HANS BRANSCHEIDT

FAME & FICTION

Am Mittwoch der vergangenen Woche erreichte mich ein Aufruf von Jörg Hilbert (junge welt) im Namen von Ulla Jelpke MdB und anderen, mit dem ich mich wahrscheinlich sofort auseinandergesetzt hätte, wäre nicht eine dringende Veranstaltungsreise in die Quere gekommen. Der Aufruf las sich unterstützenswert und seinem Inhalt nach schien dringende Unterzeichnung geboten, weil seine Zeichen auf "Gefahr im Verzuge" standen.

Nach eingehender Prüfung der Grundlagen des Aufrufs bin ich inzwischen sehr froh, mich keinem spontanen Unterschriftenleistungs-Reflex unterworfen zu haben. Ein einfacher Blick auf die Herkunft und die Quellen signalisiert bereits äußerste Vorsicht. Die höchst suspekten Kronzeugen und zugleich Produzenten des inhaltlichen Kerns des Aufrufes entstammen der Webseite des in türkisch-amerikanischen intelligence Kreisen notorischen Baran Funderman, weiter die Relaistation der rechtsnationalistischen türkischen Zeitung Milliyet, schließlich die international verbreitende US Agentur "Kurdish Media". Die Qualität der letztgenannten Agentur läßt sich am Beispiel einer von ihr vor 3 verbreiteten Meldung messen, die vom vom angeblichen Ereignis einer Rede des "PKK Sprechers Riza Altun" berichtete, der in "Düsseldorf vor Funktionären der Partei den Rücktritt Abdullah Öcalans gefordert" habe. Blühender Unsinn! Ansonsten stand der obige Aufruf noch im Zeichen der ästhetischen Choreographie des in Nachrichtenfragen nicht gerade heiklen Tilman Zülch, der den ebenfalls wortwörtlich einfach übernommenen Inhalt noch durch die bildzeitungswürdige Schlagzeile vom angeblichen "Todesbefehl aus der Todeszelle" zu dramatisieren wußte. Nicht ohne sofort mit der Anzeige gegen Rechtsanwälte zu drohen, die den selbst imaginierten angeblichen "Todesbefehl" aus der Zelle von Imrali (wie eigentlich?) eventuell in die Kurdischen Berge transportieren möchten. Offenbar gibt es hier ein Bedürfnis, der akuten Weigerung der offiziellen Türkei gegenüber der EU, die Herrn Öcalan drohende Todesstrafe nicht aufheben zu wollen, argumentativ entgegenzukommen: Öcalan soll selber schuld sein, wenn die Türkei nicht den OSZE Anforderungen genügt.

Ein Aufruf also, inspiriert und fundiert von: Milliyet, Baran Funderman, dem ebenfalls dubiosen Selim Cürrückaya, - der Funderman seine Ressourcen zur Verfügung stellt - und eben obendrein vom völkischen Beobachter Zülch aus Göttingen. Das ist mir jedenfalls keine solide und seriöse Grundlage für derart weitgehende Behauptungen und Schlußfolgerungen.

Zwei Tage schon nach der Verbreitung des Aufrufs bestätigte mir ein Gespräch anläßlich einer privaten Feier im Kreise von kurdischen, politisch durchaus neutralen Freunden die Fragwürdigkeit der Liste der Namen der angeblich vom Tode bedrohten: zwei der Kandidaten wurden in diesem Kreis als bereits vor zwei Jahren im Kampf gefallene Menschen identifiziert. Tags darauf meldete sich sehr lebendig die gleichfalls vermeintlich bedrohte Zübeyde Ersöz (deren grausam in den Kerkern der KDP tatsächlich ermordete Schwester übrigens nie des Protestes und Aufrufs für würdig befunden worden ist), verbat sich die fälschliche Benutzung ihres Namens und erklärte in ihrer Funktion als Mitglied des Zentralkomitees der "Partei der arbeitenden Frauen Kurdistans" (PJKK) auch im Namen der anderen Frauen die Meldung als eine bewußt kalkulierte Falschmeldung. Schließlich enthält die willkürliche Liste wohl nicht unabsichtlich die Namen verschiedener Mitglieder aus notablen Clans- und Einflußzusammenhängen kurdischer Familien, was im Zusammenhang mit den einschlägigen Namen Funderman & Cürrückaya allemal mindestens den Verdacht erregt, daß es hier um die Stiftung von Unruhe, Verdacht und Diversion geht, nicht um Tatsachenaufklärung.

Fact & Fiction folgen hier wohl einer bewährten Technik: auf ein Tatsachenereignis, dem Rückzug einer ehemaligen kleinen Guerillagruppe unter Leitung des Cürrückaya Bruders Sait (Suleyman), - ein Ereignis von dem bereits im Mai die Rede war und das niemand je dementiert hat - wurde aus Gründen zielkalkulierter Wirksamkeit eine unbewiesene und in mindestens den genannten Fällen auch widerlegte Tendenzmeldung drauf gesattelt.

Das eigentlich ärgerliche an diesem Ereignis ist das zu erwartende Ergebnis, daß zukünftige und womöglich durchaus berechtigte menschenrechtliche Anfragen unhd Aufrufe fortan mit dem Blick der Skepsis und des Misstrauens zur Kenntnis genommen werden. Die einfache, unüberprüfte Übernahme von Meldungen aus anerkannt fragwürdigen Quellen, führt am Ende nur dazu, dass sich Initiatoren und Unterzeichner (einige sollen bereits von der Liste zurückgetreten sein) selber sich und der Sache einen schlechten Dienst erwiesen haben.

Um allerdings bei alledem kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: die PKK hat verbindlich gegenüber dem IKRK in Genf die Regulatorien für einen menschenrechtlich korrekten Umgang mit Gefangenen und Inhaftierten unterzeichnet. Sie wird daran international streng gemessen und geprüft werden und dürfte daher auch die Konsequenzen bei nachweisbaren Verstößen sehr wohl kennen.

Ganz sicher hat sich die PKK Führung zu einem strikten Friedenskurs bei jeglichem Verzicht auf die Anwendung von Waffen entschlossen, was offenbar einigen Kreise nicht paßt. Was wäre eigentlich - darf man zuletzt fragen - wenn der Präsidialrat einfach zuschauen würde, wenn kleine Kommandos auf eigene Faust weiterhin mit der Durchführung von Gewaltaktivitäten beschäftigt wären? Es gäbe sicher einige, - womöglich sogar unter den von dem auf sie ausgeübten moralischen Druck überrollten Unterzeichnern, - die sofort die Anklage erheben würden: a) die Partei kann ihre eigenen militärischen Strukturen nicht kontrollieren und ist daher b) nicht imstande das verkündete Friedens- und Demokratisierungsprojekt zu garantieren.

Hans Branscheidt