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Berlin, März 2000


Skandal: Verfassungsschutz von NRW veröffentlichte Tagebuch


Wir dokumentieren eine Erklärung deutscher InternationalistInnen zu der vom Landesamt für Verfassungsschutz (VS) NRW veröffentlichten Broschüre "Von den Bergen in die Metropole..."

Stellungnahme zu den Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes NRW und des Magazins DER SPIEGEL

Auf seiner Internetseite veröffentlichte im Februar 2000 der Verfassungsschutz NRW eine Broschüre unter dem Titel "Von den Bergen in die Metropole, Motive, Denkstrukturen und Ziele deutscher Kurdistan Brigadisten." Das Material für die Veröffentlichung stammt hauptsächlich aus Hausdurchsuchungen, die das Bundeskriminalamt (BKA) im Februar 1998 bei mehreren, gerade aus Kurdistan zurückgekehrten, InternationalistInnen beschlagnahmt hatte. Bis heute ist weder den Betroffenen, gegen die ein Ermittlungsverfahren nach §129a, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung läuft, noch ihren Anwälten, Einblick in die Ermittlungsakten gewährt worden. Dem Verfassungsschutz NRW aber liegen diese wohl vollständig vor.
Der Befreiungskampf in Kurdistan ist legitim. In mehreren europäischen Staaten gibt es offizielle Vertretungen der Befreiungsfront Kurdistan (ERNK). Ausserdem erklärte die Arbeiterpartei Kurdistan PKK 1999 den Kampf und ihre Ziele nur noch auf dem politischen Wege durchzusetzen. Sie stellte den bewaffneten Kampf ein und zog den größten Teil ihrer Guerilla aus der Türkei und Nordkurdistan ab. Trotzdem wird von westlichen Medien der legitime Befreiungskampf der PKK diffamiert und Unwahrheiten über ihn verbreitet.
Seit dem Jahr, an dem auch deutsche InternationalistInnen am Kampf in Kurdistan teilnehmen werden diese von den deutschen Medien diskreditiert. In den seltensten Fällen wird objektiv über deren Erfahrungen, die sie in Kurdistan gemacht haben, berichtet.
Bisher gibt es in der Bundesrepublik Deutschland noch keine gesetzliche Grundlage, die die Teilnahme an Befreiungskämpfen in anderen Ländern verbietet. In dem oben erwähnten §129a Verfahren wird so auch nicht wegen Unterstützung der PKK gegen uns ermittelt, sondern wegen angeblicher Planung einer "terroristischen Vereinigung nach dem Vorbild von RAF und PKK". Internationalistische Praxis soll in der Öffentlichkeit in Verruf gebracht werden.
Ein Beispiel dafür ist der Artikel vom 14.2.2000 in dem Wochenmagazin DER SPIEGEL (7/2000), der unter dem Titel: "Die verlorene Brigade" erschien. Der Artikel soll vermitteln, die wiedergekehrten InternationalistInnen hätten kapituliert und wären desillusioniert. Die Teilnahme am legitimen Kampf gegen die Vernichtung eines ganzen Volkes hätte keinen Wert und sei perspektivlos. Er führe nur in den Tod, zum Verlust der Gesundheit oder ins Gefängnis. Die Journalisten Klaus Brinkbäumer und Georg Mascolo versuchen den Eindruck zu vermitteln, einzelne von uns hätten mit ihnen geredet oder Informationen an sie weiter gegeben. Das ist nicht der Fall! Vielmehr war uns schon vor erscheinen des Artikel bekannt, dass ihnen ein umfassender Bericht des Verfassungschutz über uns vorgelegen hat. In dem Artikel befinden sich u.a. zwei Zitate aus Tagebüchern. Diese Bücher sind Unikate und am 5.2.98 bei den Hausdurchsuchungen beschlagnahmt worden. Nur Beamte des BKA - oder der Bundesanwaltschaft - können den Journalisten die Zitate und deren personelle Zuordnung zugänglich gemacht haben. Wegen dieses Vorgehens ist Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bonn u.a. wegen Verletzung von Privatgeheimnissen (§ 203 StGB) erstattet worden.
Im Februar 2000 hat das Landesamt für Verfassungsschutz (VS) NRW auf seiner Internetseite eine umfangreiche Broschüre mit dem Titel "Von den Bergen in die Metropole. Motive, Denkstrukturen und Ziele deutscher Kurdistan-Brigadisten" veröffentlicht, die mehrere hundert Seiten lang ist. Neben offen zugängliche Texten wie z.B: dem auf der Internetseite der Informationsstelle Kurdistan e.V. veröffentlichte Buch "Licht am Horizont, Annäherung an die PKK", war auch eine Menge von unveröffentlichtem Materialien auf der Webseite des Verfassungsschutzes zu finden. Neben Diskussionsunterlagen, die nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen waren, konnte ein komplettes persönliches Tagebuch einer Internationalistin eingesehen werden.
Dazu ist zu sagen, dass Tagebuchaufzeichnungen im Grundgesetz durch das Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht (Abs. 1 und 2) geschützt sind. Zudem hätte das BKA oder die Bundsanwaltschaft seine "Ermittlungsergebnisse" nicht an Dritte weitergeben dürfen. Seit dem Ende der Nazidiktatur und der Gestapowillkür gilt ein Trennungsgebot für Polizei (wie das BKA) und Geheimdienst (wie den Verfassungsschutz-NRW). Die Weitergabe von beschlagnahmten Tagebüchern an den Geheimdienst ist vor diesem Hintergrund absolut unzulässig. Zudem besagt das Urheberrecht, das Texte nicht ohne die Zustimmung des Urhebers veröffentlicht werden dürfen.
Der VS und das BKA oder die Bundesanwaltschaft haben also gegen eine ganze Reihe von Gesetzen verstoßen. Wir sind juristisch gegen die Veröffentlichungen vorgegangen und haben auch die Datenschutzbeauftragte von NRW eingeschaltet Vorerst hat das Landesamt für Verfassungsschutz NRW dieses Material aus seinen Internetseiten herausgenommen, was als ein Eingeständnis des Verstoßes gegen Gesetze bewertet werden muss.
Warum macht sich der VS die Arbeit, ein ganzes Tagebuch und viele handschriftliche Diskussionsmanuskripte zu ordnen und zu kommentieren, um sie auf einer Webseite für die Öffentlichkeit zu präsentieren?
Ein wesentlicher Grund für diese Veröffentlichungen ist einzelne Personen zu diskreditieren und in der Öffentlichkeit bloßzustellen, in diesem Fall, die Autorin des Tagebuchs. Einem Tagebuch vertraut man neben den Tagesereignissen vor allem sehr persönliche Dinge an. Man spricht in ihm über Widersprüche und Probleme die einen bedrücken oder bedrückten. Keine Person oder staatliche Institution besitzt das Recht darin rumzuschnüffeln. Der VS dreht damit das Innere einer Person nach aussen und will vermitteln: "Wir wissen alles über euch, wir lassen euch nicht in Ruhe, bis ihr aufgebt und euch reumütig zeigt." Schon die Zwischenüberschrift verdeutlicht die Intention des VS. Es geht ihnen um die Aufdeckung der:" (...), Denkstrukturen (...) deutscher Kurdistan Brigadisten." Deswegen veröffentlichten sie Dinge, die nicht für die Öffentlichkeit vorgesehen, sondern als Arbeitsgrundlagen für interne Diskussionen vorgesehen waren.
Die Veröffentlichung persönlicher Aufzeichnungen im Internet, wo sie weltweit zugänglich sind, stellt einen ganz massiven Angriff gegen das Persönlichkeitsrecht dar. Das Landesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt werden, falls es gegen diese Praxis keinen massiven Widerstand gibt, ihre Demontage des Persönlichkeitsschutzes weiter ausbauen; somit können alle Ziel dieses Angriffes werden, die dem Staat auf irgendeine Weise mißliebig sind. Vorstellbar geworden ist, dass abgehörte Telefongespräche, abgefangene Briefe, intimste Aufnahmen aus abgehörten Räumen etc. veröffentlicht werden. Die moderen, skrupellosen Abhörmethoden des Staatsschutzes geben ihm heute die Möglichkeit, dass nichts mehr privat oder persönlich bleibt.

Wir rufen alle demokratischen Institutionen und Organisationen auf, gegen die politische Diskreditierung des legitimen kurdischen Befreiungskampfes aktiv zu sein und der Kriminalisierung und Diffamierung keinen Raum zu lassen.

Wer sich für unsere Arbeit (und den Fortgang des §129a-Verfahrens) interessiert, kann uns erreichen über:

  • Informationsstelle Kurdistan e.V., Hobrechtstr. 14, 12047 Berlin, Tel./Fax: (030) 61305622,Internet: www.nadir.org/isku/

  • Kurdistan-Solidarität Hamburg, Ludwigstr. 13, 20359 Hamburg, Tel./Fax: (040) 43182115

  • AZADI, Rechtshilfeverein für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V., Lindenthalgürtel 102, 50935 Köln, Tel: (0221) 9234497, Fax: (0221) 9234499, Internet: www.nadir.org/azadi/


Für die Klage gegen das BKA und den Verfassungsschutz wird Geld benötigt, um die Anwaltskosten zu bezahlen.
Spendenkonto: der ISKU: PGA Köln, BLZ 370 100 50 Kto. Nr. 3968-506, Kennwort: Klage