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Freedom for Ocalan - Peace in Kurdistan
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FLASH BULLETIN - HINTERGRUND - (Nr. 1 / 01.10.2000):


Ahmet Avsar, ein Rechtsanwalt des PKK-Vorsitzenden Öcalan, hielt sich Ende September zu Gesprächen in der Bundesrepublik Deutschland auf. Flash Bulletin - HINTERGRUND - gibt ein Interview mit Ahmet Avsar wieder, dass uns freundlicher Weise die freie Journalistin Karin Leukefeld zur Verfügung gestellt hat. Darin geht er auf das Einspruchsverfahren im Fall Öcalan ein, dass am 21. November 2000 in Strassburg beginnen soll:


Interview mit Rechtsanwalt Ahmet Avsar vom 10.09.2000

Herr Avsar, Sie gehören zu dem Rechtsanwaltsteam, das den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan verteidigt. Herr Öcalan wurde zum Tode verurteilt, Sie haben dagegen Einspruch erhoben vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Wie ist der aktuelle Stand des Verfahrens?

In der Türkei ist das Verfahren gegen unseren Mandanten juristisch abgeschlossen, die möglichen Rechtswege sind ausgeschöpft. Wir haben uns jetzt an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. Unsere Eingabe besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil bezieht sich auf den Prozess in der Türkei und auf die unrechtmäßige Verschleppung von unserem Mandanten in die Türkei. Der zweite, ergänzende Teil betrifft die internationale Verantwortung für die Verschleppung, speziell die Rolle von Griechenland, Italien, Deutschland, Holland und Russland....

... arbeiten Sie mit Anwälten aus diesen Ländern zusammen?

Ja, wir arbeiten mit Anwälten in England, Holland, Belgien in der Sache zusammen. Soweit wie möglich bereiten wir uns gemeinsam auf das Verfahren vor, das am 21. November in Straßburg beginnt. Zunächst geht es darum, ob der Fall überhaupt angenommen, also ein Verfahren gegen die Türkei akzeptiert wird. Wir gehen davon aus, dass der Fall angenommen wird.

Was den Prozess gegen Abdullah Öcalan in der Türkei betrifft, werden wir uns vor allem auf die Bedingungen konzentrieren, unter denen das Verfahren durchgeführt wurde. Wir wollen feststellen lassen, dass internationales Recht missachtet wurde, wodurch das Verfahren unrechtmäßig ist. Außerdem wurde nationales türkisches Recht gebrochen, der Prozess war unseres Erachtens nicht rechtsstaatlich. Die Unschuldvermutung gegenüber unserem Mandanten, was Grundlage von jedem rechtsstaatlichen Prozess sein muss, war von Anfang an außer Kraft gesetzt. Der damalige Staatspräsident Süleyman Demirel äußerte sich in einer Weise, die das Gericht beeinflussen mußte. Auch die nationalistische Partei der Türkei, die MHP, und andere Parteien äußerten sich ähnlich, noch bevor der Prozess überhaupt begonnen hatte. Weiterhin geht es uns darum feststellen zu lassen, dass an dem Krieg, in dem 30.000 Tote zu beklagen sind, nicht nur die PKK beteiligt war, sondern auch die türkische Armee. Es kann dabei nicht nur einen Schuldigen geben. Ziel unseres Einspruchs vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ist es, ein neues Verfahren für unseren Mandanten zu erreichen.

Im zweiten Teil des Verfahrens wollen wir anhand verschiedener Thesen die Verantwortung der beteiligten Staaten feststellen lassen. Griechenland wurde beispielsweise immer als "Freund der PKK" dargestellt. Das ist so nicht richtig. Zwar hatte unser Mandant mit einigen griechischen Abgeordneten Verbindungen, er hatte aber nie vor, nach Griechenland zu kommen. Die damaligen Umstände im Herbst 1998 zwangen ihn schließlich doch dazu. Es ist bekannt, dass Öcalan in Griechenland politisches Asyl beantragt hat. Es wurde ihm nicht gewährt, er wurde mehr oder weniger gezwungen, Griechenland wieder zu verlassen. Das war ein Verstoß gegen nationales griechisches Gesetz. Auf jeden Fall hätte das juristische Verfahrens abgewartet werden müssen. Auch die Ereignisse in der griechischen Botschaft in Kenia verstießen gegen nationales griechisches Recht. Das Vorgehen dort brachte Leib und Leben unseres Mandanten in höchste Gefahr.

Die damalige italienische Regierung unter D'Alema verhielt sich zunächst positiv. Aber das weitere Vorgehen Italiens verstieß sowohl gegen internationales als auch gegen nationales italienisches Recht. Auch das wollen wir feststellen lassen.

Wird es sich positiv auswirken, dass - nach der Verschleppung - ein römisches Gericht den Asylantrag von Abdullah Öcalan anerkannte und die italienische Regierung dazu verurteilte, die Kosten des Verfahrens zu übernehmen?

Lassen Sie mich zunächst noch auf die Verantwortung der anderen Länder eingehen, sprechen wir über Russland. In der russischen Duma hatten 189 Abgeordnete sich dafür ausgesprochen, dass Abdullah Öcalan im Land bleiben konnte, ihm sollte Asyl gewährt werden. Primakow aber, der damalige russische (Außenminister?), setzte sich über diese Entscheidung hinweg und Öcalan wurde des Landes verwiesen. Öcalan wollte dann nach Holland fliegen und sich in Den Haag einem Tribunal stellen. Man ließ aber nicht zu, dass sein Flugzeug landen konnte. Die holländische Regierung drohte dem Piloten nicht nur, einen Abfangjäger starten zu lassen, man ließ ihn sogar starten. Die Maschine von Öcalan wurde also militärisch gezwungen, abzudrehen. Und was Deutschland betrifft, wo ein Haftbefehl gegen Abdullah Öcalan vorlag, die Bundesregierung verhielt sich sehr widersprüchlich. Um keine Verantwortung in der mit Öcalan verbundenen "Kurdischen Frage" übernehmen zu müssen, hob man kurzerhand den Haftbefehl gegen ihn auf. Wir haben uns entschieden, den Fall direkt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen und nicht erst in jedem einzelnen Land ein verfahren anzustrengen.

Nun noch zu Ihrer Frage: Uns ist bekannt, dass vielen Menschen in Europa aus geringeren Gründen Asyl zuerkannt wird, als es bei unserem Mandanten der Fall war. Italien hat gegen nationales Recht verstoßen, denn es hat nicht verhindert, dass der Führer einer politischen Organisation an das Land ausgeliefert wird, in dem ihm die Todesstrafe droht. Warum sollte sich die nachträgliche Anerkennung des Asyls für Öcalan positiv auswirken. Es hat keinen praktischen Wert, nachdem der Betroffene ausgeliefert wurde.

Wie ist der Gesundheitszustand Ihres Mandanten? Hat sich seine Haftsituation verbessert?

Nein. Während des Prozesses gegen unseren Mandanten, konnten wir Anwälte ihn 4 Stunden pro Woche besuchen. Nach dem Urteil wurde unser Besuchsrecht zunächst auf zwei, schließlich auf eine Stunde pro Woche begrenzt. Er erhält drei Zeitungen, die vorher aber zensiert werden. Er hat ein Radio, auf dem er allerdings nur einen Sender, TRT-FN, empfangen kann. Das ist der staatliche türkische Rundfunksender. Weder die Beantragung eines Fernsehens, noch die Ausdehnung seiner Hofgänge oder die Erweiterung der Besuchszeiten wurden genehmigt. Mit 6 verschiedenen Anträgen haben wir uns bisher an das Justizministerium gewandt, alle wurden abgelehnt. Wir haben auch wegen der Haftsituation eine Eingabe beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gemacht.

Wie ist es mit Briefkontakten von Herrn Öcalan? Kann er Briefe schreiben und empfangen von anderen Gefangenen in der Türkei, anderen PKK-Gefangenen? Es heißt, dass ein Kontakt zwischen ihm und Mumia Abu Jamal, dem zu Tode verurteilten Journalist in den USA, besteht?

Was das betrifft, ist die Situation wirklich verfahren. In unserem Büro kommen Tausende von Briefen für ihn an. Wir versuchen, sie an ihn weiterzuleiten, aber das gelingt fast nie. Nur ganz wenige Briefe erreichen ihn tatsächlich. Oft hat er nicht einmal Stift oder Papier, um selber schreiben oder Briefe beantworten zu können. Was Mumia Abu Jamal betrifft: am 14. Juni hat er uns darum gebeten, Abu Jamal ausrichten zu lassen, dass er mit ihm ist, dass er sich auch für ihn einsetzen wird. Sobald er die Gelegenheit hätte, wolle er ihm schreiben. Öcalan will sich im Rahmen einer globalen Kampagne für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzen.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dass Ihr Mandant in ein anderes Gefängnis verlegt wird, wo er andere Haftbedingungen haben kann?

Das ist schwierig. Ohne grundsätzliche demokratische Fortschritte in der Türkei können wir nicht davon ausgehen, dass sich an der Lage von Herrn Öcalan etwas ändern wird. Es wäre falsch, dieses Verfahren als eine rein juristische Angelegenheit zu betrachten. Es hat sehr viel mit Politik zu tun, der Übergang zwischen Justiz und Politik ist fließend. Die Haftsituation unseres Mandanten hängt direkt vom Tempo ab, mit dem politische Fortschritte in der Türkei gemacht werden. Falls das Tempo sich beschleunigt, kann die Haftsituation in einigen Jahren schon ganz anders aussehen.

Sie sprechen einen wichtigen Punkt an, Herr Avsar, die aktuelle Situation in der Türkei. Ist die Wahl von Sezer zum Staatspräsidenten und sein Verhalten positiv zu bewerten hinsichtlich des bevorstehenden Berichts der EU über die Lage der Demokratie in der Türkei? Darin heißt es, die Fortschritte seien nicht ausreichend. Devlet Bahceli, der Vorsitzende der MHP, hat sich mit dem HADEP-Bürgermeister von Diyarbakir, Feridun Celik, getroffen, ist das ein positives Signal der Entspannung? Und wie verhält sich die Bevölkerung in der Türkei, gibt es noch immer die Hetztiraden gegen Abdullah Öcalan, wie zur Zeit des Prozesses? Oder gibt es Zeichen des Entgegenkommens?

Wir sagen, die Stunde Null für den Demokratisierungsprozess in der Türkei begann mit dem 16. Februar 1999 (Tag der Verschleppung von Öcalan in die Türkei). Heute sagen das fast sämtliche Zeitungskolumnisten in der Türkei. Das zeigt, dass die Entwicklung akzeptiert wird. Bisher gab es in der Türkei zwei Kategorien von Staatspräsidenten: die einen waren sehr formal, hielten sich an das Protokoll, waren aber ohne Einfluss und politisch farblos. Die anderen übten ihr Amt mit einem militärischen Kopf aus. Ahmet Necdet Sezer stellt sich mutig auf den Boden des Rechts. Seine Wahl zum Staatspräsidenten hat viel mit mit dem Beginn des Demokratisierungsprozesses in der Türkei zu tun. Als Sami Selcuk, der Chef des Verfassungsgerichts im vergangenen Jahr seine historische Rede abschloss, sagte er: " Es lebe die demokratische Türkei." In diesem Jahr beendete Selcuk seine Rede mit dem Satz: "Es lebe die demokratische Republik." In der Türkei spielt die Wortwahl eine große Rolle in der Öffentlichkeit. Den Begriff der "demokratischen Republik" hat Herr Öcalan vor allem in seinen Stellungnahmen benutzt. Wir bewerten die aktuelle Lage so, dass langsam immer mehr Wissenschaftler und Intellektuelle die Phase positiv sehen.

Das Treffen zwischen Feridun Celik und Bahceli und der Applaus, den es dafür gab, ist Ausdruck dafür, dass sich die MHP wandelt. Sie ist auf dem Weg, eine Mitte-Rechts-Partei zu werden. Ich will das jetzt nicht überbewerten, bin mir aber sicher, dass wir in zwei Jahren eine ganz andere MHP haben werden.

Zur Haltung der Bevölkerung in der Türkei muss man wissen, dass die letzten Regierungen immer sehr autoritär und repressiv gegenüber den Menschen aufgetreten sind. Daher konnte sich keine Dynamik von unten her entwickeln. Der Staat stand immer über der Gesellschaft, daher gibt es kein Bewusstsein über staatsbürgerliches Verhalten. Bei uns entwickelt sich die Demokratie nicht von unten nach oben, sondern leider, aufgrund der beschriebenen Situation, von oben nach unten. Seit dem 16. Februar letzten Jahres hat sich vieles verändert, selbst bei den führenden Kräften in unserem Land. Wir Anwälte werden heute auch anders behandelt, als noch vor einem Jahr. Damals waren wir als Anwälte von Abdullah Öcalan massivem Druck ausgesetzt. Heute behandelt man uns zwar distanziert, aber nicht schlecht. In der öffentlichen Meinung hat eine gewisse Deeskalation stattgefunden.

Ihr Anwaltsbüro vertritt auch die Mitglieder der 2. PKK-Friedensdelegation, die im Oktober letzten Jahres von Europa aus in die Türkei reiste. Alle wurden festgenommen. Die Mitglieder der 1. Friedensdelegation, die von der PKK-Guerilla kam, wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt. Wie ist der Stand des Verfahrens bei der 2. Gruppe?

Bei den beiden PKK-Friedensdelegationen handelt es sich um einen symbolischen Akt. Die PKK wollte ihren Willen zum Frieden beweisen. Ob berechtigt oder nicht, die Türkei brauchte ein Zeichen, dass die PKK den Frieden wirklich will. Das war ein historischer Schritt. Uns ist kein Beispiel bekannt, wo diejenigen, die sich freiwillig stellen, um den Friedenswillen ihrer Organisation zu beweisen, zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt wurden. Aber die Geschichte wird das letztlich beantworten. Wir müssen also zur Zeit davon ausgehen, dass, wie bei der 1. Gruppe, auch die Mitglieder der 2. Gruppe mit hohen Haftstrafen zu rechnen haben. Es wäre wiederum ein Zeichen seitens der Türkei, die beiden Gruppen im Rahmen einer Generalamnestie freizulassen.


Das Interview führte Karin Leukefeld.

 

Flash Bulletin – HINTERGRUND -

In eigener Sache:

Seit geraumer Zeit wird von der Internationalen Initiative das Flash Bulletin in englischer Sprache herausgegeben. Vielfältige positive Reaktionen bestätigen uns in dem Bestreben, allen Interessierten authentische Informationen über Meinungen und Entwicklungen hinsichtlich einer friedlichen und demokratischen Lösung der kurdischen Frage zugänglich zu machen. Mit dieser Ausgabe werden wir nun unser Angebot erweitern. Vorerst alle vierzehn Tage soll in "Flash Bulletin - HINTERGRUND" eine andere Meinung zu verschiedenen Themenkomplexen zu Wort kommen. Eine eventuelle Weiterverwendung ist ausdrücklich erwünscht. In diesem Fall legen wir jedoch auf volle Namensnennung unserer Initiative Wert.

Mit freundlichen Grüßen

Koordinationsbüro der Internationalen Initiative