In der Bundesrepublik Deutschland gibt es etwa 150 kurdische politische
Gefangene, einige sitzen schon seit über 11 Jahren.
Die Kriminalisierung des kurdischen Befreiungskampfes begann hier schon
Ende der 80er Jahre, nachdem die PKK den bewaffneten Kampf in der Türkei
aufgenommen hatte. Die türkische Regierung und der türkische
Geheimdienst MIT erklärten die PKK und ihre Auslandsorganisationen
zum Angriffsziel Nummer 1. Ab Mitte der 80er Jahre folgten mehrere Attentate
des Geheimdienstes, die der PKK in die Schuhe geschoben wurden, wie auch
gezielte Falschmeldungen und Hetzkampagnen, an der sich auch ein Großteil
der türkischen und auch der deutschen Linken beteiligten.
1986 nach der Erweiterung des Terrorismusparagraphen §129a unter
anderem auf Auslandsorganisationen begann die verstärkte Kriminalisierung
des kurdischen Widerstandes in der Bundesrepublik Deutschland. 1988 war
die erste große Verhaftungswelle, die 1989 zum Düsseldorfer
Prozeß führte, in dem 19 Kurdinnen und Kurden angeklagt waren.
Nach fünfjähriger Prozeßdauer endete der Prozeß mit
4 Haftstrafen, davon zwei zu 15 Jahren.
Mit der immer größer werdenden PKK, der Ausweitung des Krieges
in Kurdistan, den Serhildans (Volksaufständen) und den massiven Angriffen
auf die Zivilbevölkerung verstärkten sich auch die Proteste gegen
das türkische Regime und gegen die deutsche Kriegsbeteiligung in Form
von Waffenlieferungen, politischer und wirtschaftlicher Unterstützung
und Weitergabe von Informationen über aktive KurdInnen und durch Abschiebungen
in die Türkei. 1993 wurden die PKK, die ERNK (die politische Frontorganisation
der Partei) und 27 Vereine in Deutschland verboten. Es folgten Tausende
von Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, mehr
als 60 Verfahren waren eingeleitet worden wegen Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung. 30 Verfahren gegen politische Kader wurden
nach §129a verhandelt, 6 von ihnen befinden sich noch in Haft. Mit
umfangreichen Denunzierungsprogrammen, Geldangeboten, gesichertem Aufenthaltsstatus
und Strafandrohung auf der anderen Seite werden kurdische Kronzeugen angeworben.
Ein weiterer Schwerpunkt in der massenhaften Kriminalisierung sind
Verfahren wegen sog. Spendengelderpressung - gemeint sind die Spendenkampagnen
der Bewegung. Dazu wird auch regelmäßig öffentlich von
der Polizei zu Denunziationen von Spendensammlern aufgerufen.
1994 bis 1996 gab es zahlreiche Aktionen und Demonstrationen von KurdInnen
gegen das Verbot und die Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik Deutschland.
Der Staat reagierte mit brutalen Angriffen, Tausenden von Festnahmen und
Verfahren und mit einer rassistischen Medienhetze. 1997 wurde dann das
Ausländergesetz verschärft; die Teilnahme an einer verbotenen
Demonstration gilt bereits als schwerer Landfriedensbruch und zieht eine
zwingende Ausweisung nach sich. Auch bei einer Verurteilung zu mehr als
3 Jahren Haft ohne Bewährung folgt eine Ausweisung.
Es kam weiterhin immer wieder zu Durchsuchungs- und Festnahmewellen.
Schon ein Anstecker der ERNK kann zu einem Verfahren gegen das Vereinsgesetz
führen, der Verkauf von Zugfahrkarten für den Friedenszug MUSA
ANTER 1997 führte zu einer Anklage wegen Spendengelderpressung, und
für den Verkauf der Parteizeitung SERXWEBUN sind Kurden schon zu 6
Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden.
Kurz nachdem Abdullah Öcalan Anfang dieses Jahres Italien verlassen
hatte, kam es in der Bundesrepublik Deutschland zu einer erneuten verstärkten
Verfolgungswelle gegen Kurdinnen und Kurden. Am 19. Januar wurden alle
4 Büros des Kurdischen Roten Halbmondes (HEYVA SOR) sowie mehrere
Vereine durchsucht. Im Februar folgten in verschiedenen Städten der
Bundesrepublik Deutschland weitere Durchsuchungen von Wohnungen und Vereinen,
bei denen es auch zu Verhaftungen vermeintlicher „hochrangiger“ PKK-Funktionäre
kam.
Unmittelbar nach der Verschleppung Abdullah Öcalans wurden am
16.2.1999 europaweit kenianische und griechische Konsulate besetzt, weil
diese Länder sich an der Auslieferung des Vorsitzenden der PKK Abdullah
Öcalan beteiligt hatten. In mehreren Städten kam es zu brutalen
Räumungen und zahlreichen Verhaftungen. In einzelnen Städten
wurden die Besetzungen durch Verhandlungen und ohne Verhaftungen beendet.
Am 17.2.1999 wurden in zahlreichen Städten Zentralen von Grünen
und SPD besetzt. In Berlin wurden vor dem israelischen Generalkonsulat
drei Kurden und eine Kurdin von israelischen Sicherheitskräften erschossen,
mindestens 12 Kurdinnen und Kurden wurden durch Schüsse verletzt,
mehrheitlich von hinten getroffen. Das Verfahren wegen der Morde ist inzwischen
von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Dagegen sitzen bis heute
13 Kurden, unter ihnen auch einige der Verletzten, in Berlin in Haft. Insgesamt
wurden vor dem israelischen Generalkonsulat in Berlin und in dessen weiterer
Umgebung 229 Kurdinnen und Kurden festgenommen.
In der ganzen Bundesrepublik Deutschland gab es in diesen Tagen 2100
Festnahmen. 135 Haftbefehle wurden erlassen. Davon allein 73 wegen der
Besetzung des griechischen Konsulates in Leipzig. Wegen der Protestaktionen
sind bis heute die 73 KurdInnen in Leipzig und weitere 25 Kurden in Haft.
Es gab die ganzen Monate über weitere Hausdurchsuchungen, Festnahmen
und Verhaftungen wegen der Besetzungen. Insgesamt wurden BRD-weit zwischen
1500 und 2000 Ermittlungsverfahren eingeleitet. In Hamburg gab es auch
gezielte öffentliche Fahndungen gegen einzelne Kurden.
In Stuttgart wurden gegen 21 Konsulatsbesetzer Schnellverfahren durchgeführt,
die mit 4 Haftstrafen ohne Bewährung und 17 Bewährungsstrafen
endeten. 2 der Verurteilten wurden kurz darauf in die Türkei abgeschoben.
Insgesamt sind uns 8 Abschiebungen von Kurden bekannt, die im Verlauf der
Besetzungsaktionen festgenommen worden waren. Von Politikern und durch
die Medien wurde massiv Stimmung für verstärkte Abschiebungen
gemacht. In dieser Situation ist auch vom Berliner Verfassungsgericht am
30. März der Ausweisungsschutz für vermeintliche Kader der PKK
aufgehoben worden. Was, wenn es rechtskräftig und praktiziert wird,
die Auslieferung bedeutet.
Weiter droht den angeklagten Kurdinnen und Kurden im Falle einer Verurteilung
nach schwerem Landfriedensbruch die zwingende Abschiebung in die Türkei.
In Berlin wird bereits die Ausweisung von 88 Kurdinnen und Kurden mit weniger
„schweren“ Anklagen geprüft.
Gegen einzelne Gefangene aus der Leipziger Protestaktion wurde für
den Fall der Entlassung ein politisches Betätigungsverbot „im Zusammenhang
mit der Verfolgung kurdischer Interessen“ ausgesprochen.
Ende Juni fangen die Prozesse in Leipzig und Berlin an.
Im Zuge des Prozesses gegen Abdullah Öcalan muß mit einer
weiteren Kriminalisierung kurdischer Menschen gerechnet werden. Obwohl
die kurdische Bewegung die stärkste oppositionelle Kraft in Deutschland
ist, ist das praktische Verhältnis der Linken in Deutschland zu ihr
sehr schwach. Das zeigt sich an der geringen Beteiligung an Protestaktionen
der kurdischen Bewegung wie auch an überwiegend distanzierenden Äußerungen
auch aus der radikalen Linken. Es wird mehr auf die Unterschiede geachtet,
als Anknüpfungspunkte für einen gemeinsamen Kampf zu suchen.
Das erschwert die Solidaritätsarbeit zu den kurdischen Gefangenen
ebenfalls.