taz Berlin, 30.6.1999
Empörung, Schweigen und Tränen Die 60.000 Kurden in Berlin reagierten mit Entsetzen und Trauer auf
das Todesurteil gegen PKK-Führer Öcalan. Die Proteste, die es
bis zum Abend gab, verliefen friedlich Als im türkischen Fernsehen
Nationalisten aufsprangen, um das Todesurteil zu feiern, hatten die Kurden
genug. Ausschalten, forderten sie. Im türkischen Sender TRT wurde
gestern die Verurteilung des kurdischen PKK-Führers Abdullah Öcalan
auf der Insel Imrali an der türkischen Westküste gefeiert. Nun
soll er wegen Hochverrats gehängt werden. Doch kaum war der Zorn der
Kurden verflogen, wurde es still im kurdischen Kulturzentrum "Koc-Dem"
am Mehringdamm. Entsetzen, Empörung und Trauer machten sich breit.
Betroffen schauten viele auf die Tische und schwiegen. Einige hatten Tränen
in den Augen, manche weinten. Aber es herrschte bis zum Abend Ruhe unter
den etwa 60.000 in Berlin lebenden Kurden. Das war nicht unbedingt zu erwarten,
nachdem Mitte Februar die Verhaftung Öcalans zu Massenprotesten in
ganz Europa und in Berlin zur Besetzung des griechischen und israelischen
Generalkonsulats geführt hatte. Dabei hatten israelische Sicherheitsbeamte
vier Kurden, eine Frau und drei Männer, erschossen. Kurzen Prozeß
hatten auch die Richter Öcalans gemacht: Das Urteil, so meinten fast
alle Kurdinnen und Kurden, stand sowieso von Anfang an fest. Kein Zufall
auch, vermutet Giyasettin Sayan, Vorstandsmitglied der Kurdischen Gemeinde
und PDS-Abgeordneter, daß das Urteil gerade gestern erging: An diesem
Tag hat die türkische Regierung 1925 unter Kemal Atatürk 47 Anführer
eines Kurden-Aufstands hingerichtet. Erst am Abend wollten sich Vertreter
kurdischer Vereine treffen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Bis
dahin waren keine Protestaktionen geplant. Doch einige hielt es nicht auf
ihren Stühlen. Vor dem Abgeordnetenhaus sammelten sich etwa 100 Kurden
und zogen in Richtung SPD-Parteizentrale in der Wilhelmstraße. Auch
eine Kundgebung im kurdischen Kulturzentrum "Koc-Dem" blieb bis zum Abend
friedlich. Nur kurzfristig versammelten sich etwa 70 Kurden am Kottbusser
Damm. "Der Senat ist sich einig, daß dieses Todesurteil abzulehnen
ist", erklärte der Sprecher des Senats, Michael-Andreas Butz. Die
Landesregierung appellierte "besonders an die in Berlin lebenden Kurden,
sich nicht zu unbedachten Aktionen hinreißen zu lassen". Berlin und
Deutschland seien an "den Auseinandersetzungen innerhalb der Türkei
unbeteiligt", betonte Butz. Aber: "Verstöße gegen unsere Rechtsordnung
werden nicht hingenommen." Der Migrationsexperte der Bündnisgrünen
im Abgeordnetenhaus, Riza Baran, kritisierte, daß das Todesurteil
"europäischen Menschenrechtsstandards" widerspreche. Seine Fraktion
rief alle "relevanten politischen Kräfte" dazu auf, "alles zu tun,
damit dieses Todesurteil nicht vollstreckt wird". Der PDS-Politiker Sayan
nannte das Urteil einen "primitiven Racheakt der türkischen Regierung
an der PKK". Damit wolle sie auch das Streben des kurdischen Volkes nach
Selbstbestimmung bestrafen. Es bedeute zudem "politisch die Inkaufnahme
einer weiteren Eskalation des Konfliktes zwischen dem türkischen Staat
und dem kurdischen Volk". Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) plädierte
für die Abschaffung der Todesstrafe und forderte Ankara auf, die Hinrichtung
auszusetzen. Alper Baba, Vorstandsmitglied der Kurdischen Gemeinde, kündigte
gestern an, daß Kurdinnen und Kurden in Europa gegen das "ungerechte
und gesetzwidrige Urteil" protestieren werden - aber "nur im demokratischen
Rahmen", betonte er. Philipp Gessler
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