Informationsstelle Kurdistan e.V. ISKU

Berlin, der 12. Dezember 1999


Offener Brief an die jungle world

Zur Ermordung von Sinan Karakus, Sema Alp, Mustafa Kurt, Ahmet Acar

Bald ist es ein Jahr her, dass vier unserer GenossInnen in Berlin vor dem israelischen Konsulat erschossen wurden, ein Dutzend wurde zum Teil lebensgefährlich verletzt, etliche GenossInnen wurden verurteilt und sitzen im Knast. Die Mörder sind unbestraft geblieben. Es ist für uns schwer nachvollziehbar, warum zum jetzigen Zeitpunkt wieder eine Diskussion darüber ausbricht, ob die Schüsse der israelischen Botschaftsangehörigen gerechtfertigt waren, während die Solidarität mit den verfolgten KurdInnen noch immer sehr schwach ist.
Für die Menschen aus Kurdistan war der 15. Februar 1999 ein einschneidendes Datum. Es gibt eine kurdische Geschichte vor und nach dem 15. Februar 1999. Es wurde sehr schnell klar, dass sich eine Reihe von imperialistischen Ländern und deren Helfer an der Entführung Abdullah Öcalans beteiligt hatten. Dementsprechend wurde auch an Konsulaten und Vertretungen aller dieser Länder demonstriert und versucht, sie zu besetzen - weltweit. Zum Beispiel griechische, US-amerikanische, britische, deutsche, kenianische und türkische Einrichtungen waren die Ziele der Protestaktionen. Alle Proteste verliefen mehr oder weniger gewaltlos. Außer eben der Aktion am israelischen Konsulat, wo die Botschaftsvertreter ohne Not in die Menge schossen. Das war Mord und die Mörder wurden nie dafür belangt, sondern konnten, mit Diplomatenpässen ausgestattet, ausreisen.
Israel und die Türkei sind die wichtigsten Bündnispartner des deutschen und US- Imperialismus im Nahen und Mittleren Osten. Zwischen der USA, der Türkei und Israel gibt es eine enge militärische Zusammenarbeit in der Aufstandsbekämpfung und im Anti-Guerillakampf. Die USA liefern Daten ihrer AWACS-Aufklärungsflüge an das türkische Militär, das mit diesen Daten zielgenauer die kurdische Guerilla bekämpfen kann. Israelische Militärs bilden türkische Hubschrauberpiloten aus und beraten auch direkt im Kampfgebiet. So wurde zum Beispiel 1996 ein türkischer Militärhubschrauber im kurdischen Kampfgebiet von der ARGK abgeschossen, in dem sich auch hochrangige israelische Militärs befanden.
Es ist richtig, dass Israel auch die südkurdische KDP unterstützt, wie Maik Söhler anführt. Die KDP übernimmt seit Jahren Konterguerillafunktion und hängt direkt am Tropf der USA. Auch in Kurdistan gibt es Klassen und die KDP ist feudale Oligarchie, die eine revolutionäre Entwicklung in Südkurdistan im Interesse des Imperialismus verhindern will.
Dass der israelische Geheimdienst an der Öcalan Entführung beteiligt war, ist für jeden, der die Zusammenarbeit insbesondere der amerikanischen, türkischen und israelischen Regie-rungen in den letzten Jahren beobachtet hat, sonnenklar, und selbst wenn es nicht so wäre, hätte die kurdische Bevölkerung genug Gründe gegen den israelischen Staat zu demonstrieren. Mit Antisemitismus hat das rein gar nichts zu tun. Die PKK ist eine internationalistische Bewegung, die weder Feindschaft gegen das türkische noch gegen das israelische noch gegen irgend ein andres Volk hegt. Obwohl der türkische Staat seit seiner Gründung etliche Massaker gegen die Völker in Kurdistan begangen hat, hegt die PKK keinerlei Feindschaft gegen das türkische Volk. Im Gegenteil, nichts hält sie in ihrer Geschichte für notwendiger, als dass alle Völker der Türkei gemeinsam für ihre Befreiung kämpfen. In den Reihen der PKK gibt es Hunderte türkische InternationalistInnen, und die PKK ruft immer wieder zur Geschwisterlichkeit der Völker auf.
Auch gegen das israelische Volk oder die JüdInnen gibt es keinerlei feindliche Gefühle. Die PKK ist eine Bewegung, die die Regierungen, die gegen die Interessen der Völker handeln, sehr wohl von den Völkern unterscheidet und darauf größten Wert legt.
Offensichtlich fällt diese Unterscheidung vielen deutschen Linken schwer. Die imperialistische Propaganda, dass es sich bei Befreiungskämpfen um ethnische oder religiöse Konflikte handele, Türken gegen Kurden, Juden gegen Moslems, Katholiken gegen Protestanten etc. sitzt zu tief. Es gibt auch eine israelische Linke, die sowohl die Palästinapolitik Israels kritisiert, als auch das Vorgehen der israelischen Konsulatsvertreter in Berlin. In der Logik der jungle world-Schreiber ist wohl auch die israelische Linke antisemitisch. Die Grenze ist für Linke nicht zwischen den Völkern zu finden, sondern zwischen Unterdrückern und Unterdrückten.
Die KurdInnen haben an den Tagen nach der Entführung Abdullah Öcalans gegen die Regierungen, die in einer internationalen Zusammenarbeit die Befreiung des kurdischen wie auch des türkischen Volkes verhindern wollen, Protestaktionen durchgeführt. Auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen: Auch der israelische Staat ist Teil dieser Allianz.
Für die Schüsse in eine unbewaffnete Menschenmenge, die gut dokumentiert sind, gibt es keinerlei Rechtfertigung. Es war Mord.
Seit vielen Jahren versucht der deutsche Staat, jede mögliche Solidarisierung mit dem Befreiungskampf der PKK durch Verbreitung von Vorurteilen und glatten Lügen zu verhindern. Darin sind sie sehr erfolgreich. Sie bekommen dabei Unterstützung aus angeblich linken Kreisen, deren einzige Politik es ist, andere, seien es auch noch so schwache Ansätze von linker Politik, zu diffamieren. Offensichtlich, um ihre eigene Untätigkeit und Perspektivlosigkeit zu kaschieren. Eins der durchschlagendsten Argumente ist dabei immer wieder der angebliche Antisemitismus vor allem der PKK. Hierfür ist speziell die deutsche Linke besonders empfänglich. Die Ermordung von Millionen europäischer JüdInnen in deutschen Kon-zentrationslagern, die Ermordung von Millionen SowjetbürgerInnen und vielen anderen unter anderem auch deutschen KommunistInnen hat nicht dazu geführt, dass der Kampf von Menschen, die vor rassistischen Regimes flüchten und auch hier im Exil ihren Widerstand gegen ihre Vernichtung organisieren, als Teil des gemeinsames Kampfes gegen Faschismus und Unterdrückung verstanden werden.
Seit den Massenprotesten 1993 gegen das Massaker in Lice ist die PKK in der BRD verboten. Die meisten, über 100, politischen Gefangenen in der BRD sind KurdInnen. Tausende Verfahren laufen gegen sie wegen Unterstützung der PKK. Es ist uns unbegreiflich, wie Menschen, die sich Linke nennen, dazu schweigen können und im Gegenteil sich die Argumente der Herrschenden aneignen, um eine Solidarisierung mit dem kurdischen Befreiungskampf zu verhindern.