Bayerische Aktion gegen kurdische Intellektuelle

10. April 2000

Am 4. und 5. April 2000 durchsuchten Polizeibeamte im Grossraum Muenchen die Wohnungen von zwei kurdischen Schriftstellern und Journalisten. Beide sind als unabhaengige Intellektuelle in den Kurdischen Nationalkongress (Sitz Bruessel) gewaehlt. Sowohl bei Haydar Isik als auch bei Haci Erdogan beschlagnahmten die Beamten im wesentlichen Buecher und Zeitungsausschnitte. Dabei handelt es sich durchweg um Materialien, die oeffentlich zugaenglich sind. Bei Haci Erdogan wurde zusaetzlich die Festplatte des Computers durchsucht und eine Diskette beschlagnahmt. Auf der Diskette befinden sich nach Angaben von Haci Erdogan Texte, die 1986 von Mitgliedern von Pax Christi und Medico International nach einer Delegationsreise nach Kurdistan angefertigt wurden. Ausserdem wurden bei beiden Ausschnitte der prokurdischen tuerkischsprachigen Zeitung "Oezguer Politika" beschlagnahmt. "Oezguer Politika" kann in der Bundesrepublik an jedem Zeitungskiosk gekauft werden.

Bei den Buechern und Zeitungsschnitten handelt es sich jeweils um Einzelexemplare, deren Besitz, selbst wenn es sich um verbotene Publikationen handeln wuerde, keineswegs strafbar ist. Sowohl Haydar Isik als auch Haci Erdogan arbeiten publizistisch; sie sind Mitglied der IG Medien. Fuer beide sind die beschlagnahmten Unterlagen wesentliche Grundlage fuer ihre journalistische bzw. schriftstellerische Arbeit.

Im Durchsuchungsbeschluss, der vom Amtsgericht Muenchen und vom Amtsgericht Fuerstenfeldbruck in wortidentischer Form verfuegt wurde, heisst es, es solle nach Spendenquittungen, Spendengeld und Propagandamaterial gesucht werden. Nachdem weder Spendengelder noch -quittungen zu finden waren, nahmen die Beamten offensichtlich jene Unterlagen mit, die mehr oder weniger mit dem Problemfeld Kurdistan zu tun haben, darunter aus Isiks Wohnung auch dessen Roman "Safagi Beclemeyecegiz "(Wir warten nicht auf den Sonnenaufgang) und vier Musikkassetten.

Haydar Isik musste 1980 nach dem Militaerputsch aus der Tuerkei fliehen. Er ist fuer sein langjaehriges Engagement fuer eine politische Loesung des Kurdistankonflikts bekannt. Haci Erdogan arbeitet als Kolumnist fuer "Oezguer Politika" und ist Redaktionsmitglied bei der Vierteljahresschrift "Birnebun".

Das Vorgehen der Behoerden muss nach Meinung der Rechtsanwaeltinnen der beiden Betroffenen in Zusammenhang mit einer Veranstaltung in Muenchen am 25. Dezember 1999 gesehen werden, an der Haydar Isik und Haci Erdogan teilgenommen hatten. Bei dieser Veranstaltung war in geringfuegigem Umfang gegen behoerdliche Auflagen verstossen worden, z.B. als drei (!) Wunderkerzen abbrannten, oder die Kundgebungsteilnehmer "es lebe Apo" skandierten. Apo ist der Spitzname des in der Tuerkei zum Tode verurteilten PKK-Vorsitzenden Abdullah Oecalan. Rechtsanwaeltin Juliane Scheer: "Bestenfalls liegt hier eine Ordnungswidrigkeit vor, die aber unter keinen Umstaenden eine Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt." Vielmehr scheinen Polizei und Staatsanwaltschaft daran gelegen gewesen zu sein, den beiden Nationalkongress-Mitgliedern zu verstehen zu geben, dass ihre Aktivitaeten (wie die Organisation einer Feier zum kurdischen Neujahrsfest Newroz am vergangenen Samstag in Muenchen) unerwuenscht sind. Gegen die Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahmungen werden Hyadar Isik und Haci Erdogan Rechtsmittel einlegen.

Der Verband deutscher Schriftsteller (VS) in der IG Medien hat in einer Erklaerung vom 5. April 2000 aufs schaerfste gegen das Vorgehen der Behoerden protestiert (siehe Pressemitteilung 35 vom 5. April 2000). Am Wochenende protestierten in mehreren Staedten der Bundesrepublik Kurden gegen die Vorfaelle in Bayern.