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Berlin 19.April 2000
* CHRONOLOGIE UND ZUSAMMENFASSUNG - STAND DER DINGE *
Ärzte des Haft-Krankenhauses der JVA-Moabit warten offensichtlich
auf das Eintreten der Bewußtlosigkeit von Soja Schatz
Soja Schatz macht seit 61 Tagen einen Hungerstreik aus Protest
gegen ihre Abschiebehaft.
Aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes wurde Soja Schatz
am Montag, den 10.4.(ihr 52. Tag im Hunger), zusammen mit Dana Wlasenko
(48. Tag im Hunger) ins Haftkrankenhaus der JVA-Moabit gefahren.
Das heißt, anstatt in ein normales Krankenhaus und dann in
die Freiheit zukommen, befanden sie sich jetzt im Bereich des Strafvollzugs.
Die Frauen, die sich wochenlang in einer Vierer- bzw. Dreier-Gemeinschaftszelle
befanden und sich gegenseitig unterstützen konnten, wurden
jetzt getrennt. Besucherinnen wurden zunächst für drei
Tage überhaupt nicht zugelassen - und dann erst nach einer
umständlichen Anmelde- und Überprüfungsprozedur durch
Innenverwaltung und Justizverwaltung. Die Frauen selbst durften
nicht mehr nach Bedarf telefonieren. Dieses wurde nur über
eine Sozialarbeiterin zugelassen, die jedoch nicht erschien. Soja
Schatz gelang es in den drei Tagen einmal mit ihrem 17-jährigen
Sohn in Cuxhaven zu telefonieren,
Dana Walsenko konnte überhaupt nicht telefonieren.
Dana W. wurde Ende der Woche aufgrund ihres katastrophalen Gesundheitszustandes
mit der Begründung "reiseunfähig" entlassen,
kam sofort in ein Krankenhaus und wird seither intensiv betreut
und therapiert.
Erst über einen Verwaltungsgerichtsbeschluß wurde einem
schon vor Wochen eingereichten Antrag von Soja Schatz auf Untersuchung
durch eine Ärztin ihres Vertrauens und auf eigene Kosten, am
Donnerstag stattgegeben. Ihre Ärztin untersuchte sie umgehend
noch am Donnerstag, erstellte ein Gutachten und beurteilte ihren
Zustand als lebensbedrohlich.
Aus diesem Grunde wurde auch der "Fall" Soja S. vorzeitig
am Freitag abend in der JVA verhandelt. Der Arzt des Haftkrankenhauses
diagnostizierte "Reisefähigkeit für die nächsten
10 Stunden" - ein Zeitraum, der für den Transport in die
Ukraine bzw. für die Abschiebung nötig wäre. Für
den nächsten Tag mochte dieser Arzt sich schon nicht mehr festlegen.
Daß Soja S. aufgrund fehlender Papiere überhaupt nicht
abgeschoben werden kann und genau aus diesem Grunde monatelang ungerechtfertigt
in Abschiebehaft sitzt, spielte für die Richterin keine Rolle.
Auch scheinen die Gerichte davon auszugehen, daß die Lebensgefahr
gebannt sei, weil Soja Schatz sich in einem Krankenhaus befindet.
Tatsache ist allerdings, daß sie ihren konsequenten Hungerstreik
natürlich auch dort fortsetzt und außer Wasser nichts
zu sich nimmt. Auch verweigert sie weiterhin Infusionen und Medikamente
jeder Art (z.B. Kalium-Tabletten). Das heißt nach biologischer
Logik muß es ihr zunehmend schlechter gehen und ein Zustand
der Bewußtlosigkeit liegt nahe.
Wie berichtet wurden die hungerstreikenden Frauen schon seit einigen
Wochen in drei- bzw. zweitägigen Abständen vom Abschiebegefängnis
Kruppstraße ins Krankenhaus Moabit gebracht, wo ihre Blutwerte
gemessen wurden. Während Soja Schatz schon vor zweieinhalb
Wochen von den Ärzten der Rettungsstelle dieses Krankenhauses
auf die Risiken ihre Hungerstreikes hingewiesen wurde und ihr dringend
geraten wurde, Infusionen oder zumindest Kalium zu sich zu nehmen,
wurden in der Gerichtsverhandlung am Freitag von den Ärzten
des Haftkrankenhauses (JVA) völlig normale Blutwerte vorgelegt.
Die Frage, wie das denn sein könne, wo Frau Schatz doch schon
längere Zeit deutlich zuwenig Kalium im Blut hätte, beantwortete
der behandelnde Arzt mit dem Satz, sie würde ja Mineralwasser
trinken, wodurch dieser Wertesprung zu erklären sei. Fakt ist
allerdings, daß Soja Schatz seit 8 Wochen Mineralwasser trinkt
- und daß sich mindestens daraus der Wertesprung - auch medizinisch,
biochemisch, ernährungsphysiologisch usw. - nicht erklären
läßt.
Noch zynischer war die Einschätzung ihrer durch den Hungerzustand
bedingten Kreislaufdepression. Hierzu äußerte sich der
Haftarzt in der Verhandlung, daß die während der Abschiebung
bedingte Streßsituation (Adrenalin-Ausschüttung) einen
schwachen Kreislauf nur stabiler machen könne.
Daß Soja Schatz ihren Hungerstreik gegen die unberechtigte
Inhaftierung weiterführen wird, hat sie durch ihre starke Haltung
in diesem langen Streik immer wieder bewiesen. Es gibt für
sie keinen anderen Grund aufzuhören, als die Entlassung aus
der Haft. In diesem Falle würde sie umgehend Infusionen zustimmen
und den Hungerstreik beenden.
Das wissen die Richter, das weiß der Innensenator und das
wissen die Ärzte. Und an letzteren hängt die Entscheidung
über die Haftfähigkeit und somit über die sofortige
Entlassung. Aber was diese zur Zeit verantwortlichen Ärzte
tun, ist noch weniger zu verstehen. Anstatt Soja Schatz ab sofort
zu entlassen, weil eine Besserung ihres Zustandes nicht eintreten
kann, haben sie ihre Kontrollen intensiviert. Durch ständige
Blutdruckmessungen und auch nächtliche Blutzuckerbestimmungen
haben sie sich entschlossen, den körperlichen Verfall von Soja
Schatz intensiver zu dokumentieren.
Ärztliche Fürsorge oder zynische Befehlserfüllung
?
Soja Schatz geht es rapide schlechter. Die wenigen Besuche von
Freundinnen muß sie aus Gründen der Schwäche immer
schneller - schon nach wenigen Minuten - abbrechen. Sie wird inzwischen
in einem Rollstuhl gefahren. Liegt meistens auf dem Bett - ist schon
lange ein Schatten ihrer selbst.
Sie kann nicht verstehen, warum sie überhaupt in Haft ist.
Schon vor vier Wochen sprach sie uns für eine Demonstration
die Forderungen der damals noch fünf hungerstreikenden Frauen
auf ein Tonband: Sie sagte: "Wir sind keine Verbrecherinnen.
Warum sind wir in einem Gefängnis?" "Wir bitten,
daß man uns die Freiheit gibt"
Von ursprünglich fünf hungerstreikenden Frauen, sind
inzwischen drei entlassen.
Anastasia Poljakova (19 Jahre alt) nach 29 Tagen Hungerstreik am
22. März aus gesundheitlichen und formalen Gründen.
Natalja Bazarja (33 Jahre alt) am 13. April, aus formalen Gründen,
denn sie saß offensichtlich aufgrund einer Schlamperei der
Ausländerbehörde monatelang in Haft.
Dana Wlasenko (24 Jahre alt) nach 52 Tagen Hungerstreik - aus gesundheitlichen
Gründen am 14. April.
Lyudmyla Orlova (22 Jahre alt), befindet sich heute noch im Abschiebegegefängnis
Kruppstraße. Psychisch und körperlich am Ende, versuchte
sie vor einer Woche, ihren Hungerstreik nach 48 Tagen abzubrechen.
Schon die Aufnahme von Obstsäften nach wochenlangem Wasserverzehr
verursachte ihr schwerste Magen-Darm-Probleme. Anstatt sie wenigstens
jetzt in ein Krankenhaus zubringen, in dem sie kontrolliert und
vorsichtig aufgebaut werden könnte, bleibt sie sich selbst
überlassen. Auch die während des Hungerstreiks häufigen
Blutkontrollen hörten schlagartig auf. Lyudmyla O. leidet weiterhin
unter starken Nieren- und Kopfschmerzen. Obwohl die Haftärzte
der Kruppstraße ihr auf ihre Bitten hin eine Schonkost zugesagt
haben, bekommt sie diese nur sporadisch.
Stattdessen allerdings regelmäßig: ein Psychopharmakon.
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AB HEUTE WERDEN PROTESTKUNDGEBUNGEN VOR DEM HAFTKRANKENHAUS
UND ANDERSWO STATTFINDEN:
Täglich 17 Uhr Berlin-Moabit, Rathenower Str. 80/82 - Pforte
6
Die Forderungen der UnterstützerInnen:
- sofortige Freilassung von Soja, und Lyudmyla!
- Weg mit den Abschiebeknästen!
Schon heute mittag versuchte ein Gruppe von UnterstützerInnen
ein Gespräch mit Innensenator Werthebach zu erwirken. Von Seiten
der Senatsverwaltung hieß es erwartungsgemäß, es
bestehe kein Gesprächsbedarf zum Thema Hungerstreik in Abschiebehaft.
Die DemonstrantInnen entrollen ein Transparent vor dem Eingang der
Behörde und forderten die sofortige Freilassung von Soja Schatz
und Lyudmyla Orlova aus der Abschiebehaft.