichnete er Äußerungen von Vertretern des Europaparlaments, es sei ein fairer Prozeß gegen Öcalan geführt worden. Von Anfang an habe die Unschuldsvermutung nicht gegolten, die Verteidigung Öcalans sei behindert worden. Die Bundesregierung und Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien verlangten eine Aufhebung des Todesurteils. Der Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir allerdings sprach sich dagegen aus, Druck auf Ankara auszuüben.