Menschenrechtsanwältin Eren Keskin in der Türkei mit Haft bedroht

Seitdem der Türkei der Kandidatenstatus für eine Vollmitgliedschaft in der EU im November zuerkannt wurde, reißt ein reger diplomatischer Austausch über die notwendigen Veränderungen insbesondere im Hinblick auf die nach wie vor katastrophale Menschenrechtssituation und die Verleugnung der Existenz anderer Völker und ethnischer Minderheiten innerhalb der Staatsgrenzen der Türkischen Republik nicht ab. Im letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes zur Türkei vom Juni 2000 wird u.a. darauf hingewiesen, dass gesetzliche Änderungen stattgefunden hätten, die Hoffnung aufkommen ließen. Unter diesen Änderungen, die lobend erwähnt wurden, befindet sich auch die Bestimmung, dass Strafen, die aufgrund von Meinungsäußerungsdelikten verhängt werden, zur Bewährung auszusetzen seien. Es wird jedoch nicht daraufhingewiesen, dass die Gesetzeslage und die Realität in der Türkei davon geprägt sind, dass sie weit auseinander klaffen. Und auch der Umstand, dass bei einer wiederholten Verurteilung aufgrund von Meinungsäußerungsdelikten die vorherige Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen wird, bleibt unerwähnt. So äußerte denn auch der bekannte Wissenschaftler Haluk Gerger nach in Kraft treten dieser gesetzlichen Bestimmung: "Nun, da werden wir wohl keine 24 Stunden durchhalten, straffrei zu bleiben".

Denn diejenigen, die sich immer wieder zur Menschenrechtssituation äußern, werden selbstverständlich auch immer wieder wegen dieser Äußerungen strafrechtlich verfolgt. Sie sollten durch den Anreiz der Strafaussetzung zum Schweigen verurteilt werden.
Da ß sie nicht schweigen werden, zeigt der jüngste Fall der auch im Ausland bekannten Rechtsanwältin und Menschrechtsaktivistin EREN KESKIN. Eren Keskin, Rechtsanwältin und Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, Sektion Istanbul hat u.a. vor drei Jahren das Projekt "Rechtshilfe für sexuell gefolterte Frauen" in Istanbul mit ins Leben gerufen. Dies war Resultat ihrer Erfahrungen, die sie selber in der knapp einjährigen Haftzeit, die sie aufgrund einer Verurteilung wegen Meinungsäußerungen im Jahr 1995 zu verbüßen hatte, gemacht hatte. Seitdem wurde sie immer wieder aufgrund von Meinungsäußerungen zur tatsächlichen Lage der Menschenrechte in der Türkei und den hierfür Verantwortlichen angeklagt. Zur Zeit sind 45 Ermittlungsverfahren gegen sie als Vorsitzende des Istanbuler Menschenrechtsvereins anhängig. Grundlage der gegen Sie eingeleiteten Verfahren wegen Meinungsäußerungen sind zumeist der Art. 58 des Vereinsgesetzes (unerlaubte Presseerklärungen). Eine Verurteilung auf Grundlage des Art. 8 Anti-Terror-Gesetz, auch diese wegen unerwünschter Meinungsäußerungen, wurde zur Bewährung ausgesetzt, die jedoch wiederrufen wird, sollte sie in dem nun gegen sie eröffneten Strafverfahren wegen "Beleidigung und Verunglimpfung der Militärs" verurteilt werden. Aufgrund eines Interviews, das sie der Wochenzeitung Cuma im November 1999 gab und in dem sie darauf hinwies, dass die Militärs die eigentlich bestimmende Kraft in der Türkei seien und sie eine grundlegende Öffnung und Demokratisierung des Systems zu verhindern suchten, wurde gegen sie Anzeige durch den Großen Generalstab erstattet. In der Anklageschrift des Staatsanwaltschaft vom 25.4.00 werden ihr, dem verantwortlichen Chefredakteur der Zeitung Cuma sowie dem Interviewer "Beleidigung und Verunglimpfung der türkischen Streitkräfte" vorgeworfen. Die Strafandrohung des entsprechenden Artikels 159 Türkisches Strafgesetzbuch lautete 1 Jahr bis 6 Jahre Haft. Sollte es zu einer Verurteilung kommen, würde zugleich die frühere Bewährungsstrafe wiederrufen und Frau Keskin müsste in Haft. Frau Eren Keskin hat auf etlichen Auslandsreisen über die Menschenrechtslage in der Türkei gesprochen. Sie verfolgt das Schicksal in die Türkei abgeschobener Menschen und berichtete hierüber auch vor deutschen Verwaltungsrichtern. Etliche Informationen verdanken wir ihr. Wir sollten sie daher in dieser Situation nicht allein lassen und rufen dazu auf, am ersten Hauptverhandlungstermin des gegen sie eröffneten Verfahrens teilzunehmen.

Es soll eine Delegation bestehend aus Juristinnen und Juristen ins Land geschickt werden, um so zu zeigen, dass wir mit Frau Keskin solidarisch sind und die weiteren Schritte in der Türkei genauestens beobachten werden.

Erster Hauptverhandlungstermin: 5.10.2000, 11.40 Uhr Ort: Landgericht Bakirköy/ Istanbul

Kontakttelefon für Nachfragen (möglichst Türkisch): Menschenrechtsverein IHD Istanbul: 0049-212-251 35 26 oder 244 44 23 Die Verhandlung am 5.10.beginnt um 11 Uhr 40. Um 11 Uhr ist Treffen im IHD Istanbul, Siraselviler, Cukurlu Cesme Sok. No 10/1, Bayman apt, TAKSIM-Istanbul. Von dort wird gemeinsam losgegangen.

Auf Wunsch kann einen Tag zuvor ein Treffen um 17 Uhr im IHD stattfinden. Englische und/oder deutsche Übersetzung wird organisiert. Rückfragen zur Unterkunft/ Ablauf etc. auch auf Deutsch und Englisch: projekt_istanbul@yahoo.com Private Unterbringung ist auf Wunsch möglich.