Dialog-Kreis: "Krieg in
der Türkei -
Die Zeit ist reif für eine politische Lösung"
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7. Juni 2000
Memorandum von Gruppen der deutschen Friedensbewegung
zu notwendigen friedenspolitischen Weichenstellungen im türkisch-kurdischen
Konflikt
Die neue EU-Beitrittsperspektive und die einseitige Beendigung
des militärischen Kampfes durch die kurdische Guerilla der PKK
haben in der Türkei eine Reformdiskussion in Gang gesetzt, welche
die bisherigen Tabu-Grenzen wesentlich überschreitet. Wir begrüßen
diese neue Entwicklung. Die bisher tatsächlich eingetretenen Veränderungen
sind allerdings unbefriedigend. Dies gilt auch und insbesondere für
die Überwindung des türkisch-kurdischen Konflikts: Die türkische
Armee macht im Nord-Irak Jagd auf die aus dem Krieg abziehende kurdische
Guerilla. In mehreren Provinzen herrscht weiterhin der Ausnahmezustand.
Eine Amnestie für die Teilnehmer des Konflikts liegt nicht vor.
Repression gegen kurdische Bevölkerung steht nach wie vor auf der
Tagesordnung. Eine friedenspolitische Weichenstellung ist nur auf der
kurdischen, nicht aber auf der Seite Ankaras erkennbar.
Eine beidseitig befriedigende Lösung des kurdisch-türkischen
Konflikts ist jedoch nicht nur die Voraussetzung für einen Beitritt
der Türkei zur EU, sondern auch für die Entwicklung des ganzen
Landes. Es gilt also, die friedenspolitischen Voraussetzungen für
Versöhnung und Wiederherstellung der Kooperationsfähigkeit
zu schaffen und damit ein gleichberechtigtes Zusammenleben der Völker
mit ihren unterschiedlichen Kulturen und Religionen im Nationalstaat
Türkei in seinen bestehenden Grenzen unter menschenrechtlichen
Bedingungen zu ermöglichen.
Die von uns vorgeschlagenen ersten fünf friedenspolitischen Weichenstellungen
in der Türkei beziehen sich alle auf Vertrauen bildende Maßnahmen.
Sie können relativ einfach und schnell vollzogen werden und eine
erhebliche Entspannung bewirken. Damit würden günstige Voraussetzungen
für weitere Schritte gerade auch in Bezug auf den beabsichtigten
EU-Beitritt im demokratisch-politischen, menschenrechtlichen, wirtschaftlichen,
entwicklungspolitischen, sozialen und rechtlichen Bereich geschaffen.
1. Die Einstellung der militärischen Operationen der türkischen
Armee gegenüber der sich aus der Türkei zurück ziehenden
Guerilla und ihren Sammelplätzen außerhalb des Landes wäre
ein unübersehbares Zeichen für die Bereitschaft Ankaras zu
einer friedenspolitischen Lösung. Ihm kommt eine herausragende
Bedeutung zu.
2. Die Beendigung des Ausnahmezustandes und die Auflösung der
dazu gehörenden Institutionen (Supergouverneur, Spezialteams
und Dorfschützer) sind die Voraussetzung für die Normalisierung
des gesellschaftlichen Lebens und die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung
durch die gewählten Volksvertreter. In diesen Zusammenhang gehört
auch die unbehinderte Organisationsfreiheit für Verbände und
Parteien. Hierdurch kann ein Schub an Bereitschaft zur Bewältigung
der Kriegsschäden und eine Eigenzuständigkeit der Menschen
vor Ort gefördert werden.
3. Freilassung und Amnestie für alle 'Meinungstäter' und
Abschaffung bzw. Außerkraftsetzung aller die freie Meinungsäußerung
und die Medien einschränkender Gesetze. Das Ziel ist, die Einschüchterung
in der Meinungsäußerung zu überwinden, und die öffentliche
Diskussion über die Gestaltung von Gesellschaft gleichberechtigt
zu ermöglichen.
4. Die am Krieg Beteiligten - seien es Türken, seien es Kurden
- werden durch ein Amnestiegesetz für die Kriegshandlungen,
sowie für die politischen Einstellungen und Handlungen, die
damit verbunden waren (z.B. Separatismusvorwurf), außer Strafverfolgung
gesetzt. Das Ziel ist es, den Kriegsteilnehmern und Verantwortlichen
eine Rückkehr und die Aufnahme eines verantwortlichen zivilen Lebens
zu ermöglichen. Dadurch können mögliche Ansatzpunkte
für eine erneute Eskalation von Gewalt auf beiden Seiten überwunden
werden.
5. Die fünfte Weichenstellung ist die Aufhebung aller Einschränkungen
für die sprachlichen, kulturellen und religiösen Ausdrucksformen
der Menschen in der Türkei verschiedener ethnischer und religiöser
Herkunft. Die Türkei muss endlich als Vielvölkerstaat
akzeptiert werden. Dadurch würde die laizistische und nationale
Grundausrichtung des Staates nicht in Frage gestellt, jedoch die unterschiedlichen
Identitäten respektiert werden. Viele konfliktträchtige Problembereiche
würden so überwunden, welche die Geschichte des türkischen
Nationalstaates in der Vergangenheit schwerwiegend belastet haben. Gleichzeitig
ließen sich wichtige 'Kopenhagener Kriterien' erfüllen.
In der Zeit notwendiger friedenspolitischer Weichenstellungen gilt nach
wie vor der Satz aus dem 'Aufruf zu einem europäischen Friedensdialog':
"Freundschaft zur Türkei kann in dieser historischen Situation
nur heißen, ihrer großen Gesellschaft aus Türken, Kurden,
Armeniern, aus Moslems, Christen und anderen Völkern und Religionen
beizustehen, um Gespräche und Verhandlungen für das zukünftige
friedliche Zusammenleben endlich beginnen zu lassen." Friedenspolitische
Weichenstellungen sind also auch von den EU-Staaten zu fordern.
Das was in der Türkei im türkisch-kurdischen Konflikt erreicht
werden soll - Respektierung, Gleichberechtigung und Problemlösung
durch demokratische Verfahren und Dialog - ist auch den türkisch-
und kurdischstämmigen Immigranten in der EU zu ermöglichen,
handelt es sich doch hierbei um 'Kopenhagener Kriterien', die als Messlatte
für die EU-Beitrittsmöglichkeit der Türkei angewandt
werden. Dies bedeutet:
Auch die Kurden müssen in allen EU-Staaten als gleichberechtigte
Volksgruppe im Vergleich zu Immigranten aus anderen Völkern
behandelt und dementsprechend gefördert werden. Ihnen sind die
gleichen kulturellen Rechte zuzugestehen. Ihre doppelte Qualifikation
als türkische StaatsbürgerInnen, wie auch als Menschen kurdischer
Herkunft und Kultur ist zu respektieren.
In den EU-Staaten ist dort, wo türkische und kurdische Immigranten
leben, ein türkisch-kurdischer Dialog mit friedenspolitischer
Zielsetzung anzuregen, zu vermitteln und zu fördern. Dabei
können die Möglichkeiten der Friedensforschung sowohl für
die Vermittlung als auch zur Entwicklung friedenspolitscher Strategien
genutzt werden. Dies wiederum hat zur Voraussetzung, dass nach der tiefgreifenden
friedenspolitischen Wende der PKK nun auch sie in den Dialog einbezogen
wird und die noch bestehenden Verbote und Diskriminierungen aufgehoben
werden. Die Tatsache, dass Ankara sich noch weigert, mit allen kurdischen
Organisationen zu sprechen, darf kein Grund für die EU-Staaten
sein, sich ebenso friedensabweisend zu verhalten.
Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit der EU-Staaten mit der
Türkei muss unter friedenspolitischen Gesichtspunkten bedacht werden.
Die Millionen vertriebener Kurden, die tausende zerstörter Dörfer,
die zerbrochene Infrastruktur in den vornehmlich von Kurden besiedelten
Gebieten, die Generation meist schreibunkundiger und beruflich nicht
ausgebildeter Kinder, eine katastrophale Gesundheitsversorgung und rechtliche
Unsichertheit belasten den notwendigen Friedensprozess sehr. Hier ist
mit Hilfe zur Selbsthilfe und Strategien des Wiederaufbaus und der Armutsbekämpfung
für alle BürgerInnen dieser Region gezielt Hilfe zu leisten.
Entwicklungspolitik kann hier eine eminente, friedensfördernde
Funktion übernehmen.
Auch an die Rüstungsexportpolitik der EU-Staaten sind friedenspolitische
Anforderungen und Kriterien anzulegen. Die Aufrüstungswünsche
der Türkei stehen in einem eklatanten Missverhältnis zu den
Anstrengungen für den EU-Beitritt wie auch zu den friedenspolitischen
Anforderungen. Das Land mit seinem ohnehin riesigen Militärpotential
und seinem de facto Militärbündnis mit den USA und Israel
ist keiner äußeren militärischen Bedrohung ausgesetzt.
Vielmehr müssen sich die Nachbarstaaten Ankaras, wie die Einfälle
der türkischen Armee in den Nord-Irak zeigen, bedroht fühlen.
Jede weitere Aufrüstung des Landes durch moderne Waffen aus den
EU-Ländern ist deshalb aus friedenspolitischer Sicht ein falsches
Signal. Es gilt den zivilgesellschaftlichen Friedensprozess zu stärken,
nicht aber die Militarisierung des Landes.
Die deutschen Friedensorganisationen, die dieses Memorandum unterzeichnen,
schlagen vor, dass eine europäische Initiative bei den befreundeten
und interessierten Organisationen in anderen EU-Staaten gestartet wird,
um ein 'Zivilgesellschaftliches Forum für eine friedliche politische
Lösung in der Türkei' zu bilden. Dessen Hauptaufgabe wird
es sein, in Kontakt mit der Kommission in Brüssel und den Parlamenten
und Regierungen der EU-Staaten, sowie türkischen Institutionen
und kurdischen Ansprechpartnern die jeweils notwendigen Schritte im
Friedensprozess zu erörtern, Stellungnahmen dazu abzugeben und
jährlich eine Bericht zum Stand des Friedensprozesses in der Türkei
herauszugeben.
Nachdem der türkisch-kurdische Krieg fast besiegt ist, gilt es
nun den Frieden zu gewinnen. Dazu wollen wir beitragen.
Auf Einladung des Dialog-Kreises "Krieg in der Türkei - Die
Zeit ist reif für eine politische Lösung" haben folgende
Gruppen der Friedensbewegung das Memorandum unterzeichnet:
* Aachener Friedenspreis * AGDF - Aktionsgemeinschaft Dienst für
den Frieden * AG Türkei/Kurdistan im Netzwerk Friedenskooperative
* Arbeitskreis "Asyl" der Hauptpfarre Mönchengladbach
* Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz * Bayerischer Flüchtlingsrat
* Bund für Soziale Verteidigung * DFG-VK - Deutsche Friedensgesellschaft
- Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen - Bundesverband * EJDM - Europäische
Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte
in der Welt * Flüchtlingsberatung des "Asylrecht ist Menschenrecht",
Fulda * Flüchtlingsrat Berlin * Förderverein Niedersächsischer
Flüchtlingsrat * Gesellschaft für bedrohte Völker - International
* Helsinki Citizens' Assembly - Deutsche Sektion * Hessischer Flüchtlingsrat
* Initiative Appell von Hannover * IPPNW - Deutsche Sektion der Internationalen
Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, Ärzte in
sozialer Verantwortung * Internationale Liga für Menschenrechte
* Internationaler Versöhnungsbund - Deutscher Zweig * Kampagne
gegen Rüstungsexport (Wiesbaden) * Komitee für Grundrechte
und Demokratie * Koordination der Arbeitsgemeinschaften "Gerechtigkeit
und Frieden" der mitteleuropäischen Franziskanerprovinzen
* medico international * Mitgliederversammlung des Ökumenischen
Netzes Rhein-Mosel-Saar * Pax Christi, Basisgruppe Lahnstein-Nassau
* Pax Christi - Bistumstelle Limburg * Pax Christi - Deutsche Sektion
* Pro Asyl * RAV - Anwältinnen und Anwälte für Demokratie
und Menschenrechte * RIB - Rüstungs-Informationsbüro Baden-Württemberg
* VDJ - Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen.
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