junge Welt 30.6.99
Kommentar Türkischer Staat versus kurdische Befreiungsfront: Das Todesurteil
gegen den Führer der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan,
ist lediglich ein Ausdruck der Schärfe dieser Auseinandersetzung
und wird daher wohl kaum überraschen. Ob Öcalan aber am Leben
bleibt, wird nicht von der sozialdemokratisch-faschistischen Koalition
unter Ecevit in Ankara entschieden, sondern in Washington und Berlin.
Und das ganz unabhängig davon, ob der Prozeß gegen den Führer
der PKK nun nach »europäischen Rechtstandards« abgelaufen
ist oder nicht. In Europa wie auch am Bosporus werden politische Prozesse
ausschließlich nach dem Opportunitätsprinzip geführt und
entschieden. Allein deswegen hat Abdullah Öcalan auch noch die Chance,
am Leben zu bleiben. Der Mann hat keineswegs, wie der Meutejournalismus
hierzulande nicht müde wurde zu behaupten, »armselig um sein
Leben gebettelt«, er hat dem türkischen Staat, und explizit
der NATO, einen Deal angeboten: Gebt den Kurden Autonomie, gleiche Rechte
für Sprache und Kultur, setzt der sozialen und politischen Diskriminierung
ein Ende - und wir werden Frieden machen. So lautete das Angebot. Nicht
mehr und nicht weniger. Der Vorstoß der imperialistischen Mächte
in Richtung Kleinasien ist mit der Kapitulation des zerbombten Serbien
zunächst einmal zugunsten der NATO aufgegangen. Die weiteren Eroberungspläne
in Richtung Kaukasus und an die Ölfelder vor Baku liegen in den Schubladen
des Pentagon. Der NATO-Staat Türkei spielt in dieser Strategie nicht
nur geographisch eine äußerst wichtige Rolle, sondern er ist
auch militärische Basis und Aufmarschgebiet für weitere Expansionen
der Menschenrechtskrieger. Und für die kommenden Kampfeinsätze
im Namen der Humanität braucht es ein ruhiges Hinterland. Die Chance
der PKK zu bekommen, was Öcalan angeboten hat, und zugleich auch
noch sein Leben zu retten, liegt darin, den bewaffneten Kampf für
soziale und kulturelle Rechte der Kurden weiterzuführen. Frieden
in Kurdistan wird es nur geben, wenn Ankara und der NATO der Kampf gegen
die kurdische Befreiungsbewegung politisch und militärisch zu teuer
wird. Das wissen auch Öcalan und die PKK, das wissen Ankara und Washington.
Gibt Ankara allerdings dem Druck der faschistoiden türkischen Öffentlichkeit
nach und tötet den Kurdenführer, dann haben die Kurden einen
Märtyrer, und Ankara hat kein Faustpfand mehr, das es zur Befriedung
des Problems anbieten kann. Der Kampf wird weitergehen, bis Ankara sich,
womöglich unter Druck der NATO, mit den Kurden an den Verhandlungstisch
setzt.
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