Leipziger Volkszeitung 2.7.99
Kurden-Demonstrationen - Verfassungsschutz: Ventil für Jugendliche Hannover (dpa) - Nach dem Todesurteil gegen PKK-Führer Abdullah Öcalan ist die verbotene kurdische Arbeiterpartei nach Einschätzung des niedersächsischen Verfassungsschutzes zu einer Doppelstrategie übergegangen. Offiziell werde weiterhin der gewaltfreie Protest gegen das Urteil verfolgt, gleichzeitig aber habe die Organisation auch «Ventile für militante Jugendliche» geöffnet, sagte Verfassungsschutzsprecher Rüdiger Hesse am Donnerstag in Hannover. Auf diesem Wege wolle die PKK-Führung verhindern, daß sich bestimmte Strömungen abspalteten. In mehreren Städten gingen erneut einige hundert Kurden auf die Straße, um für Öcalan zu demonstrieren. Etwa 300 Kurden protestierte in Berlin vor dem Roten Rathaus gegen das Todesurteil für PKK-Chef Öcalan. Mehrere hundert Demonstranten zogen mit Transparenten durch Hamburg und Kiel. Rund 200 Öcalan-Anhänger protestierten vor der Bremischen Bürgerschaft. Ohne Zwischenfälle demonstrierten auch 200 Kurden in der Innenstadt Hannovers. Auch in der Nacht zum Donnerstag waren in mehreren Städten Deutschlands Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen verübt worden. Menschen wurden nicht verletzt. Rund 50 000 Mark Sachschaden entstanden bei einem Anschlag in Baden-Württemberg. Unbekannte hatten dort in Rietheim-Weilheim bei Tuttlingen zwölf Autos eines türkischen Gebrauchtwagenhändlers angezündet. Hesse sagte, das Todesurteil gegen Öcalan sei in der PKK mit «großer Emotionalität und Betroffenheit» aufgenommen worden. Zwar distanziere sich die PKK-Führung von den Gewalttaten der «jugendlichen Hitzköpfe», dennoch müsse sie sich Fragen gefallen lassen, sagte Hesse. «Sie fragen die Führung, was ihnen der gewaltfreie Widerstand der vergangenen Monate gebracht hat. Die Stimmung ist sehr aggressiv.» Zum Teil seien die häufig in Deutschland aufgewachsenen militanten Jugendlichen in der Jugendorganisation der PKK, der «Union der Jugendlichen aus Kurdistan» (YCK) organisiert. Die Brandanschläge in der Nacht zum Donnerstag gingen überwiegend glimpflich ab. In Stuttgart flogen mehrere Brandsätze auf die Eingangstür eines türkischen Lokals, die jedoch von alleine erloschen. In Düsseldorf schlugen Unbekannte die Scheibe eines türkischen Kulturvereins ein und versuchten einen Brandsatz in das Gebäude zu werfen. Er erlosch auf der Fensterbank. In Dortmund wurde ein Brandsatz auf eine türkische Teestube geworfen, das Feuer konnte schnell gelöscht werden. Zwei Tatverdächtige wurden festgenommen. In Eitorf und in Troisdorf im Rhein-Sieg-Kreis wurden türkische Kaffeehäuser mit brennenden Flaschen beworfen. Es entstand nur geringer Schaden am Gebäude. Im niedersächsischen Vechta brannte das Clubheim eines türkischen Sportvereins aus. In Bremen wurden zwei nach Anschlägen auf drei türkische Reisebüros
festgenommene Kurden am Donnerstag nachmittag wieder auf freien Fuß
gesetzt. Ein Amtsgericht lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf einen
Haftbefehl gegen die 19 und 20 Jahre alten Männer ab. Der Richter
sah keinen dringenden Tatverdacht. Mehrere Menschen mußten aus über
den Reisebüros liegenden Wohnungen gerettet werden. Im Zusammenhang
mit vier Anschlägen in Wuppertal konnte die Polizei nach Hinweisen
von Zeugen drei Türken kurdischer Abstammung im Alter zwischen 21
und 28 Jahren festnehmen.
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