PKK-Chef wieder ohne Anwälte
Öcalan-Verteidiger fürchten um ihr Leben und lassen Mandat
ruhen
Die Anwälte von PKK-Chef Abdullah Öcalan lassen ihr Mandat
ruhen, weil sie um ihr Leben fürchten. Es sei ihnen nicht möglich,
weiter als Verteidiger des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)
zu fungieren, erklärte einer der 16 Anwälte, Ahmet Zeki Okcuoglu,
am Freitag in Istanbul. »Ich könnte ermordet werden, und nicht
nur ich: Meine Familie hat auch Drohungen erhalten.« Okcuoglu verlangte,
die USA sollten für die Sicherheit beim Prozeß gegen Öcalan
sorgen. Nur dann würden die Anwälte ihr Mandat wieder aufnehmen.
Vor und nach dem ersten Besuch bei Öcalan auf der Gefängnisinsel
Imrali am Donnerstag waren die Anwälte von rechten Demonstranten angegriffen
worden. Bei dem nur zwanzigminütigen Gespräch zwischen den Anwälten
und Öcalan selbst waren nach Angaben der Juristen maskierte Sicherheitsbeamte
im Raum; zudem sei das ganze Gespräch protokolliert worden. Einzig
gestatteter Gesprächsgegenstand: der Gesundheitszustand des PKK-Chefs.
Einer der Öcalan-Anwälte, Osman Baydemir, wurde auf dem Weg
zur Pressekonferenz in Istanbul festgenommen - auf Antrag des Staatssicherheitsgerichtes
in Diyarbakir. Baydemir ist auch stellvertretender Vorsitzender des türkischen
Menschenrechtsvereins. Gründe wurden zunächst nicht genannt.
taz 27.2.1999
Öcalans Anwälte erleben den Rechtsstaat à la Türkei
Ein Anwalt Öcalans festgenommen, der andere gibt auf massiven
Druck hin sein Mandat zurück. Anwaltsgespräche mit dem PKK-Chef
vom Haftrichter aufgezeichnet
Istanbul (taz) - „Wir werden die Verteidigung Abdullah Öcalans
nicht übernehmen. Wir werden mit dem Tode bedroht. Wir sind in Lebensgefahr.“
In einem emotional hoch aufgeladenen Auftritt gab gestern der Anwalt Ahmet
Zeki Okcuoglu bekannt, daß er sich unter den gegebenen Umständen
nicht in der Lage sieht, die Verteidigung von PKK-Chef Öcalan zu übernehmen.
Sein Kollege Osman Baydemir konnte sich selbst dazu nicht mehr äußern.
Er wurde auf dem Weg zur Pressekonferenz festgenommen, unter welcher Beschuldigung,
blieb zunächt unbekannt.
Ahmet Zeki Okcuoglu war am Donnerstag erstmals mit Abdullah Öcalan,
der seit dem 16. Februar auf der Insel Imrali gefangengehalten wird, zusammengetroffen.
Nach Aussagen des Anwalts entsprach dieses Treffen in keiner Weise den
Umständen, die ein fairer Prozeß gebieten würde.
Nicht nur ein Haftrichter sei anwesend gewesen, was nach den Vorschriften
noch legal gewesen wäre. Auch zwei maskierte Soldaten und ein
Sekretär des Haftrichters, der das Gespräch zwischen den Anwälten
und Abdullah Öcalan aufzeichnete, überwachten das Gespräch.
Öcalan habe 20 Minuten mit ihnen gesprochen und sich dabei erkundigt,
wie die Reaktionen auf seine Festnahme seien. Er sei von der Außenwelt
vollständig abgeschnitten. Okcuoglu berichtete, daß Öcalan
sich rund um die Uhr in dem Verhörraum aufhalten müsse. Der Anwalt
forderte, den PKK-Chef in ein normales Gefängnis zu bringen.
Über die Aussagen, die Öcalan nach Angaben der Staatsanwaltschaft
bisher gemacht hat, sei nicht gesprochen worden. Öcalan habe einen
„matten, unkonzentrierten“ Eindruck gemacht und seine Gesprächspartner
kaum angeschaut. Nach 20 Minuten habe er das Gespräch von sich aus
abgebrochen.
Öcalan habe sie gefragt, ob sie ihn verteidigen würden. Eine
förmliche Bevollmächtigung habe nicht stattfinden können,
weil diese von einem Notar hätte beglaubigt werden müssen. Die
Entscheidung der Anwälte, von der Verteidigung Öcalans zurückzutreten,
fiel offenbar vor allem unter dem Eindruck physischer Bedrohung. Zweimal
wurden sie in den letzten Tagen im Küstenort Mudanye, von wo man nach
Imrali übersetzt, von aufgestacheltem Mob angegriffen. Ihr Auto wurde
mit Steinen beworfen. Sie erhielten Todesdrohungen. „Der türkische
Staat“, so Okcuoglu, „will uns nicht schützen.“ Niemand könne
unter diesen Umständen von einem fairen Prozeß sprechen.
Wie nun ein Rechtsbeistand für Öcalan gewährleistet
werden kann, ist unklar. Wenn sich tatsächlich kein Verteidiger mehr
findet, wird das Gericht einen Pflichtverteidiger beiordnen. Offiziell
ist das Verhör Öcalans jetzt abgeschlossen, bis Mitte April soll
die Anklage zusammengestellt werden. Ein Termin für den Prozeßbeginn
steht noch nicht fest.
Jürgen Gottschlich
Frankfurter Rundschau, 27.02.1999
Türkei
Anwalt Öcalans verhaftet
ANKARA, 26. Februar (ap/dpa). Einer der türkischen Anwälte
des inhaftierten kurdischen PKK-Chefs Abdullah Öcalan hat am Freitag
sein Mandat niedergelegt, weil er um sein Leben und um das seiner Familie
fürchtet. Ahmet Zeki Okcuoglu sagte, er sehe sich der „Gefahr der
Lynchjustiz“ ausgesetzt, solange die türkischen Behörden ihm
nicht Leib und Leben garantierten.
Ein weiterer Anwalt Öcalans, Osman Baydemir vom Türkischen
Menschenrechtsverein, wurde unterdessen verhaftet. Die türkischen
Polizisten hätten sich dabei auf frühere Haftbefehle wegen Verbindungen
zur PKK berufen, hieß es. Wie schon am Vortag wurden die Anwälte
von aufgebrachten türkischen Nationalisten massiv bedroht. Nach Angaben
Okcuoglus sind auch andere Öcalan-Verteidiger zur Niederlegung ihres
Mandats gedrängt worden.
Bei einem Überfall in der Südosttürkei wurden drei Menschen
getötet, wie die halbamtliche Nachrichtenagentur Anatolia meldete.
PKK-Anhänger wurden dafür verantwortlich gemacht. Das türkische
Verfassungsgericht verbot am Freitag die vor zwei Jahren gegründete
prokurdische Demokratische Massenpartei (DKP).
Die Türkei hat auch 1998 wieder gegen
Menschenrechte verstoßen. Das geht aus dem am Freitag veröffentlichten
Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums hervor. Darin wird
auf Folter, Tötungen von Gefangenen und Verschwindenlassen von Menschen
hingewiesen.
Frankfurter Rundschau, 27.02.1999
[FR-Kommentar]
Straf-Prozeß
Ein ordentliches Verfahren gegen Abullah Öcalan findet nicht statt
Von Karl Grobe
Die türkische Presse ist seit Tagen randvoll mit Auszügen
aus angeblichen Geständnissen Abdullah Öcalans, mit Berichten
über Aussagen, die er auf der jetzt unzugänglichen Insel Imrali
gemacht haben soll. Über die begleitenden Umstände der Aussagen
ist nichts bekannt, auch nicht darüber, wie sie in die Massenmedien
gelangt sind. Seine Anwälte hat er erst nach Tagen sprechen dürfen,
und zwar genau zwanzig Minuten lang.
Das Gespräch, das vermutlich doch der Verteidigung dienen sollte,
ist von maskierten Sicherheitsbeamten im Raum kontrolliert worden. Es wurde
auch protokolliert. Einer der 16 Anwälte, Osman Baydemir, ist auf
Veranlassung des Staatssicherheitsgerichts festgenommen worden. Andere
werden mit Morddrohungen, auch gegen ihre Familien, eingeschüchtert.
Daß sie ihr Mandat ruhen lassen, ist konsequent. Ein ordentlicher
Prozeß findet nicht statt, das Verfahren ist selbst, schon in der
Vorbereitung, Bestandteil der Strafe, ein Straf-Prozeß.
Wäre dies ein ordentliches Verfahren, so müßte selbst
für den PKK-Führer Abdullah Öcalan die juristische Unschuldsvermutung
bis zum Beweis des Gegenteils gelten, so schwer das fällt. Mit solchen
Feinheiten, mit den (von der Türkei unterschriebenen) Grundsätzen
der Menschenrechte hält sich die Rachejustiz nicht auf. Staatspräsident
Süleyman Demirel fällt ihr nicht in den Arm. Regierungschef
Bülent Ecevit kostet den Triumph für den erhofften Wahlsieg aus.
Der eine führte einmal die „Gerechtigkeitspartei“. Der andere nennt
sich „Sozialdemokrat“. Ach, diese Fremdworte!