Berlin, 18. Januar
2000
An die Redaktionen:
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/ Kurdistan
Am 12. Januar 2000 hat die türkische Regierungskoalition
unter Ministerpräsident Bülent Ecevit beschlossen,
die Akte von Abdullah Öcalan bis zur Spruch der Straßburger
Richter nicht an das Parlament weiterzuleiten. Damit hat sie
der Forderung des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte nach einem Aufschub der Entscheidung entsprochen.
Am 14. Januar 2000 bewertete das Zentralkomitee der Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) in einer schriftlichen Erklärung diese
Entscheidung für einen Aufschub. Im Folgenden geben wir
die Erklärung in deutscher Übersetzung in vollem
Wortlaut wieder:
· Die Entscheidung vom 12. Januar wird für
das türkische und kurdische Volk zur Jahrhundertentscheidung
werden
"Unsere Welt hat begonnen, sich nach den Prinzipien
von Demokratie und Menschenrechten umzugestalten. Deshalb
ist es unerlässlich, das 21. Jahrhundert auf einer solchen
Grundlage zu beginnen. Es ist sowohl eine zwingende als auch
eine würdevolle Aufgabe und Pflicht, die türkisch-kurdischen
Beziehungen auf der Grundlage neuzeitlicher Normen zu entwickeln
und der Türkei mit einer entsprechenden Lösung den
Aufbruch ins neue Jahrhundert zu ermöglichen. Das ist
die Aufgabe und liegt in der Verantwortung aller auf dem Territorium
der Türkei lebenden Menschen, unabhängig von ethnischer
Identität, Glauben und Denkweise die Schwierigkeiten
zu überwinden und die Erfordernisse dieser Aufgabe zu
erfüllen.
Die Regierungskoalition, die am 12 Oktober 1999 in der Frage
der Todesstrafe gegen unseren Vorsitzenden Abdullah Öcalan,
entsprechend der Forderung des Europäischen Gerichtshofes
für Menschenrechte, die Entscheidung über die Hinrichtung
beim Ministerpräsidenten ausgesetzt hat, eröffnete
damit den Weg für die Erfüllung der o.g. Aufgaben
und zum Aufbau einer demokratischen Republik. Diese Entscheidung
leistet einen wichtigen Beitrag dazu, die schwerwiegenden
Probleme der Türkei zu überwinden und die Basis
für die Gründung einer demokratischen Türkei
zu schaffen, der alle mit Stolz erfüllt, und zu dem alle
- für ihre Entwicklung und ihren Schutz - beitragen werden.
Gerade in Bezug auf diese wahrhaft geschichtliche Entscheidung
hat sich beim türkischen und kurdischen Volk eine entspannte
und hoffnungsvolle Stimmung verbreitet.
Unsere Partei hat die Entscheidung der Regierungskoalition
umfassend bewertet und kam zu dem Schluss, dass sie, wenn
alle Beteiligten ihrer Verantwortung gerecht werden, ein Anfang
auf dem Weg zu einer demokratischen Republik, zu einer kontinuierlichen
Entwicklung und Stärkung der Türkei ist. So wie
die Übereinkunft von Amasin, im Anschluß an den
Sieg des Befreiungskampfes für den Aufbau der (Türkischen,
Anm. d. Ü.) Republik eine wichtige Rolle gespielt hat,
könnte der jetzt gefällte Beschluß eine vergleichbare
Rolle beim Aufbau einer modernen demokratischen Republik spielen.
Es ist besonders wichtig, furchtlos weitere Schritte zu setzen
und denjenigen, die von innen und außen Entwicklungsansätze
in der Türkei zu blockieren gedenken, keinen Raum zu
geben. Dann wird sich deutlich zeigen, dass die Türkei
sich zu einem Land entwickelt, auf das alle seine Bewohner
stolz sind und als das Ihre betrachten, und dass sie eine
neue fortschrittliche Kraft in der Region und der Welt werden
kann.
Wie in der Vergangenheit, gibt es auch heute Kräfte,
die die Türkei in Probleme verstricken möchten,
und die versuchen, ihre Weiterentwicklung zu verhindern. Diejenigen,
die im Anbetracht der Entscheidung über unseren Vorsitzenden
auf eine Exekution drängen und damit Tag für Tag
die Atmosphäre anheizen, um politische Vorteile zu ergattern,
können nicht die wirklichen Freunde der Türkei sein.
Dies ist unabhängig davon, ob solche Provokationen von
innen oder außen kommen. Ihr Ziel ist es, den Entwicklungsweg
der Türkei zu blockieren. Das internationale Komplott
gegen unseren Vorsitzenden hat diese Tatsache in allen Einzelheiten
nachgewiesen. Mit diesem Angriff wurde versucht, das türkische
und kurdische Volk in ein unüberwindbares Chaos zu stürzen.
Unser Vorsitzender Abdullah Öcalan hat die Ziele dieses
Komplotts erkannt und sich darum bemüht es unwirksam
zu machen.
Die wertvollen Bemühungen unseres Vorsitzenden, die
Ausdruck der Interessen des türkischen wie des kurdischen
Volkes sind und auf der Grundlage einer weitsichtigen Betrachtungsweise
erfolgt sind, eröffnen der Türkei die Möglichkeit
für diese wichtige Entscheidung und für einen neuen
Weg. In diesem Glauben sehen wir es als notwendig an, dass
auf der Grundlage der historischen Entscheidung der Regierungskoalition
für eine demokratische Wende und die Neugestaltung der
Türkei, für eine friedliche Lösung der kurdischen
Frage sowie freie und sichere Lebens- und Arbeitsbedingungen
für unseren Vorsitzenden, unverzüglich praktischen
Schritte unternommen werden müssen. Wir rufen alle demokratischen
Kräfte dazu auf, als ersten Schritt eine breite demokratische
Kampagne gegen die Todesstrafe zu beginnen und dadurch mit
aller Kraft ihre Solidarität zu bekunden. Darüber
hinaus rufen wir die internationale Öffentlichkeit dazu
auf, die Bemühungen nach Kräften zu unterstützen."