junge Welt 27.02.1999

PKK-Chef wieder ohne Anwälte
Öcalan-Verteidiger fürchten um ihr Leben und lassen Mandat ruhen

Die Anwälte von PKK-Chef Abdullah Öcalan lassen ihr Mandat ruhen, weil sie um ihr Leben fürchten. Es sei ihnen nicht möglich, weiter als Verteidiger des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu fungieren, erklärte einer der 16 Anwälte, Ahmet Zeki Okcuoglu, am Freitag in Istanbul. »Ich könnte ermordet werden, und nicht nur ich: Meine Familie hat auch Drohungen erhalten.« Okcuoglu verlangte, die USA sollten für die Sicherheit beim Prozeß gegen Öcalan sorgen. Nur dann würden die Anwälte ihr Mandat wieder aufnehmen.
Vor und nach dem ersten Besuch bei Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali am Donnerstag waren die Anwälte von rechten Demonstranten angegriffen worden. Bei dem nur zwanzigminütigen Gespräch zwischen den Anwälten und Öcalan selbst waren nach Angaben der Juristen maskierte Sicherheitsbeamte im Raum; zudem sei das ganze Gespräch protokolliert worden. Einzig gestatteter Gesprächsgegenstand: der Gesundheitszustand des PKK-Chefs.
Einer der Öcalan-Anwälte, Osman Baydemir, wurde auf dem Weg zur Pressekonferenz in Istanbul festgenommen - auf Antrag des Staatssicherheitsgerichtes in Diyarbakir. Baydemir ist auch stellvertretender Vorsitzender des türkischen Menschenrechtsvereins. Gründe wurden zunächst nicht genannt.


taz  27.2.1999
Öcalans Anwälte erleben den Rechtsstaat à la Türkei
Ein Anwalt Öcalans festgenommen, der andere gibt auf massiven Druck hin sein Mandat zurück. Anwaltsgespräche mit dem PKK-Chef vom Haftrichter aufgezeichnet
Istanbul (taz) - „Wir werden die Verteidigung Abdullah Öcalans nicht übernehmen. Wir werden mit dem Tode bedroht. Wir sind in Lebensgefahr.“ In einem emotional hoch aufgeladenen Auftritt gab gestern der Anwalt Ahmet Zeki Okcuoglu bekannt, daß er sich unter den gegebenen Umständen nicht in der Lage sieht, die Verteidigung von PKK-Chef Öcalan zu übernehmen. Sein Kollege Osman Baydemir konnte sich selbst dazu nicht mehr äußern. Er wurde auf dem Weg zur Pressekonferenz festgenommen, unter welcher Beschuldigung, blieb zunächt unbekannt.
Ahmet Zeki Okcuoglu war am Donnerstag erstmals mit Abdullah Öcalan, der seit dem 16. Februar auf der Insel Imrali gefangengehalten wird, zusammengetroffen. Nach Aussagen des Anwalts entsprach dieses Treffen in keiner Weise den Umständen, die ein fairer Prozeß gebieten würde.  Nicht nur ein Haftrichter sei anwesend gewesen, was nach den Vorschriften noch legal gewesen wäre.  Auch zwei maskierte Soldaten und ein Sekretär des Haftrichters, der das Gespräch zwischen den Anwälten und Abdullah Öcalan aufzeichnete, überwachten das Gespräch.
Öcalan habe 20 Minuten mit ihnen gesprochen und sich dabei erkundigt, wie die Reaktionen auf seine Festnahme seien. Er sei von der Außenwelt vollständig abgeschnitten. Okcuoglu berichtete, daß Öcalan sich rund um die Uhr in dem Verhörraum aufhalten müsse. Der Anwalt forderte, den PKK-Chef in ein normales Gefängnis zu bringen.
Über die Aussagen, die Öcalan nach Angaben der Staatsanwaltschaft bisher gemacht hat, sei nicht gesprochen worden. Öcalan habe einen „matten, unkonzentrierten“ Eindruck gemacht und seine Gesprächspartner kaum angeschaut. Nach 20 Minuten habe er das Gespräch von sich aus abgebrochen.
Öcalan habe sie gefragt, ob sie ihn verteidigen würden. Eine förmliche Bevollmächtigung habe nicht stattfinden können, weil diese von einem Notar hätte beglaubigt werden müssen. Die Entscheidung der Anwälte, von der Verteidigung Öcalans zurückzutreten, fiel offenbar vor allem unter dem Eindruck physischer Bedrohung. Zweimal wurden sie in den letzten Tagen im Küstenort Mudanye, von wo man nach Imrali übersetzt, von aufgestacheltem Mob angegriffen. Ihr Auto wurde mit Steinen beworfen.  Sie erhielten Todesdrohungen. „Der türkische Staat“, so Okcuoglu, „will uns nicht schützen.“ Niemand könne unter diesen Umständen von einem fairen Prozeß sprechen.
Wie nun ein Rechtsbeistand für Öcalan gewährleistet werden kann, ist unklar. Wenn sich tatsächlich kein Verteidiger mehr findet, wird das Gericht einen Pflichtverteidiger beiordnen.  Offiziell ist das Verhör Öcalans jetzt abgeschlossen, bis Mitte April soll die Anklage zusammengestellt werden. Ein Termin für den Prozeßbeginn steht noch nicht fest.
Jürgen Gottschlich


Frankfurter Rundschau, 27.02.1999
Türkei
Anwalt Öcalans verhaftet
ANKARA, 26. Februar (ap/dpa). Einer der türkischen Anwälte des inhaftierten kurdischen PKK-Chefs Abdullah Öcalan hat am Freitag sein Mandat niedergelegt, weil er um sein Leben und um das seiner Familie fürchtet. Ahmet Zeki Okcuoglu sagte, er sehe sich der „Gefahr der Lynchjustiz“ ausgesetzt, solange die türkischen Behörden ihm nicht Leib und Leben garantierten.
Ein weiterer Anwalt Öcalans, Osman Baydemir vom Türkischen Menschenrechtsverein, wurde unterdessen verhaftet. Die türkischen Polizisten hätten sich dabei auf frühere Haftbefehle wegen Verbindungen zur PKK berufen, hieß es. Wie schon am Vortag wurden die Anwälte von aufgebrachten türkischen Nationalisten massiv bedroht. Nach Angaben Okcuoglus sind auch andere Öcalan-Verteidiger zur Niederlegung ihres Mandats gedrängt worden.
Bei einem Überfall in der Südosttürkei wurden drei Menschen getötet, wie die halbamtliche Nachrichtenagentur Anatolia meldete. PKK-Anhänger wurden dafür verantwortlich gemacht. Das türkische Verfassungsgericht verbot am Freitag die vor zwei Jahren gegründete prokurdische Demokratische Massenpartei (DKP).
Die Türkei hat auch 1998 wieder gegen
Menschenrechte verstoßen. Das geht aus dem am Freitag veröffentlichten Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums hervor. Darin wird auf Folter, Tötungen von Gefangenen und Verschwindenlassen von Menschen hingewiesen.
Frankfurter Rundschau, 27.02.1999
 
 

[FR-Kommentar]
Straf-Prozeß
Ein ordentliches Verfahren gegen Abullah Öcalan findet nicht statt
Von Karl Grobe
Die türkische Presse ist seit Tagen randvoll mit Auszügen aus angeblichen Geständnissen Abdullah Öcalans, mit Berichten über Aussagen, die er auf der jetzt unzugänglichen Insel Imrali gemacht haben soll. Über die begleitenden Umstände der Aussagen ist nichts bekannt, auch nicht darüber, wie sie in die Massenmedien gelangt sind. Seine Anwälte hat er erst nach Tagen sprechen dürfen, und zwar genau zwanzig Minuten lang.
Das Gespräch, das vermutlich doch der Verteidigung dienen sollte, ist von maskierten Sicherheitsbeamten im Raum kontrolliert worden. Es wurde auch protokolliert. Einer der 16 Anwälte, Osman Baydemir, ist auf Veranlassung des Staatssicherheitsgerichts festgenommen worden. Andere werden mit Morddrohungen, auch gegen ihre Familien, eingeschüchtert. Daß sie ihr Mandat ruhen lassen, ist konsequent. Ein ordentlicher Prozeß findet nicht statt, das Verfahren ist selbst, schon in der Vorbereitung, Bestandteil der Strafe, ein Straf-Prozeß.
Wäre dies ein ordentliches Verfahren, so müßte selbst für den PKK-Führer Abdullah Öcalan die juristische Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils gelten, so schwer das fällt. Mit solchen Feinheiten, mit den (von der Türkei unterschriebenen) Grundsätzen der Menschenrechte hält sich die Rachejustiz nicht auf. Staatspräsident Süleyman Demirel fällt ihr nicht in den Arm.  Regierungschef Bülent Ecevit kostet den Triumph für den erhofften Wahlsieg aus. Der eine führte einmal die „Gerechtigkeitspartei“. Der andere nennt sich „Sozialdemokrat“. Ach, diese Fremdworte!