Erklärung des Präsidialrates der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 11. Dezember 1999


An die Europäische Union, das kurdische und das türkische Volk

Endlich hat die EU auf dem am 10. Dezember 1999 begonnenen Gipfel von Helsinki die Türkei als Beitrittskandidatin akzeptiert. Die EU erwartet, dass die Türkei im Jahre 2002 Verhandlungen für eine Vollmitgliedschaft aufnehmen wird. Doch wird die türkische Qualifikation für die EU-Vollmitgliedschaft von ihren bis dahin erbrachten Leistungen in wirtschaftlicher, politischer, kultureller und anderer Hinsicht abhängen. Die Entscheidung, der Türkei den Weg zur EU-Mitgliedschaft zu eröffnen, ist von historischer Bedeutung. Noch wichtiger wird jedoch sein, dass die Türkei die für eine EU-Mitgliedschaft erforderlichen Bedingungen erfüllt.
Die Zustimmung zur Kandidatur der Türkei ist das Ergebnis eines Prozesses, der von unserem Vorsitzenden, Abdullah Öcalan, eingeleitet worden ist. Dieser Prozess wurde durch intensive Anstrengungen unserer Partei, der PKK, umgesetzt. Es sollte bedacht werden, dass wir es waren, die das Projekt für eine Demokratische Republik befürworteten. Unser Vorstoß für eine demokratische Lösung der Probleme der Türkei spielte eine Schlüsselrolle bei der Schaffung des Klimas, das ursächlich war für den jüngsten Beschluss der EU. Unsere Partei, die PKK, war es, die innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten eine intensive diplomatische Offensive für eine derartige Lösung eröffnete. Die kurdische Diplomatie wurde mobilisiert, um die Kandidatur der Türkei für eine EU-Mitgliedschaft zu verwirklichen - und die Staaten der EU überwanden ihre Zweifel großenteils im Ergebnis solcher kurdischer Anstrengungen.
Zweifellos ist mit der Zustimmung zur EU-Kandidatur der Türkei das Ziel noch nicht erreicht. Die wichtigste Aufgabe ist es jetzt, die Türkei für ihre Kompatibilität zu europäischen Normen vorzubereiten. Gegenwärtig fallen politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Organisationen der Türkei hinter denen Europas beträchtlich zurück, sind türkische Institutionen problembeladen. Im Zentrum all dieser Probleme ist die wieterhin ungelöste kurdische Frage. In Anbetracht dieser Tatsachen muss die Lösung der kurdischen Frage eine Vorbedingung für die Mitgliedschaft der Türkei in der EU sein. Alle weiteren Probleme in der Türkei in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Hinsicht sind mit dieser ungelösten Frage verbunden. Die Lösung der kurdischen Frage kann die Lösung anderer Probleme nur erleichtern.
Doch ist das gegenwärtige politische Klima in der Türkei weit davon entfernt, für die Lösung von Problemen einschließlich des kurdischen förderlich zu sein. Die Regierung zeigt keines der Wesensmerkmale, die für die Umsetzung einer Reorganisation von Gesetzgebung und Rechtsprechung, Voraussetzung für die Überwindung der fundamentalen Probleme, erforderlich wären. Sowohl die Regierungskoalition als auch die Opposition sind weit von der für die EU-Mitgliedschaft der Türkei erforderlichen Geisteshaltung entfernt. In einer durch 15 Jahre Krieg in Kurdistan verhärteten chauvinistischen Atmosphäre sind demokratische Lösungen nicht zu erwarten.
Im Hinblick auf die Demokratisierung der Türkei und ihre Transformation für die EU-Vollmitgliedschaft sind sofortige Schritte erforderlich. Eine solche Umstrukturierung muss mit freien Wahlen beginnen, bei denen Kurden und andere ihre Entscheidung frei treffen und vertreten können. Nur ein in solchen Wahlen begründeter Konsens kann die Türkei auf die EU vorbereiten. Und solche Wahlen müssen mit der Freilassung unseres Vorsitzenden und aller anderen politischen Gefangenen beginnen. Nur durch derartige Entwicklungen können die Probleme der Türkei angesprochen werden. Auf der kurdischen Seite ist unsere Partei in der Pflicht, ihre Bemühungen für eine moderne Türkei auf der Grundlage einer freien Gemeinschaft des kurdischen, des türkischen und anderer Völker zu intensivieren. Wir werden die Schaffung einer solchen demokratischen Republik zum zentralen Bestandteil unseres Programms machen. Dies betrachten wir als Teil unseren historischen Mission und wir rufen die EU und die Türkei ebenso wie die kurdische, die türkische und andere Gemeinschaften dazu auf, für eine demokratische Türkei, die ihren Platz in der Europäischen Union einfordert, das gleiche zu tun.

(Aus der englischen Übersetzung)