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Berlin, 18. September 1999


An die Redaktionen:
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  • "Glaube an Kraft der Politik": PKK-Vorsitzender Öcalan wertet die jüngsten politischen Ereignisse aus

Der PKK-Vorsitzende Öcalan sprach am Donnerstag (16. 9.1999) von der Notwendigkeit des Glaubens daran, dass Dank der Kraft der Politik der Staat sich verändern und transformieren könne. In einer Kritik an Intellektuellen, die die Beziehung zwischen Staat und Demokratie in `klassisch stereotyper Form` sähen, sagte Öcalan: "In der Türkei kann es vielleicht nicht so sehr eine Demokratisierung des Staates, sehr wohl aber Bemühungen geben, ein Demokratiebewußtsein zu schaffen. Die jüngsten Entwicklungen weisen etwas darauf hin."
Dies teilte einer seiner Istanbuler Anwälte, Dogan Erbas, nach einem Verteidigergespräch auf Imrali am 16. September der türkischsprachigen Tageszeitung Özgür Politika mit. Laut Erbas habe Öcalan gesagt: "Die Friedenslinie (der PKK) ist zum Nutzen der Völker. Dies sollte allerseits gut bedacht werden. Der einzige Grund weshalb ich noch lebe, die schweren Bedingungen ertrage, ist, (unseren) Werten gerecht zu werden."
Weiters betonte Öcalan, die gegenwärtigen Tage seien wichtig und kritisch, so dass die Frage nicht lauten solle, ob man hoffnungsvoll oder hoffnungslos sein solle, sondern vielmehr, wie der Kampf gewonnen werden könne. Er wies darauf hin, dass seine heutigen Stellungnahmen und Thesen nichts wesentlich neues enthielten sondern vielmehr bereits in einem 1993 über den ersten Waffenstillstand der PKK erschienenen Buch "Ich suche einen Ansprechpartner" (Bir muhatap ariyorum) angedeutet seien.

Glaube an den Wandel ?

Öcalan sagte: "Es gibt Kritiken von der Sorte `der Staat Türkei wird sich nicht ändern, mit dieser (friedlichen) Methode kann die Türkei nicht umgewandelt werden`, die insbesondere von Intellektuellen kommen, von unseren eigenen aber auch von türkischen Intellektuellen. Ich halte solche Kritiken für äußerst unangebracht. Verstößt es nicht gegen die Dialektik, wenn wir sagen, der Staat könne sich nicht wandeln? Der Glaube an Veränderung und Transformation ist notwendig. Der Glaube an die Kraft der Politik ist notwendig." Nach Angaben Erbas` wies Öcalan darauf hin, dass jene Intellektuellen ohne Vertrauen in die Kraft der Politik die PKK mit Erfolglosigkeit beschuldigten, und fügte hinzu: "Es ist aber offensichtlich, welche Erträge unser vergangener Kampf erbracht hat. Wenn unter den gegenwärtigen Bedingungen der Türkei verschiedenste Kreise von ihrem Verlangen nach Frieden sprechen, so ist dies ein direktes Resultat unseres Kampfes. Es ist gewissenlos und respektlos, dies zu übersehen." Öcalan fügte hinzu, dass diejenigen, die von einem unveränderlichen Staat ausgehen, wissentlich oder unwissentlich dem anti-demokratischen Staat dienten. Wer die Friedensbemühungen (der PKK) kritisiere, solle auch eigene Alternativvorschläge machen.
"Kurz vor der Jahrtausendwende erleben wir in der Türkei Tage des nahenden Friedens." Dies, so Öcalan, sei in einem so kurzen Zeitraum wie den letzten 6 Monaten zu Tage getreten. Er bemerkte, dass in einem Staat wie der Türkei einige Veränderungen geschehen seien: "Die Stellungnahmen des Präsidenten, des Generalstabs, des (Vorsitzenden des Kassationsgerichtshofes) Sami Selcuk, die Schlag auf Schlag gekommen sind, weisen darauf hin, dass es in der Türkei gesetzliche Besserungen geben könnte." Zivilgesellschaftliche Organisationen, Intellektuelle, DemokratInnen und Kapitalbesitzer, die ihre Interessen in einer EU-Mitgliedschaft der Türkei gewahrt sehen, müßten sich in den Prozeß einbringen, so Öcalan.

"Meine Gesundheit hängt von den Geschehnissen ab"

Auf Fragen nach seiner Gesundheit antworte Öcalan nach Angaben seines Verteidigers Erbas: "Es wäre unrecht, auf die Frage `Wie geht es Ihnen` - `Gut, Danke` zu antworten. Unser bisheriger Kampf ist bekannt. Es gibt Gefallene. So viel Blut, so viele Werte. Wir haben große Schmerzen erlebt. Wenn ich all dies bedenke, kann ich eine Antwort geben. Aber ein klassisches `Gut, Danke` ist bedeutungslos. Denn auch meine physische Existenz ist in dieser Hinsicht unwichtig. Es geht darum, den großen Schmerzen gerecht zu werden, die wir durchlebt haben." Öcalan bemerkte, seine Gesundheit hänge vom Lauf der Ereignisse ab, und fuhr fort: "Ich verkörpere grundlegende menschliche Werte, die ich aus dem alten ins neue Jahrtausend herüber tragen will. Wenn mir dies gelingt, kann ich mich gut fühlen." Er wolle den gegenwärtigen Prozess noch weiter vertiefen, so Öcalan.

Geschlechterfrage und Demokratie

In seiner Depesche an Rechtsanwalt Dogan Erbas hat der PKK-Vorsitzende auch auf die Relation zwischen Geschlechterverhältnis und Demokratie hingewiesen. Er betonte, dass die Geschlechterfrage in einer echten Demokratie gelöst werden könne, da Demokratie ein ideales Lösungsmodell sowohl für die nationale Frage, als auch für die Geschlechterfrage sei. "Aus diesem Hintergrund sollte die Bewegung der Freien Frauen (d.h. kurdische Frauenorganisation) das Wesen des Kampfes um Demokratie begreifen, weitervermitteln und in die Praxis umsetzen", so Öcalan, "wenn dementsprechend agiert wird, wird auch der [Friedens-] Prozess als ganzer besser verständlich. Praktische Ziele in diesem Prozess lassen sich um so konkreter verwirklichen, je höher die Ebene des Begreifens ist".