Berlin, 19. Juli 2000
An die Redaktionen:
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· Cemil Bayik über die jüngsten Entwicklungen
in Kurdistan
Cemil Bayik, Mitglied des Präsidialrates der PKK,
nahm an einer Diskussionssendung des kurdischen Fernsehens
am 16.7.2000 teil und traf einige Feststellungen zu den jüngsten
Entwicklungen
Auf ihren langjährigen Kampf gegen die Türkei
verweisend stellte er fest, man sollte nicht erwarten, dass
Streitkräfte, die dermaßen lange gegeneinander
gekämpft haben, bereits mit dem Aufruf zur Feuereinstellung
zusammenfinden würden. Bayik betonte, es sei nicht realistisch,
von der Türkei sofortiges Einlenken und Wandel zu erwarten,
und fuhr mit der Feststellung fort:
"Die Türkei steht vor wirklich schweren Aufgaben.
Es wäre falsch, eine Lösung bereits von der ersten
Bewegung zu erwarten. Bestimmte Widersprüche sollte man
zur Kenntnis nehmen. Es gibt jedoch auch erste Ansätze.
Gewisse Schritte zur Demokratisierung werden unternommen.
Nicht richtig wäre es, eine Demokratisierung vom Staat
zu erwarten, einer Institution, die im Hinblick auf den Krieg
geformt wurde. Wandel und Übergang sollten von demokratischen
Kräften erwartet werden. Die Basis der demokratischen
Kräfte ist umfassend, aber sie ist auch zerstreut. Bestimmte
Fortschritte werden sich entwickeln, wenn die demokratischen
Kräfte in Aktion treten, ohne dies vom Staat zu erwarten.
Diese Etappe wird sich langsam entwickeln. Fortschritte bei
der Demokratisierung werden sich langsam entwickeln. Antidemokratische
Kreise werden zurückweichen. Dies ist keine Sache von
wenigen Jahren. Die demokratischen Kräfte sind die Institutionen,
die fähig sind, den Erfordernissen der neuen Etappe zu
entsprechen. Die bestehenden Parteien können so etwas
nicht leisten. Die Türkei muss eine neue Wahl durchführen.
Man kann keine Fortschritte erwarten, wenn die Türkei
nicht in eine neue Wahl mit einem neuen Wahlgesetz eintritt.
Es ist ziemlich deutlich zu sehen, dass neue Kräfte erforderlich
sind, um der neuen Etappe zum Erfolg zu verhelfen."
Angesprochen auf den Satz des türkischen Ministerpräsidenten
Bülent Ecevit "wir haben nicht vor, eine Politisierung
der PKK zuzulassen", auf Erklärungen der letzten
Tage und Bewegungen gegen die PKK in Nordirak und Europa,
sagte Bayik:
"Wir sollten die Äußerungen von Ecevit nicht
für den Standpunkt des Staates halten und mit Vorsicht
an diese Sache herangehen. Natürlich könnte das
die Haltung des Staates sein, Ecevits Haltung kann aber auch
von der negativen Entwicklung herrühren, die er mit der
CHP erlebt hat. Das ist wichtig. Es sollte zur Kenntnis genommen
werden, dass sowohl in der Türkei als auch in Südkurdistan
Gegenpropaganda und -aktivitäten stattfinden. Gegen unsere
Partei wurde ein internationales Komplott geschmiedet. Die
Betreiber dieses Komplotts verfolgten das Ziel, die PKK zu
zersplittern, indem sie unseren Vorsitzenden angriffen. Das
haben sie selbst zugegeben. Diese Kräfte haben rechtzeitig
erkannt, dass sich die PKK nicht zersplittern wird. Sie versuchen
nun herauszufinden, aus welchem Grunde sie dies nicht tut.
Diese Kräfte entwickeln nun verschiedene neuartige Taktiken.
Das Komplott ist nicht nur auf unseren Vorsitzenden beschränkt.
Mit seiner Gefangennahme wollten sie sicherstellen, dass sich
die Partei zersplittert. Die Kräfte wollen nun die zweite
Hälfte des Komplotts zur Ausführung bringen.
Am Komplott beteiligt sind verschiedene Mächte beteiligt,
Amerika, England, Griechenland und andere. Wie dem auch sei,
es ist eine Tatsache, dass dieses Komplott auf der Grundlage
kurdischer Verräter verwirklicht werden soll. Wenn es
heute einen Angriff auf die Kurden gibt, wenn eine intensive
Gegenpropaganda betrieben wird, wenn sich KDP und PUK für
einen Angriff in Europa und Südkurdistan positioniert
haben, dann soll damit die bisher noch nicht verwirklichte
Hälfte umgesetzt werden. Es gibt für uns eine ganze
Menge Bedrohungen. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass
die PKK ineffektiv ist, sie zu liquidieren, und wenn man sie
nicht liquidieren kann, sie zu marginalisieren. Die internationale
Dimension dieser Bedrohung ist bekannt, doch ihre wirklich
gewichtige Dimension gewinnt sie durch die Kräfte im
Süden [in Südkurdistan]. Die KDP und die Yekiti
[PUK] sind seit seinem Beginn an dem Komplott beteiligt. Diese
Kräfte haben auch 1992 einen Angriff auf uns gestartet.
Ihre Absichten gegen uns sind nicht neu. Auch 1992 war unser
Kampf in der Entwicklung und es gab Sprünge. Man hatte
vor, uns den Weg abzuschneiden und die wichtigsten Kräfte
auf diesem Weg waren jene, die uns die stärksten Schläge
versetzten. Sie überfielen uns 1995, 1997 und bei der
Rückkehr von Washington. Nun kamen sie wieder aus Washington
und wieder überfallen sie uns. Sie haben Verstärkungen
in Stellung gebracht, wo wir stationiert sind. Sie haben 20
von unseren Freunden gefangengehalten. Sie haben turkmenische
Kräfte in Suleymaniye stationiert."
Bayik wiederholte, dass die Friedensposition der PKK unumstößlich
ist und fuhr fort:
"Ich rufe all diese Kräfte auf: beendet euren
Kampf für die Liquidierung der PKK, hört auf damit,
die Werkzeuge anderer Mächte zu sein.' Sie wären
in der Lage, den Norden [Nordkurdistan] zu unterstützen,
doch wir wollen keine Unterstützung. Von nun an sind
wir in der Lage, uns selbst zu verteidigen. Wenn sie nicht
möchten, dass wir diese Kräfte mobilisieren, muss
unser Volk ihnen gegenüber reagieren. Wir haben gewaltige
Anstrengungen gemacht, uns nicht in ein Konfliktszenarium
zu begeben, doch sie haben uns dermaßen intensiv angegriffen,
dass es nun zu einem Selbstverteidigungskampf gekommen ist.
Wir haben diese Kräfte wiederholt zu einer Konferenz
eingeladen. Leider erhielten wir auf all diese Aufrufe keine
Antwort. Als Reaktion darauf haben wir weiter vorgeschlagen,
dass sie die Konferenz ausrichten und wir an ihr teilnehmen.
Auch diese Aufforderungen blieben unbeantwortet. So seid ihr
also! Der PKK-Vorsitzende wurde gefangengenommen, sie sind
geschwächt, deshalb machen sie diese Bemühungen.
Wir erlassen diese Aufrufe nicht, weil wir schwach sind. Wir
erlassen sie, weil wir für die Menschlichkeit verantwortlich
sind. Wir sind entschlossen, die Sache geschwisterlich zu
lösen. Die Lösung des Problems wird friedlich, durch
Dialog gefunden werden. Heute arrangiert Amerika in Washington
ein Treffen zur Neuordnung der Region. Doch ist die Grundlage
zu dieser Anstrengung falsch. Die Lösung der regionalen
Fragen stützt sich auf die Lösung der kurdischen
Frage. Amerika will keine Lösung der Probleme der Region.
Für eine Lösung der regionalen Probleme müsste
der interne Konflikt beendet werden. Und doch wird der Regionalkonflikt
im Gegensatz dazu vertieft. Dies ist ein deutlicher Beweis
dafür, das eine Lösung des Problems nicht beabsichtigt
ist. Mit den Kurden zu spielen heißt, mit der Region
zu spielen. Diese Art Politik sollte aufgegeben werden. Auch
die Kurden müssen das begreifen. Auf diese Weise wird
nur die Effektivität fremder Kräfte in der Region
gesichert."
An die Beispiele der Vergangenheit erinnernd stellte Bayik
fest, dass ein Konfliktszenarium, das im Entstehen begriffen
ist, den Friedensprozess negativ beeinflussen wird:
"Unsere einseitigen Bemühungen könnten fortgeführt
werden. Wir können einige der Provokationen, einige der
Truppenverschiebungen verstehen. Sollten sie jedoch trotz
all unserer Bemühungen zum Angriff übergehen, werden
wir uns verteidigen. Dafür sollte uns niemand anklagen.
Wir können unseren Tod nicht wie Opferlämmer erwarten.
Wir haben nicht vor, zum Krieg zurückzukehren. Wir haben
einen harten Krieg geführt und wissen ,was das bedeutet.
Wir wollen nicht kämpfen und sind darin entschlossen.
Doch sie wollen uns vernichten. Wir haben nicht vor, den Tod
abzuwarten. Alle müssen sich zu diesem Beharren auf dem
Konflikt verhalten. Die PKK war es, die diese Atmosphäre
der Entspannung geschaffen hat. Sie muss respektiert werden."