ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 439 / 08.06.2000 "Der Kranich hat erste Federn gelassen. Wir werden ihn weiterrupfen ..." Zwischenbilanz der Lufthansakampagne von kein mensch ist illegall "Als Linienfluggesellschaft unterliegt Lufthansa der Beförderungspflicht von Personen. Gemäß Luftverkehrsgesetz (§ 21, Abs.2) muss sie grundsätzlich alle Personen mit gültigem Ticket und den erforderlichen Reisedokumenten für das jeweilige Zielland akzeptieren." (Lufthansa-Pressestelle vom August 1999) "Lufthansa lehnt Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen grundsätzlich ab und befördert sie seit Juni 1999 nicht mehr." (Lufthansa-Pressemitteilung vom 11. April 2000) Dass der letzte Halbsatz der Lufthansa-Pressemittelung vom April diesen Jahres nicht der Wahrheit entspricht, soll im folgenden noch genauer erläutert werden. Doch zunächst überrascht der öffentliche Betonungswandel bei Lufthansa (LH). Hatte Lufthansa bislang jede Kritik an ihrer Beteiligung bei Abschiebungen kaltschnäuzig abgeblockt, hört sich dies seit dem 11. April alles ganz anders an. Kein Zufall: Denn wenige Tage zuvor hatten mehrere im antirassistischen Netzwerk kein mensch ist illegal zusammengeschlossene Gruppen ihr erstes Aktionswochenende gegen die "deportation class" gestartet. Eine unter diesem Titel erscheinende Kampagnen-Zeitung war erstmals im März auf der Internationalen Tourismusmesse (ITB) in Berlin verteilt worden: von dunkelblau-orange gekleideten Damen, die gut als Stewardessen hätten durchgehen können. Erste Missstimmungen bei den anwesenden Lufthansa-Oberen waren dort unschwer zu erkennen gewesen. Wenige Tage später hatten militante AntirassistInnen den Lufthansa-Chef Weber in seiner Hamburger Villa besucht und reichlich rote Farbe hinterlassen. Am 8. April waren dann die Lufthansa-Schalter an den Flughäfen in Hamburg, Hannover und München Ziele von Protestkundgebungen. Und tags zuvor veranstalteten AktivistInnen in Seeheim-Jugenheim, in der Nähe von Darmstadt, ein Go-In im Zentralen Ausbildungszentrum der Lufthansa. Die Nervosität steigt "Arme Lufthansa. Militante Menschenrechtler haben der Kranich-Fluglinie in den letzten Tage übel mitgespielt!", schrieb rührselig die Bild-Zeitung, und die "deportation class" wurde nachfolgend des öfteren zum Lufthansa nervenden Pressethema. Die Kampagne hatte damit schneller den beabsichtigten Erfolg errungen als erwartet. Lufthansa war unter Rechtfertigungsdruck geraten, offensichtlich verunsichert und das Image erstmals angeschlagen. Im Rahmen von Pressenachfragen, und um sich gegen den "absurden Vorwurf" zu wehren, vom Abschiebegeschäft zu profitieren, gestand Lufthansa dann auch ungewollt die Dimension ihrer Abschiebebeteiligung ein. 40 Millionen Passagiere transportiere Lufthansa pro Jahr, da könne bei 10.000 Abschiebungen doch nicht von Geschäft gesprochen werden. Peanuts, so lag es auf der Zunge. Die Süddeutsche Zeitung erfuhr gar von 16.000 Abschiebungen unter LH-Flugnummern im Jahr 1999, was dann nahezu die Hälfte der rund 33.000 vom Bundesgrenzschutz (BGS) in seiner Jahresstatistik aufgeführten Rückführungen ausmachen würde. Diese Abschiebungen werden in abgestufter Brutalität durchgesetzt. Dass, nach offiziellen Angaben, ca. 90% der sog. Deportees unbegleitet fliegen, mag stimmen. Doch die angebliche Freiwilligkeit ist knallhart erzwungen: Denn die Alternative ist bei vielen Betroffenen die Fortdauer von monatelanger Abschiebehaft. 10% der "Schüblinge", und für 1998 hat der BGS 9.000 eskortierende Beamte gezählt, fliegen "begleitet", und dann nach wie vor unter Anwendung nahezu aller Gewaltmittel. Nach dem Tod von Aamir Ageeb im Mai letzten Jahres hatte Innenminister Otto Schily die allzu gewalttätigen Durchsetzungsmittel eingeschränkt, doch nach einer kurzen Schamfrist können heute sogar wieder Helme eingesetzt werden. Und Spezialisten sind, wie der Spiegel (18/2000) berichtet, mit der Entwicklung neuer Spezialhelme sowie aus den USA angelernter Fesselungstechniken beschäftigt. Peanuts für die Lufthansa Die Behauptung, bei Lufthansa würde seit Juni 1999 nicht mehr gegen den Widerstand der Betroffenen abgeschoben, muss leider als PR-Märchen abgetan werden. Ein Leipziger Professor war noch im März 2000 Zeuge eines brutalen Abschiebeversuchs geworden. Die Crew des LH-Fluges 4115 von Paris nach Berlin hatte nicht reagiert, bis der Professor dem Kapitän juristische Konsequenzen androhte. Daraufhin wurde der Flug abgesagt. Vom Januar 2000 datiert ein anderer Abschiebungsfall mit Lufthansa in den Sudan, ein Land, in das fast ausschließlich mit Lufthansa abgeschoben wird. Gefesselt war ein protestierender Flüchtling von Gera bis zum Frankfurter Flughafen gebracht worden. BGS-Beamte setzten ihn ins Flugzeug und ließen ihn mit dem Versprechen zurück, dass er ja bei der Zwischenlandung in Kairo aussteigen könne. Doch in Kairo verweigerte der Kapitän die Herausgabe der Pass-Dokumente und zwang den Sudanesen zum Weiterflug. Dieser Vorfall, der die offensichtliche Zusammenarbeit von BGS und Flugkapitän beweist, deutet auf eine Praxis hin, die sich offiziell natürlich nicht belegen lässt. Vermittelt von der Lufthansa-Sicherheitsabteilung bucht der BGS Deportees auf die Flüge, bei denen er sich der Unterstützung oder zumindest Gleichgültigkeit bestimmter Piloten sicher sein kann. Kommt es zu Zwischenfällen, dann landen die entsprechenden "flight reports" wiederum in der Sicherheitsabteilung der Lufthansa, die alles daransetzt, dass nichts an die Öffentlichkeit gerät. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass noch zahlreiche, auch unmittelbar gewalttätige Abschiebungen mit Lufthansa stattgefunden haben bzw. weiter stattfinden. Dass Lufthansa erst im vergangenen Monat, also fast ein Jahr nach ihrem angeblichen Beschluss, in der MitarbeiterInnenzeitung "Lufthanseat" davon berichtet, keine Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen durchzuführen, und dass bis heute keinerlei entsprechende Anweisung an das Flugpersonal ergangen ist, beweist einmal mehr, dass es um einen Showeffekt und allein darum ging, der "deportation class"-Kampagne und der damit verbundenen öffentlichen Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vor dem Showdown Ein vorläufiger Höhepunkt des Protestes steht der Lufthansa demnächst in Berlin ins Haus. Am 15. Juni tagt im ICC die jährliche Aktionärsversammlung. Die feindliche Übernahme ist zwar noch nicht vorgesehen, doch kritische Aktionäre und aktionistische KritikerInnen dürften dieser Veranstaltung eine brisante Stimmung verschaffen. Arme Lufthansa. h., AG3F Hanau Aktuelle Infos, auch zu den Planungen am 15.6. über 0172/8910825 (Kampagnenhandy) sowie über die Webseite: www.deportation-alliance.com |