HUNGERSTREIK IN SINGEN (BADEN-WÜRTTEMBERG)

Etwa 20 Flüchtlinge der Flüchtlingsunterkunft Bohlinger Straße in Singen protestieren seit letzter Woche mit einem unbefristeten Hungerstreik gegen die unwürdigen Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt sind.

Fast alle (bis auf zwei erkrankte) BewohnerInnen der Bohlinger Straße verweigerten am Freitag, den 11. Mai, die Annahme der Essenspakete. Die Zusammensetzung dieser Pakete entspricht in keinster Weise den Bedürfnissen der Menschen, ihr Inhalt nicht ist ausreichend und oft verdorben, beim Fleisch fehlt die Kennzeichnung durch ein Verfallsdatum. Ebenfalls am Freitag fand ein gemeinsamer Protestzug zum Rathaus statt, um ihre Forderungen nach Verbesserung der Zustände vorzutragen. Dort erklärte man sich für nicht zuständig und versprach, den Protest ans Landratsamt weiterzuleiten. Noch am selben Tag traten ca. 20 Personen in den Hungerstreik.

Seit Montag, dem 15. Mai, sitzen die hungerstreikenden Flüchtlingen nun zusammen vor dem Haus in der Bohlinger Straße, wo sie mit Transparenten, T-shirts und einem Hungerstreik-Zelt ihren Forderungen Nachdruck verleihen.

Ihr Protest richtet sich gegen die unhygienischen und gesundheitsgefährdenden Zustände in der Unterkunft, gegen die Esspakete, gegen das Arbeitsverbot für Flüchtlinge. Sie fordern ausreichend Geld, um ihre Bedürfnisse decken zu können und die Aufhebung des Verbotes, den Landkreis verlassen zu können.

Die Folgen ihrer sozialen Isolierung sind gravierend: Die Kinder leiden aufgrund der schwierigen Lebensumstände unter schulischer Benachteiligung. Die Erwachsenen haben keine ausreichenden Möglichkeiten, Deutsch zu lernen, wodurch eine funktionierende Kommunikation mit Ämtern, AnwältInnen, ÄrztInnen, LehrerInnen fast unmöglich ist. Ein junger Mann prangert an, dass grundlegende Menschenrechte, die in der UN-Menschenrechtserklärung verankert sind wie das Recht auf Leben, auf Bildung, auf Essen, auf Arbeit für Flüchtlinge in Deutschland offenbar nicht gelten. Der immense psychosoziale Druck, dem Flüchtlinge ausgesetzt sind und der meist durch die Gefahr der Abschiebung verstärkt wird, führt immer wieder zu Selbstmorden: allein in der Region gab es in diesem Jahr schon drei Suizide von Flüchtlingen in einer Asylbewerberunterkunft.

Mitverantwortlich für die repressive Lage der Flüchtlinge in Singen ist auch die Polizei. Noch immer leiden zahlreiche Bewohner der Bohlinger Straße unter den traumatisierenden Folgen der Großrazzia vom 28. Februar, wo ein immenses Polizei- und BGS- Aufgebot in den frühen Morgenstunden die Leute in Angst und Schrecken versetzte, ihnen die Türen eintrat, ihr Hab-und Gut beschlagnahmte... Seitdem tauchen wöchentlich etwa zwei Mal wöchentlich Polizisten in der Bohlinger Straße auf, und schüchtern damit die Bewohner ein.

Auch als am Dienstag, dem 5. Hungerstreiktag, Herr Egenhofer vom Landratsamt und seine Vorgesetzte Frau Autrach in der Bohlinger Straße erschienen, um mit den Flüchtlingen zu verhandeln, fanden sich wiederum mindestens 7-8 Zivilbeamte und sonstige Polizeikräfte ein.

Bei ihrem Besuch hatten die Vertreter des Landratsamtes jedoch nicht die Verhandlung mit allen Hungerstreikenden im Sinn, sondern ein Gespräch in einer kleinen Runde abseits der Gruppe mit einzelnen Vertretern verschiedener am Hungerstreik beteiligter "Völker" - weil es sich so gemäß der Aussage der Beamten des Landratsamts besser zu einem Ergebnis kommen ließe. Darauf wollten sich die Flüchtlinge jedoch nicht einlassen und bestanden darauf, vor Ort alle gemeinsam mit dem Landratsamt verhandlen, worauf Herr Egenhofer gleich ihre Dialogbereitschaft in Frage stellte und gezielt einzelne Leute ansprach - und nicht die Gruppe -, ob sie denn bereit seien, mit ihm zu sprechen - unterstellend, dass die anderen es nicht sind und dass mit den Flüchtlingen nicht zu reden sei. Die Gelegenheit mit ihm und seiner Vorgesetzten jetzt zu sprechen, sei eine historische Möglichkeit, mit einem Vertreter einer höheren Stelle zu reden. Dabei sagte er subtil drohend: "Morgen würd e es ja Taschengeld geben..."

Schließlich stimmten die Flüchtlinge einem internen Gespräch in einer kleineren Gruppe zu. Von Seiten des Landratsamts wurde diese Unterredung gegenüber einem Journalisten als sehr harmonisch geschildert. Im Prinzip sei man sich einig, es gebe nur ein paar kleine Meinungsverschiedenheiten. Die Frauen seien auch alle mit den Essenspaketen einverstanden. Bis auf zwei oder drei Quertreiber seien die Flüchtlinge zufrieden. Dies macht deutlich, dass die Taktik dieser Gesprächsführung auf Spaltung abzielt. Einzelne Flüchtlinge sollen isoliert und als Rädelsführer kriminalisiert werden. Auch bei früheren Protesten von Flüchtlingen - z.B. in Stuttgart - wurde von offizieller Seite unterstellt, dass sie von einzelnen angestiftet oder gezwungen worden seien, und dass es nicht die menschenunwürdigen Zustände selbst seien, die den Widerstand hervorriefen - eine perfide Argumentationsweise, die auch in einer See-TV-Reportage am Montag Abend anklang.

Die bei dem Gespräch anwesenden Flüchtlinge widersprachen der Version des Landratsamts. Zufrieden sind sie nicht. "Deshalb sind wir hier und streiken weiter." Eine Frau sagte: "Wir essen nicht und schlafen draußen" Die Vertreter des Landratsamts hätten zwar versprochen, "ein bisschen sauber zu machen" und etwas gegen die unhygienischen Mülleimer zu unternehmen. Wegen der 15 DM Gebühr für die Reiseerlaubnis wolle man verhandeln. Auf die anderen Forderungen aber sei entweder nicht eingegangen worden oder das Landratsamt habe sich als nicht zuständig erklärt.

Gegen die Streikenden wurde versucht, mit Erpressung vorzugehen. Wenn die Flüchtlinge am Mittwoch die Essenspakete nicht annähmen, würde kein Taschengeld ausgezahlt werden. Der Kommentar von Flüchtlingen: "Wir wollen kein Geld, wenn es keine Lösung gibt." Einige sind bereit, bis zum äußersten zu gehen, wenn es keine Lösung gibt.

Karawanengruppe Konstanz c/o Nicole Niedermüller, Cherisy Str. 18, 78467 Konstanz, Tel.: 07531/818076, e-mail: nicole.niedermueller@gmx.de

 

Forderungen der hungerstreikenden Flüchtlinge in der Flüchtlingsunterkunft Bohlingerstrasse, Singen:

Wir sind Menschen und wollen leben wie Menschen.

- Wir wollen wie Menschen behandelt werden

- Wir fordern das Recht auf Arbeit, auf eine Arbeitserlaubnis

- Wir wollen keine Esspakete, die schon stinken

- Wir verlangen ein Taschengeld, mit dem wir unseren Bedarf auch decken können.

- Wir fordern mehr Sauberkeit und Hygiene im Heim. Die Gesundheit unserer Kinder steht auf dem Spiel.

- Die Flüchtlingskinder, die in die Schule gehen, bleiben wegen der schlechten Lebensumstände im Heim hinter den anderen Kindern zurück

- Wir verlangen die Aufhebung des Verbots den Landkreis zu verlassen.

- Wir verlangen die Aufhebung der Gebühren für die Bewilligung, die man zum Verlassen des Landkreises braucht.