Die
PKK erklärt:
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Die Zeit ist reif für eine politische Lösung der
kurdischen Frage
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Mit der Bestätigung des Todesurteils gegen unseren Vorsitzenden
durch den Staatsanwaltschaft hat die politische Phase begonnen
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Wir werden auch weiterhin den Prozess der konstanten Veränderung
und des Wandels vorantreiben
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Die Aufnahme der Türkei als Beitrittskandidat in die
EU ist auf die Situation der kurdischen Frage zurückzuführen
Der
oberste türkische Staatsanwaltschaft Vural Savas bestätigte
am 29. Dezember 1999 das Todesurteil gegen den Vorsitzenden
der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan.
Damit sind alle juristischen Möglichkeiten in der Türkei
ausgeschöpft. Als nächste Etappe wird die türkische
Regierung und das Parlament in Ankara nach der juristischen
Entscheidung die politische Entscheidung fällen. Schon
im Vorfeld hatten hochrangige türkische Politiker erklärt,
dass diese Entscheidung nicht leicht sein wird. Parallel zu
der Entscheidung des türkischen Parlaments und des Staatspräsidenten
Süleyman Demirel ist der Fall Öcalan im Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.
Der Präsidalrat der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) hat
am 2. Januar 2000 schriftlich zu der o.g. Entwicklung Stellung
genommen, die wir im folgenden in deutscher Übersetzung
dokumentieren:
"Mit der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft (der
Türkei, Anm.d.Ü.) vom 29. Dezember 1999, ist die juristische
Phase im Prozess gegen unseren Vorsitzenden, Abdullah Öcalan
zum Abschluss gekommen. Eine neue Phase hat begonnen. Nun liegt
die Entscheidung bei der Politik. Bekanntlich war die Verhandlung
auf Imrali die erste Stufe der juristischen Phase. Mit dem verantwortlichen
und bedachten Verhalten unseres Vorsitzenden, mit seinen umfassenden
und lösungsorientierten Ausführungen über die
historischen, nationalen und politischen Ursachen, welche dem
Prozess zu Grunde lagen, sowie das in politischer Hinsicht pragmatische
Verhalten unserer Partei, haben in der Öffentlichkeit eine
breite Diskussion über die kurdische Frage ausgelöst.
So wurde eine äusserst gewalttätige Konfrontation
verhindert und der Beginn eines Prozesses der Deeskalation eingeleitet.
Im
zweiten Abschnitt der juristischen Phase, der Verhandlung vor
dem Kassationsgerichtshof, hatte unsere Partei dem Aufruf unseres
Vorsitzenden folgend, den bewaffneten Kampf eingestellt und
erklärt, ihre bewaffneten Kräfte vom Gebiet der Türkischen
Republik zurückziehen. Weiter erklärte sie, dass sie
von nun an ihrem Kampf eine Strategie des demokratisch-politischen
Kampfes zugrundelegen werde. Seit dem 1. September 1999 wurde
mit der praktischen Umsetzung begonnen. Dadurch konnte die mit
dem 15. August 1984 entstandene Atmosphäre des Krieges
von niedriger Intensität überwunden und die Gewalt
auf ein Minimum reduziert werden. Mit der aus dieser Umorientierung
hervorgehenden positiven Entwicklung und Stabilität, konnte
die Anerkennung der Türkei als Beitrittskandidat zur Europäischen
Union realisiert werden. Somit hat die von uns eingeleitete
Phase, den Boden für tiefgreifende Entscheidungen bereitet.
In Anbetracht der obengenannten Entwicklung, wird deutlich,
dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen im Fall
unseres Vorsitzenden; auf der Grundlage der Kandidatur der Türkei
um Aufnahme in die Europäische Union gemeinsam getroffen
wird. Das die politische Entscheidungsgewalt diese Ebene erreicht
hat, ist auf die Situation der kurdischen Frage zurückzuführen.
Insofern ist dies eine ganz normale Entwicklung. Für die
aktuelle Situation der kurdischen Frage und das Versäumnis
ihrer Lösung, sind der türkische Staat, die Länder
der EU und Nato gemeinsam verantwortlich. Deshalb müssen
auch die für die Situation verantwortlichen Staaten zusammenkommen
und gemeinsam eine Lösung entwickeln.
Es
ist ersichtlich, dass unsere Partei alles für einen positiven
Verlauf der jetzigen Phase unternommen hat. Sie wird auch weiterhin
den Prozess der konstanten Veränderung und des Wandels
vorantreiben. Jedoch ist dieser Prozess an einem kritischen
Punkt angelangt, an dem eine Entscheidung gefällt werden
muss. Dies bedeutet, dass konkrete Schritte für eine Lösung
der kurdischen Frage und zur Demokratisierung der Türkei
unternommen werden müssen. Die Demokratie wird nicht mit
Worten erreicht, sondern konkrete Schritte und eine praktische
Umsetzung sind notwendig. Nun ist es an der Zeit, die dafür
nötigen Voraussetzungen zu erfüllen. Jedoch ist die
Türkei nicht einmal in der Lage, kleine Schritte hin zu
einer Demokratisierung und Lösung der kurdischen Frage
zu unternehmen, selbst wenn sie nur den Charakter einer Geste
hätten. Ohne Zweifel bildet diese Situation ein Hindernis
für eine Weiterentwicklung des politischen Prozesses. Auf
diese Weise lassen sich keine positiven Ergebnisse erzielen.
An diesem Punkt sollte die Türkei keine falschen Schritte
unternehmen. Bis jetzt ist der Prozess positiv verlaufen. Man
erwartet weitere positive und lösungsorientierte Schritte.
Wenn dieser Erwartung nicht entsprochen wird und die Hoffnungen
enttäuscht werden, kann unter diesen Bedingungen nicht
voraus gesagt werden, wie die Entwicklung weiterhin verlaufen
wird. Bis jetzt hat die Administration der Türkei stets
auf das Andauern der juristischen Phase berufen. Diese ist nun
beendet und die Phase eines politischen Entscheidungsprozesses
hat begonnen. Dieser Phase muss positiv und lösungsorientiert
begegnet werden, ohne das Problem zu ignorieren. Ist dies nicht
der Fall, bleibt das Problem unbehandelt, werden falsche Schritte
unternommen, dann werden die Voraussetzungen für einen
neuen Aufstand geschaffen. Dabei trägt ausser den Kriegsgewinnlern
jeder Schaden davon.
Das
heisst, das Problem ist an einen Punkt angelangt, an dem die
Lösung des Problems nicht länger aufgeschoben werden
kann. Das gilt sowohl für die Türkei und die EU, als
auch für die NATO und die anderen beteiligten Seiten des
Problems. Man kann das Problem nicht ungelöst lassen, indem
sich jeder in eine andere Ausrede flüchtet. Dass die Türkei
immer noch diskutiert, ob das Gerichtsurteil gegen unseren Vorsitzenden
vollstreckt werden soll oder nicht, und gleichzeitig keine praktischen
Schritte hin zu einer Lösung unternimmt, stellt eine äusserst
rückschrittliche und gefährliche Situation dar. Insbesondere
das vom Obersten Gerichtshof gefällte Urteil ins Parlament
zu tragen und es dort zum Gegenstand einer politischen Diskussion
zu machen, wird den jetzigen Prozess und seine positiven Entwicklungen
ernstlich gefährden. Wir rufen alle EU- und NATO-Länder,
allen voran die Türkei, auf, sich in dieser Situation ernsthaft
und verantwortungsbewusst zu verhalten. Auch in diesem Fall
müssen die Maßstäbe der EU gelten.
Jetzt
ist es an der Zeit, für eine demokratische Lösung
der kurdischen Frage praktische Schritte zu unternehmen und
die dafür notwendigen gesetzlichen Korrekturen vorzunehmen.
Der erste Schritt muss die Garantie für eine Nichtvollstreckung
des Todesurteil an unserem Vorsitzenden sein, der bei der Lösung
des Problems eine Schlüsselrolle spielt. Ausserdem müssen
unserem Vorsitzenden eine freie und angemessene Arbeitsumgebung
verschafft und seine Sicherheit effektiver gewährleistet
werden. Nur auf diese Weise wird es möglich sein, den jetzigen
politischen Prozess in einer positiven Weise fortzuführen.
Unsere
Partei wird auch weiterhin in ihren Entscheidungen und ihren
Schritten hin zu einer politischen Lösung eine grosse Bedeutung
beimessen. Sie wird auch weiterhin das ihre tun, um die Phase
des Friedens und der demokratischen Wende voranzutreiben. Soweit
diese positive und lösungsorientierte Haltung unserer Partei
bei den anderen beteiligten Seiten seine Entsprechung findet,
wird dieser Prozess weitergeführt. Daher rufen wir die
EU und alle NATO-Länder, allen voran die Türkische
Republik, auf, von ihren Hoffnungen und Bemühungen um eine
Liquidation unserer Partei endlich Abstand zu nehmen, den freien
und demokratischen Willen des kurdischen Volkes, der sich in
unserer Partei und unserem Präsidenten Abdullah Öcalan
konkretisiert, zu respektieren, das Tauziehen um das Urteil
gegen unseren Vorsitzenden zu beenden und aufzuheben, sowie
den politischen Prozess durch praktische Schritte hin zu einer
Lösung der kurdischen Frage voranzutreiben!"
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