Süddeutsche Zeitung, 29.06.99 Berlin-Seite
Polizei will diesmal besser aufpassen
Heute wird das Urteil im Prozeß gegen PKK-Chef Abdullah Öcalan in der Türkei erwartet. „Die Stimmung unter den 50 000 Kurden in Berlin ist sehr angespannt“, sagt Rizan Baran, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Landesschutzpolizeipräsident Gernot Piestert sagt dazu, es seien zwar weder Demonstrationen angemeldet, noch lägen Hinweise auf geplante Gewalttaten vor. Dennoch stehe die Berliner Polizei in höchster Alarmbereitschaft. „Sollte es zu einem Todesurteil kommen, wie es die Anklage fordert, können wir nicht davon ausgehen, daß die gemäßigten Anhänger der PKK die Lage im Griff haben.“ Jeder türkische Gemüsehändler sei dann potentiell gefährdet. Besonders den diplomatischen Vertretungen der Türkei, USA, Griechenlands, Kenias und Israels werde die Polizei „wesentlich mehr Aufmerksamkeit widmen.“ Diese Länder waren im Februar mit der Festnahme von Öcalan in Verbindung gebracht worden. In Berlin wurden damals bei der versuchten Erstürmung des israelischen Generalkonsulats vier Kurden von israelischen Sicherheitsleuten erschossen. Der kurdische PDS-Abgeordnete Giyassettin Sayan glaubt, die deutschen Politiker würden übertreiben, wenn es um die Gewaltbereitschaft der Kurden ginge. „Die Kurden sind ein Volk, das sehr nüchtern reagiert, besonders in Situationen, in denen es so hart getroffen wird wie jetzt“, sagt er. Annett Bender, Mitarbeiterin der Informationsstelle Kurdistan ist der Meinung, daß die meisten Berliner Kurden auf ein Todesurteil gegen Öcalan eingestellt seien. „Wirklich wesentlich wird aber die Entscheidung des türkischen Parlaments sein, die vermutlich ein bis zwei Monate nach dem Revisionsverfahren getroffen wird.“ Auf diesen Tag würden alle genau achten, so Bender. „Dann stellt sich heraus, ob die türkische Regierung zu einem Dialog bereit ist, oder ob es zu einer Verschärfung des Konflikts kommt.“ Für heute, schätzt Bender, sei wahrscheinlich nicht mit Demonstrationen zu rechnen. Viele Kurden stellten sich die Frage, ob es nicht einen Weg in den Frieden geben könne. Gemeinsam werde überlegt und nächtelang diskutiert, wie es weitergehen soll. Auch heute abend treffen sich alle Gruppen in einem kurdischen Elternverein. Viele Kurden fürchten, daß rechtsradikale Türken sie
nach dem Urteil provozieren könnten. Erst vor wenigen Wochen waren
nach einem Fußball-Länderspiel zwischen der Türkei und
Finnland junge Türken und Kurden aneinandergeraten. Damals hatten
einige Türken, offenbar aus dem Umfeld der rechtsradikalen „Grauen
Wölfen“, mit einem Autokorso am Kottbusser Tor mit hochgerissenen
Armen und dem Wolfszeichen triumphierend ihren Sieg gefeiert. SZ
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