Berlin, 20. September 2000
Nationales Friedens- und Einheitsmanifest
Die Menschheit beginnt das 21.Jahrhundert damit, daß
sie sich noch besser vorbereitet hat, um für ihre Probleme
tragende Lösungen zu finden. Sie ist daher auf dem Weg,
ihre Friedens-, Demokratie und Freiheitsabsichten, angelehnt
an die Errungenschaften des letzen Jahrhunderts, auf eine
entsprechendes Niveau zu heben.
Um nicht noch einmal in die Spannungen und Kriege zurückzufallen,
die im 20. Jahrhundert zu so viel Leiden geführt haben,
und um ihre erhabene Absichten zu realisieren, sieht die Menschheit
einzig den Weg des Dialogs und der Übereinkunft als gangbar
an. Sie entwickelt die Strategie, die Taktik und die Planung
dafür und bewegt sich bei der Lösung ihrer Probleme
entsprechend. Diese Situation bedeutet gleichzeitig den Ausdruck
des erreichten Entwicklungsniveaus der Menschheit. Die gegenwärtige
Lage des kurdischen Volks und die Art, wie es seine nationalen
und gesellschaftlichen Probleme zu lösen versucht, widerspricht
jedoch dem sonst auf der Welt erreichten Niveau. Wenn bei
der Lösung der nationalen und gesellschaftlichen Probleme
die Entwicklung der Menschheit als Maßstab genommen
wird, so ist das kurdische Volk offensichtlich in einer rückständige
Lage. Die Strategie und Taktik seines Kampfes war für
die Lösung nicht ausreichend. Wenn auch der große
Kampf auf dieser Basis zu wichtige Entwicklungen geführt
hat, so hat er doch nicht die nationalen Freiheit und die
Lösung der gesellschaftlichen Probleme erlangt. Als Folge
dieser Kämpfe und den durch sie bedingten Entwicklungen
zeigte sich jedoch die Erfolglosigkeit der nationalistischen
Vernichtungs- und Verleugnungspolitik der herrschenden Staaten
und zwang sie zur Entwicklung neuer politischer Strategien.
Aus den genannten Gründen dehnte sich die Suche nach
Lösungen für unsere nationalen und gesellschaftlichen
Probleme ins 21.Jahrhundert hinein aus. Die wichtigsten Hindernisse
für die Lösung der kurdischen Frage, die eines der
Hauptprobleme und Grund für die Rückständigkeiten
des Mittleren Ostens bedeutet, ist die Verleugnungs- und Vernichtungspolitik
der herrschenden Staaten. Diese ist das Produkt aus deren
Politik eines reaktionären, einengenden Nationalismus
einerseits, andererseits aus Eigeninteressen und Kollaborationen
der kurdischen Seite. Diese Art von Politik, die in Verbindung
zu äußeren Kräften entwickelt wird, bietet
nicht nur keine Lösung, sondern führt im Gegenteil
zu ständigen innerkurdischen Auseinandersetzungen. Diese
wiederum führen zur starker Zersplitterung und zu einer
Schädigung der nationalen Dynamik.
Solange das kurdische Volk diese schmerzhafte Situation nicht
beendet und diese die nationale Dynamik beschädigenden
Auseinandersetzungen nicht durch inneren Frieden, Demokratie
und Einheit ersetzt, wird es kein Problem lösen können.
Alle kurdischen Gruppierungen sehen sich der Notwendigkeit
gegenüber, diese Auseinandersetzungen zu überwinden
und auf diese Weise nationalen Frieden, Demokratie und Einheit
zu erreichen. Gegenüber dieser absoluten und zwingenden
Realität hat sich gegenwärtig die kurdische nationale
Bewegung geteilt. Sie führt Auseinandersetzungen und
entwickelt keine Haltung und Annäherung, um diese Situation
zu überwinden. Wie am Beispiel des internationalen Komplotts
gegen den Freiheitskampf unseres Volkes in der Person unseres
Vorsitzenden Abdullah Öcalan zu sehen ist, wird ein Teil
der kurdischen Bewegung gegen ein anderen Teil benutzt, um
daraus politischen Profit zu ziehen. Diese Art von Verständnis
und Haltungen führt zu militärischen und politischen
Auseinandersetzung innerhalb der kurdischen nationalen Bewegung.
Unsere Partei PKK, die man ebenfalls in eine ähnliche
Auseinandersetzung einzubeziehen versucht, lehnt diese Art
von Auseinandersetzungen ab, ebenso wie die Politik, die dazu
führt, und hält beharrlich an nationalem Frieden,
Demokratie und Einheit fest.
Um die kurdische nationale Frage mit den herrschenden Ländern
auf der Grundlage der Friedens-, Demokratie- und Einheitsstrategie
lösen zu können, die inzwischen sowohl auf der Grundlage
der internationalen positiven Entwicklungen als auch der wichtigen
Erfahrungen und des Wissens, die unsere demokratische nationale
Bewegung geschaffen hat, möglich erscheint, bedarf es
dringend des inneren, nationalen Friedens, der nationalen
Demokratie und Einheit. Unsere Partei, die sich ihrer Verantwortung
bei der Lösung der nationalen und gesellschaftlichen
Probleme voll bewußt ist, glaubt daran, daß der
nationale Frieden, die nationale Demokratie und Einheit auf
der Grundlage der Prinzipien und dringenden Maßnahmen,
die im folgenden angeführt sind, erreicht werden können,
und sie wird für die Realisierung der nachstehend ausgeführten
Punkte alles in ihrer Macht stehende unternehmen.
A- Für die Verwirklichung des kurdischen nationalen
Friedens:
1- Solange mit der Förderung und Unterstützung
der äußeren Mächte die herrschenden Staaten
ihre Vernichtungs- und Verleugnungspolitik gegenüber
dem kurdischen Volk fortführen, ist es zwingend und legitim,
daß die Kurden als Voraussetzung für die Verteidigung
und Entwicklung ihrer nationalen Interessen bewaffnete Kräfte
unterhalten.
2- Die bewaffneten Kräfte unterschiedlicher kurdischer
Organisationen, Institutionen und Persönlichkeiten haben
in ihrer Funktion nach außen gerichtet zu sein und sollen
nach Möglichkeit in Form von gemeinsamen nationalen Kräften
vereinigt werden. Diese Kräfte, in Kooperation mit äußeren
Kräften oder für individuelle Interessen in internen
Konflikten gegeneinander auszuspielen, wird als ein Vergehen
gegen die Nation angesehen und entsprechend durch Sanktionen
geahndet.
3- Die Gründe, die zu Verletzungen des nationalen Friedens
und zu Auseinandersetzungen führen, sind die Vernichtungs-
und Verleugnungspolitik der herrschenden Staaten sowie die
Interessen- und Kollaborationspolitik der feudalen Clangruppen.
Damit der nationale Frieden erreicht werden kann, ist es zwingend
notwendig, daß alle kurdischen nationalen Kräfte
diese Art von Politik ablehnen und statt dessen auf der Grundlage
politischer Annäherung den Frieden stützen.
4- So, wie ohne nationalen Frieden keine nationale Demokratie
erlangt werden kann, so kann auch ein nationaler Frieden,
der sich nicht auf die Demokratie stützt, nicht echt
und beständig sein. Daher ist es unumgänglich um
einen beständigen nationalen Frieden zu erreichen, daß
die nationale Freiheit gewonnen und ein demokratisches System
entwickelt wird. Das ist die Hauptaufgabe, die allen kurdischen
nationalen Kräften bevorsteht.
5- Damit ein nationaler Frieden auf Dauer erreicht wird,
ist es wichtig, daß sich eine Friedenskultur entwickelt
und das Volk, angelehnt an demokratische Maßstäbe,
mit einer derartigen Friedenskultur ausgerüstet wird.
Dafür müssen alle kurdischen nationalen Kräfte
in ihre Programme die Entwicklung einer Friedenskultur aufnehmen
und intensiv auf dieser Grundlage arbeiten.
6- Die Lösungen der immer wieder zu Auseinandersetzungen
führenden Probleme sollte nicht auf der Basis der Interessen
oder der Politik einer Gruppe gesucht werden, sondern in nationaler
Übereinstimmung und im Rahmen nationaler Interessen.
B- Um die kurdische nationale Demokratie zu schaffen und
zu entwickeln:
1- Die Hauptvoraussetzung für die Umsetzung des demokratischen
Zusammenlebens auf nationaler Ebene ist die Überwindung
feudaler Clanstrukturen, durch die jegliche Art von Geteiltsein
und Eigeninteressen begründet sind. Jede kurdische nationale
Kraft sollte, um in richtigen Sinne eine nationale Kraft werden
zu können, eine zutiefst demokratische Annäherung
zur Grundlage nehmen und jegliche feudale Beziehungs- und
Lebensform sowie den aus ihr resultierenden Despotismus ablehnen
und aktiv dagegen ankämpfen.
2- Die unverzichtbare Grundlage der Demokratie ist die Meinungs-
und Organisierungsfreiheit. Jede kurdische nationale Kraft
sollte diese Grundannäherung der Demokratie umsetzen
und die Tendenzen der Verbotsmentalität, die aus der
nationalen Verleugnungs- und Vernichtungspolitik der herrschenden
Staaten resultieren sowie die antidemokratische Haltungen,
die durch feudale Clanstrukturen verursacht sind, unbedingt
überwinden. Überall in Kurdistan sollten neben einer
totalen Meinungs- und Artikulationsfreiheit auch die Bedingungen
geschaffen werden, daß alle kurdische Parteien und Organisationen
sich frei organisieren und arbeiten können. Jede kurdische
nationale Partei und Organisation sollte sich diesen demokratischen
Grundprinzipien verpflichtet fühlen und sie umsetzten.
3- Alle kurdischen nationalen Parteien und Organisation sollten
sich auf der Grundlage, daß sie ihre Vielfalt darstellen
können, dem Prinzip demokratischen Zusammenlebens verbunden
fühlen. Sie sollten ferner danach streben, das Trennende
so weit zu überwinden, dass sie auf der Grundlage vielschichtiger
Beziehungen gemeinsame politische, kulturelle, diplomatische
und wirtschaftliche Vereinigungen organisieren und sie durch
Institutionalisierung dauerhaft gestalten.
4- Jede kurdische Partei und Organisation sollte es als nationale
Aufgabe ansehen, die kurdische Demokratie selbst und die demokratischen
Kräfte zu verteidigen, wenn sie von äußeren,
antidemokratischen Kräften angegriffen werden.
5- Jede kurdische Partei und Organisation sollte bei ihren
Kritik- und Meinungsäußerungen innerhalb eines
demokratischen Rahmens aufbauend wirken und sich bloßstellender
und provozierender Äußerungen enthalten.
C- Wie die Beziehungen zu herrschenden Gesellschaften und
Staaten auf derrichtigen Grundlage geordnet werden können:
1- In den Beziehungen zu allen Gesellschaftsschichten und
staatstragenden Kräften in denjenigen herrschenden Staaten,
die die nationalen demokratischen Rechte des kurdischen Volkes
akzeptieren, sollten Frieden und Freundschaft als Basis gemeinsamen
Lebens und Handelns gelten. Auf der Grundlage demokratischen
Wandels und der demokratischen Lösung der kurdischen
Frage sollte ein freies und freiwilliges Zusammenleben angestrebt
werden.
2- Die Beziehungen zur den herrschenden Staaten sollten auf
dem Grundsatz der Lösung der kurdischen Frage, eines
demokratischen System und freiwilligen Zusammenlebens angegangen
werden. Politische Bestrebungen, die Kurden als taktische
Kräfte anzusehen und sie gegeneinander auszuspielen,
sollten abgelehnt werden.
3- Die kurdische nationale Bewegung wird nicht die Probleme,
die die herrschenden Staaten untereinander haben, verstärken
oder in die Ausweglosigkeit führen, sondern zu deren
Lösung beitragen und versuchen, diese Staaten einander
näher zu bringen, um schließlich eine demokratische
Union des Mittleren Ostens zu erreichen.
4- Wenn eine kurdische Partei oder Organisation Beziehungen
zu einem der herrschenden Staaten aufbaut, sollte sie nicht
eine Haltung einnehmen, die sich gegen eine andere kurdischen
Partei oder Organisation richtet. Es sollte als nationales
Vergehen angesehen und entsprechend sanktioniert werden, Kontakte
zum Nachteil anderer einzugehen. Alle nationalen kurdischen
Kräfte sollten in ihren Kontakten zu benachbarten Gesellschaften
und Staaten eine gemeinsame Haltung einnehmen.
D- Damit die internationalen Kontakte reorganisiert und
entwickelt werden:
1- Internationale Kontakte einer kurdischen Organisation
zum Schaden einer anderen Organisation sollten als Vergehen
gegen die gesamte Nation betrachtet und entsprechende Sanktionen
angewandt werden.
2- Nach Möglichkeit sollten die kurdischen Parteien
und Organisationen in den internationalen Beziehungen eine
gemeinsame Haltung anstreben und sich gegenseitig über
ihre internationale Kontakte informieren.
3- Die Lösung der kurdischen Frage sollte sowohl für
Kurdistan generell als auch konkret für die jeweiligen
Teilen Kurdistans betrachtet werden, und zum Erreichen einer
Lösung auf diese Basis sollte eine gemeinsame Diplomatie
angestrebt werden.
4- Um den Kampf des kurdischen Volkes für Freiheit und
Demokratie allen Völkern der Erde nahe zu bringen und
ihre Unterstützung zu erhalten, sollte eine gemeinsame,
breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt
werden
E- Für die Entwicklung der nationalen Einheit:
1- Jede auf der Teilung Kurdistans basierende Haltung und
alle Annäherungen, die aus enger Interessebezogenheit
resultieren, die die nationale Entwicklung und Einheit verhindern
und deren Quellen feudale Clanstrukturen sind, jede Art von
Geteiltsein, selbstsüchtigen Annäherungen, regionalen
Haltungen und ausschließlich regionalen Bezügen
sollten überwunden werden.
2- Ohne die nationale Einheit zu erreichen, kann kein nationaler
Frieden entwickelt werden. Aus diesem Grunde sollten, um die
Teilung und Zersplitterung zu überwinden und den nationalen
Frieden zu erreichen, alle nationalen Kräfte sich einheitlich
bewegen und gemeinsame Aktivitäten durchführen.
3- Die Demokratisierung der herrschenden Staaten und Gesellschaften
hängt mit der demokratischen Lösung der kurdischen
Frage auf der Grundlage des freien Zusammenlebens zusammen.
Es ist trotz bestehender Grenzen möglich, die kurdischen
nationale Kontakte und eine kurdische Einheit zu entwickeln;
jede kurdische Partei und Organisation sollte die nationale
Entwicklung und Einheit auf der Grundlage dieser Grundsätze
anstreben.
4- Der Kurdistan Nationalkongress (KNK) sollte zum höchsten
Willens- und Beschlußorgan der Nation entwickelt werden.
Keine nationaler Gruppe sollte außerhalb dieses Kongresses
stehen. Alle Gruppen sollten ihre Vertretung ausreichend in
diesem Kongress finden, und diejenigen Gruppen, die außerhalb
des Kongresses bleiben, sollten nicht als legitim angesehen
werden.
5- Unter der Initiative des Kurdistan Nationalkongresses
sollte eine nationale Friedenskonferenz durchgeführt
werden. Diese Konferenz sollte auf der Grundlage der Gemeinsamkeit
der kurdischen Nationalbewegung eine demokratische Lösung
anstreben und diese für einen dauerhaften nationalen
Frieden und für ein demokratischen Lebenssystem institutionalisieren.
Kurzfristig notwendige Maßnahmen, damit die Auseinandersetzungen
beendet werden können:
1- Um die Atmosphäre für die Lösung der Probleme
mittels politischem Dialog zu entwickeln, muß zwischen
alle Kräften, die sich in einer militärischen Auseinandersetzung
befinden, allen voran zwischen der KDP, PUK und PKK, ein Waffenstillstand
erreicht, Verhandlungen aufgenommen und ein gegenseitiger
Nicht-Angriffspakt unterzeichnet werden.
2- Alle Kräfte müssen ihre Propagandakriege zur
Bloßstellung und Provokation der anderen einstellen
und alle Propagandamittel, vor allem Presse und Medien, sollten
in den Dienst des nationalen Friedens gestellt werden.
3- Die Parteien und Organisationen müssen ihre Existenz
gegenseitig respektieren und sich von Haltungen und Annäherungen
fernhalten, die als Eingriff in inneren Angelegenheiten erscheinen.
4- Als Geste des guten Willens und als Beitrag für die
Entwicklung der Atmosphäre des nationalen Friedens sollten
alle Gefangenen bedingungslos freigelassen werden.
Schluß:
Während wir unser Projekt für nationalen Frieden,
Demokratie und Einheit, in dem wir die Voraussetzungen, Prinzipien
und notwendigen Maßnahmen dargelegt haben, allen nationalen
Kräften, unserem Volk und weiteren interessierten Kreisen
zukommen lassen, möchten wir erneut unterstreichen, daß
unsere Partei jedes Opfer bringen wird, dieses Projekt umzusetzen,
das sicher unter Beteiligung der genannten Zielgruppen noch
weiter vervollständigt werden kann. Wir rufen den Kurdistan
Nationalkongress auf, den Inhalt dieses Projektes anzunehmen
und sich auf dieser Grundlage noch aktiver als bisher zu bemühen.
11. September 2000
Der Parteirat der
Arbeiterpartei Kurdistans, PKK