IPPNW - Presseinformation, Berlin, 26. Oktober 1999
Waffenexporte in die Türkei?
Nun ist der Formelkompromiss in der Regierungskoalition gefi~nden,
doch das
Thema bleibt erhalten. Die Internationalen Ärzte für die
Verhütung des
Atomkrieges (IPPNW) engagieren sich seit Jahren mittels konkreter
Kontakt
und Informationsarbeit für eine politische Lösung des türkisch-kurdischen
Krieges. Dies einmal, weil Deutschland nach den USA der zweitwichtigste
Waffenlieferant der Türkei ist und zweitens, weil sich dieser
Konflikt auch
in Deutschland unter den etwa 2 Millionen türkischen StaatsbürgerInnen
manifestiert.
Die IPPNW-Vorsitzende Frau Dr. med. Angelika Claußen ist eine
genaue
Kennerin des in Frage stehenden Konfliktes. Folgend möchte ich
Ihnen einen
Aufsatz von Dr. Claußen zur Verfügung stellen. Frau Dr.
Claußen stände auch
zu Interviews zur Verfügung.
Friedenshilfe statt Leopard!
Die Debatte um die Lieferung eines Testpanzers in die Türkei
ist zugleich
ein grundsätzlicher Streit um die Stellung der Menschenrechte
in der
deutschen Aussenpolitik. In der tagespolitischen Auseinandersetzung
verblassen letztere allzuleicht gegenüber der Verteidigung einheimischer
Arbeitsplätze und sicherheitspolitischer Ansprüche. Doch
Menschenrechte
sind konkret, sie betreffen fundamentale Lebensbedingungen von Menschen.
Auf Einladung der Ärztekammer Diyarbakir konnte ich die Lage
der vom
türkisch-kurdischen Krieg Vertriebenen in der Stadt selbst erleben.
Diyarbakir wuchs in der letzten Dekade von 350.000 Einwohnern auf
1,5
Millionen an. Die meisten dieser Neuzugänge sind Flüchtlinge,
die in einem
breiten Gürtel von Gecekondus, oft über Nacht gebauten Elendsunterkünften,
hausen. Diyarbakirs Stadtverwaltung ist wie die weiterer Städte
durch die
Folgen dieses rasanten Wachstums überfordert. Ganz zentral ist
davon die
Gesundheitsversorgung der Bevölkerung betroffen: "Die Elendsviertel
sind
Nester für die Malariamücken", sagt Necdet Ipekyüz,
stellvertretender
Vorsitzender. Der Ärztekammer Diyarbakirs. "Infektionskrankheiten
die wir
längst ausgerottet hatten, sind wieder da: Malaria, Typhus und
Tuberkulose."
Positive Ansätze der Versöhnung sind zu beobachten. So
hat Staatspräsident
Demirel Bürgermeister der HADEP, der von Verbot bedrohten kurdischen
Partei, zu einem Gespräch empfangen. Doch es bleibt festzuhalten,
dass die
türkische Regierung das Kriegsrecht in den vom Bürgerkrieg
betroffenen
Provinzen des Südostens nicht aufgehoben hat, noch Konzepte einer
Aussöhnung mit dem früheren Feind vorgelegt hat.
Aber eine Gesellschaft nach einem Krieg braucht zivile Projekte des
Wiederaufbaus, die schnell und mit einfachen Mitteln die drängensten
Probleme der Bevölkerung lösen. Infrastrukturelle Projekte,
darunter die
Entwicklung der Gesundheitsversorgung, müssen reale Hoffnung
vermitteln.
Die Einbindung ehemaliger Kämpfer in Aufbauprogramme unterbrechen
die
Spirale der Gewalt, die sich in jeder kriegserschütterten Gesellschaft
weiterentwickelt, wenn keine Vorsorge getroffen wird. El Salvador
und
Kolumbien sind Paradebeispiele für solche Fortsetzung von Gewalt
unter
zivilen Bedingungen einer vom Krieg zerstörten Gesellschaft.
Nunmehr soll die Verbesserung der Menschenrechtssituation in der
Türkei zum
Massstab des kommenden möglichen Leopard-Exports werden. Doch
Menschenrechte erfüllen sich nicht per Appell, sie bedürfen
aktiver
Politik. Die bleibt die Bundesregierung uns und den Menschen in der
Türkei
bislang schuldig.
Gerade jetzt, wo in der Türkei zivile Kräfte den inneren
Frieden und
Aussöhnung schaffen wollen, müssen von Europa und insbesondere
von
Deutschland Friedens- statt Kriegsallianzen geschmiedet werden. Zivile
Kräfte in der Türkei, die Teil einer solchen Friedensallianz
sein können,
sind z.B. die 59 Schriftsteller, unter ihnen Yasar Kemal und der
Literaturnobelpreistrager Günter Grass, die von der türkischen
Regierung
"einen demokratischen und zivilisierten Schritt" förderten,
um die
kurdische. Frage zu lösen.
Die Menschen in der Türkei brauchen "joint-ventures"
für Frieden und
Gesundheit und keine für die Rüstungsindustrie.
Dr. med. Angelika Claußen, (Vorsitzende der IPPNW)
Ich möchte Sie zudem auf die jüngste Publikation der
IPPNW zum Thema
aufmerksam machen. Das 50-seitige Heft "Deutschland und NATO
im
Türkei-Kurdistan-Krieg" können Sie über die Geschäftsstelle
anfordern.
Dr. Jens-Peter Steffen, 030 / 655 8448
Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung
des
Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), Körtestr.
10, 10967
Berlin, Tel.: 030/6930244, Fax: 030/6938166
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