taz Hamburg, 30.6.1999
"Zeit für den Frieden"
Mehrere hundert KurdInnen protestieren in Hamburg nach dem Todesurteil
gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan in der Innenstadt
Von Elke Spanner
Die Parole "Es lebe Öcalan" hat seit gestern eine neue Bedeutung.
Als rund 100 KurdInnen sich am Vormittag zu einer Demonstration in der
Hamburger Innenstadt versammeln, war soeben in der Türkei das Todesurteil
gegen den PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan gesprochen worden. "Türkei,
Terrorist", heißt es auf der Demontration immer wieder, und "Biji
Öcalan". Es ist eine ungewöhnliche Demonstration. Ungewöhnlich
klein. Und ohne die rot-gelb-grünen kurdischen Farben. Mitte Juni
waren noch 10.000 KurdInnen durch die Innenstadt gezogen, hatten Fahnen
mit dem Portrait Öcalans und Transparente in den kurdischen Farben
geschwenkt. Jetzt gibt es nur ein Transparent am Kopf der Demo: "Nein zur
Todesstrafe" steht darauf und: "Zeit für den Frieden". Vor den Generalkonsulaten
der Türkei, der USA und Großbritanniens halten die KurdInnen
Kundgebungen ab. Dann ziehen sie über die Ost-West-Straße zur
Mönckebergstraße, wo sie sich niedersetzen. Doch die Einkaufsstraße
wird dadurch nicht einmal blockiert, die Busse können weiterfahren.
"Das Urteil ist ein Urteil gegen die Demokratie", sagt ein Sprecher. "Und
es ist ein Urteil gegen eine friedliche Lösung der Konflikte in Kurdistan."
Nachdem sich die Demo an der Mönckebergstraße aufgelöst
hat, treffen sich die KurdInnen kurz darauf auf dem Rathausmarkt wieder.
Im Schutz des Stuttgarter Weinfestes gelangen sie in die Bannmeile und
lassen sich zu einer Sitzblockade nieder. Diesmal jedoch bauen sich mindestens
ebensoviele PolizistInnen vor ihnen auf. Das Tor zum Rathaus wird abgesperrt,
ein Polizist fordert die DemonstrantInnen dazu auf, die Bannmeile zu verlassen.
Was sie nach einer halben Stunde auch tun. Obwohl lange feststand, daß
das Urteil gegen Öcalan gestern gesprochen werden sollte, betonen
die DemonstrantInnen, daß sie sich spontan zusammengefunden hätten.
Damit erkläre sich auch die geringe TeilnehmerInnenzahl, sagt eine
Frau: "Daß Öcalan zum Tode verurteilt wird, stand schon vorher
fest." Anders werde die Mobilisierung sicherlich für den Tag laufen,
an dem das türkische Parlament darüber entscheiden wird, ob das
Todesurteil auch vollstreckt werden soll. Seit 1984 ist in der Türkei
offiziell niemand mehr hingerichtet worden. Erst am späten Nachmittag,
als sich die Demo erneut formiert und vom Volkshaus am Neuen Kamp aus durch
die Innenstadt zieht, werden Plakate mit dem Portrait Öcalans mitgeführt.
Jetzt sind es um die 300 DemonstrantInnen, die für dessen Leben auf
der Straße sind. Nach einer Kundgebung vor dem türkischen Generalkonsulat
an der Moorweide löst sich der Protestzug gegen 19.30 Uhr auf. Morgens
hatten einige GAL-Abgeordnete die Demonstration begleitet. Fraktionschefin
Antje Möller kündigte an, Außenminister Joschka Fischer
brieflich aufzufordern, den Nato-Partner Türkei von der Hinrichtung
Öcalans abzuhalten. An Fischer appellierte auch der Sprecher der DemonstrantInnen:
"Er kann nicht im Namen der Menschenrechte im Kosovo Krieg führen
und andererseits die Türkei in ihrer Kurdenpolitik unterstützen."
Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) erklärte am Nachmittag, "mit
einer Integration der Türkei in die Europäische Gemeinschaft
ist die Todesstrafe nicht vereinbar".
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