Berlin, 22. Februar 2000
An die Redaktionen:
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(Gesamtseitenzahl = 2)
· Viele Festnahmen und Verletzte bei polizeilichen
Übergriffen auf friedliche Demonstranten in Diyarbakir
· Indizien weisen auf Folterungen der verhafteten HADEP
Bürgermeister hin
· Pressekonferenz der HADEP
· Erklärung des HADEP Vorsitzenden
Heute am 22.02.2000 berichtete Ali Ürküt, der Bezirksvorsitzende
der HADEP Diyarbakir, in einem Telefoninterview des prokurdischen
Senders MEDYA TV, dass es bei den friedlichen Protestaktionen
gegen die Verhaftung der Oberbürgermeister zu brutalen
Übergriffen der Sicherheitskräfte kam. Die demokratische
Partei des Volkes hatte zu friedlichen, demokratischen Protesten
unter dem Motto :" Wir stehen hinter unseren Bürgermeistern"
aufgerufen. Diesem Aufruf folgten seit der Festnahme täglich
mehrere tausend Menschen. Bei den heutigen Protesten in Diyarbakir
und Siirt gab es Verletzte und dutzende Mitglieder der HADEP
wurden festgenommen. Gestern verhaftete die Polizei 90 Personen
in Siirt, die bis heute nicht freigelassen wurden. Herr Ürküt
betonte, dass sowohl die Verhaftungen der Oberbürgermeister
als auch die Übergriffe einen politischen Hintergrund
haben und der türkischen Republik nicht von Nutzen sein
werden. Er kündigte an, dass sie sich morgen erneut vor
dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir versammeln werden,
da sie auf eine Freilassung der inhaftierten Oberbürgermeister
hoffen. Morgen endet die offizielle Frist für die Untersuchungshaft,
aber in den türkischen Medien wird über eine eventuelle
Verlängerung um 10 Tage spekuliert. Für den Fall,
dass es zu einem richterlichen Beschluss durch das Staatssicherheitsgericht
für die Fortsetzung der Haft kommen würde, unterstrich
er, dass die Situation eskalieren könnte.
Der Bezirksvorsitzende Ürküt kündigte für
morgen in den Partei Büros der HADEP in Diyarbakir eine
Pressekonferenz um 11.00h, sowie die eine entscheiden und
kontinuierliche Fortsetzung der friedliche und demokratischen
Protestaktionen an. Der türkische Sicherheitschef für
Diyarbakir verhängte heute ein Versammlungsverbot für
die kommenden Tage.
Es gibt Meldungen, die die Befürchtungen verstärken,
dass die verhafteten Oberbürgermeister während des
Verhörs gefoltert worden sind. Laut des Anwalts der Verhafteten,
Sezgin Tanrikulu, gibt es in dem Dossier der Ärzte, die
die Verhafteten gestern untersucht hatten, Anhaltspunkte die
diese Annahme bestätigen.
Zu den Festnahmen gab am 20. Februar der HADEP-Vorsitzenden,
Ahmet Turan Demir, eine schriftliche Erklärung ab, die
wir im folgenden dokumentieren:
"Am 19. Februar wurden 3 Oberbürgermeister unserer
Partei Feridun CELIK aus Diyarbakir, Selim ÖZALP aus
Siirt und Feyzullah KARAASLAN aus Bingöl verhaftet.
Das Volk wählte diese Oberbürgermeister bei den
letzten Wahlen mit Begeisterung und freien Willen in die regionalen
Vertretungen. Wir möchten betonen, dass die Verhaftungen
auf der Strasse aus der Menge heraus, die Durchsuchungen der
Häuser und besonders der Bürgerhäuser in einem
bisher unbekannten Ausmaß, dem vorgegeben Verständnis
der Türkei für eine Demokratie und ein zeitgemäßes
Rechtssystem nicht entspricht.
Es ist notwendig unser Land vor so einer Schmach der Demokratie
zu bewahren.
Solche, im Namen des Rechts durchgeführte, Repression
und Unterdrückung von Politik hat nichts anderes zum
Ziel, als den gerade begonnen gesellschaftlichen Frieden zu
provozieren. Die Türkei kann für eine ökonomische
und soziale Entwicklung die Demokratisierung nicht übergehen.
Daher wird sich die HADEP mit allen ihren Regionalverwaltungen
und Organisationen gegen jegliche Angriffe stellen, die den
gesellschaftlichen Frieden gefährden. Die Oberbürgermeister
der HADEP haben bisher eine sehr aufrechte, transparente und
demokratische Politik in den Stadtverwaltungen betrieben.
Trotz begrenzter Möglichkeiten bewältigten sie viele
Aufgaben für die Stadtgemeinden und leisteten dabei einen
wichtigen Beitrag für die Demokratie und den gesellschaftlichen
Frieden im Land. Sie bekamen sowohl im Land als auch weltweit
positive Reaktionen und Unterstützung.
Unsere verhafteten Oberbürgermeister sind Personen,
die im Dienste der Gesellschaft stehen, deren Persönlichkeit
das Volk vertritt und die zugleich ein offizielles Amt begleiten.
Das bedeutet: Hätte es auf juristischer Ebene eine ordentliche
Anklage mit Vorladung gegeben, so gäbe es auch in diesem
Fall keinen Grund sich zu entziehen. Aber ein solches rechtswidriges
und illegitimes Vorgehen bedeutet nichts anderes als die freie
Entscheidung des Volkes zu bedrohen und zu unterdrücken.
Die Erklärung der Verwaltung des Ausnahmezustandsgebietes
entspricht nicht der Wahrheit. Es wird versucht mit den unwahren
Behauptungen von Aussagewilligen, die womöglich durch
Gewaltanwendung erpreßt wurden und hypothetisch sind,
unsere Oberbürgermeister zu beschuldigen. Durch diese
Anschuldigungen soll unsere Partei und die Regionalverwaltungen
absichtlich politisch und durch ein rechtswidriges Vorgehen
geschwächt werden. Zudem ist unsere Partei immer wieder
Ziel von Angriffe durch organisierte Banden (staatlich unterstützte
politische-kriminelle Organisationen, die durch die Fälle
von Susurluk und Hizbollah bekannt wurden, anm.d.Ü.)
Seit langer Zeit setzt auch der Ministerpräsident (Ecevit
anm.d.Ü.) seine unberechtigten, haltlosen und rechtswidrigen
Beschuldigungen fort. Schon in früheren Erklärungen
haben wir betont, dass diese Behauptungen des Ministerpräsidenten
uns ins Visier von undemokratischen Kräfte bringt. Auf
jeden Fall bestätigen solche kontinuierlichen Rechtsverletzungen
unsere Sicht der Dinge. Deshalb bewerten wir die Kampagne
des Ministerpräsidenten, die sich zu unserem Nachteil
auswirkt, als besonders destruktiv.
Wir fordern ihn auf gegenüber den politischen Parteien,
den regionalen Verantwortlichen und dem freien Willen des
Volkes mehr Respekt zu zeigen und die rechtlichen Bestimmungen
einzuhalten.
Wir fordern die sofortige Freilassung unserer Oberbürgermeister,
die Einstellung jeglicher Angriffe gegen unsere Partei und
regionale Verwaltungen."