Info und Protestfaxaufruf: Sprecher der kurdischen Flüchtlinge im WKA Wuppertal von Abschiebung bedroht

Datum: Dienstag, 10. Oktober 2000 03:13

Mehmet Kilic, Sprecher der kurdischen Flüchtlinge im Wanderkirchenasyl Wuppertal in Bergisch-Gladbach verhaftet

Mehmet Kilic wurde am 5. Februar 1970 als jüngstes von drei Geschwistern in Sivas-Zara im türkischen Teil Kurdistans geboren. Im Alter von acht Jahren erlebt er am 3.9.78 nach einer Demonstration kurdischer Aleviten in Sivas, die in einem Massaker der Polizei mit 12 Toten und 92 Verletzten endet, die Misshandlung seiner Eltern und Brüder auf der Polizeiwache. Er selbst behält von den Schlägen einen Hörschaden zurück, der erst hier in Deutschland operiert wird. Als 1979 der Vater an den Folgen der Verletzungen stirbt, entschließt sich die Mutter mit zwei der drei Söhne zum Umzug nach Istanbul. Sein Bruder Kemal zieht in die 2000 km entfernt gelegene kurdische Stadt Urfa. 1989 beginnt Mehmet, linke kurdische Zeitschriften zu lesen, darunter "Denk" (= Laut). Am 20.2.1990 gerät er in eine Polizeikontrolle, bei der die "denk" bei ihm gefunden wird. Während der neuntägigen Polizeihaft wird er misshandelt und gefoltert. (Die Foltererlebnisse schildert er später detailliert in der Ergänzung der Klageschrift für das VG Köln vom 3.1.95). Vom 28.5.1990 bis 21.11.19991 leistet er seinen Militärdienst ab. Nach der Grundausbildung in Canakkale ist er 15 Monate lang bei der Militärpolizei in Manisa. Vor allem seine Beteiligung an Einsätzen gegen kurdische Zivilisten, etwa bei "Dorfsäuberungsaktionen", tragen zu seiner weiteren politischen Sensibilisierung bei. Selber an Aktionen beteiligt zu sein, wie der, bei der seine engste Familie und er selbst misshandelt wurden und an deren Folgen sein Vater starb, muss zwangsläufig retraumatisierende Folgen haben. Da seine Versuche, sich während der Militärzeit solchen Einsätzen zu entziehen nur Schikanen und gefährliche Strafversetungen zur Folge haben, entzieht er sich weiteren Einberufungen nach Ende seines Militärdienstes und macht sich dadurch strafbar. (Diese Erlebnisse erwähnt er in der Verhandlung vor dem VG Köln am 12..1998 zwar, es kommt aber zu keiner ausführlichen Darstellung). Nach dem Militärdienst engagiert er sich verstärkt politisch und verteilt die Zeitschriften "Denk" und "Azadî" sowie Flugblätter der PKK, bei der Freunde von ihm organisiert sind. Im Frühjahr 1992 werden trotz Verbotes Newroz-Feiern abgehalten. In Cizre kommt es am 21.3.92 zu einem Massaker, bei dem 101 Teilnehmer von der Polizei getötet werden. Am Tag danach verteilt er Flugblätter und Plakate, die das Massaker anprangern und wird festgenommen. Bei der anschließenden Razzia werden in seiner Wohnung neben den Plakaten und Flugblättern die Zeitschriften "Denk", "Azadî", "Yeni Ülke" und "Özgür Gündem" gefunden. Es folgen 15 Tage Polizeihaft mit Verhören und Folter wie zwei Jahre zuvor. Außerdem versucht die Polizei, ihn zu Spitzeldiensten zu erpressen. Von der bei diesen Misshandlungen erlittenen Beinverletzung werden in der Türkei ebenso wie bei der Verletzung seiner Ohren 1978 keine Atteste angefertigt. Seitdem steht er unter regelmäßiger polizeilicher Überwachung. In unregelmäßigen Abständen erhält er Polizeibesuch und wird immer wieder entweder zuhause verhört und geschlagen oder auf der Polizeistation gefoltert. Am 18.2.1993 wird sein Bruder Kemal, der als Journalist für "Yeni Ülke" und "Özgür Gündem" arbeitet, von der Polizei ermordet. Der Mord wird bis heute nicht aufgeklärt. Mehmet hat seinen Bruder zuvor mit Informationen über antikurdische Vorfälle und kurdische Aktionen in Istanbul versorgt. Wegen der großen Entfernung und der Reisetätigkeit seines Bruders bestand der Kontakt nur ein bis zwei Mal im Monat telefonisch. (Der Mord an seinem Bruder wird unter dem Az 22492/93 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bearbeitet). Der Tod seines Bruders stellt den letzten entscheidenden Einschnitt in seiner Biographie dar. Auch er fühlt sich von da an in Lebensgefahr und sucht nach einer Möglichkeit zur Flucht, die ihm 14 Tage später gelingt. Am 3.3.1993 stellt er in Deutschland einen Asylantrag. Erst im Dezember 1994 wird ihm die bereits vom 20.7.94 datierte Ablehnung des Bundesamtes zugestellt. gegen die er Klage beim VG Köln erhebt. In dieser Zeit sucht die Polizei regelmäßig weiter nach ihm. Alle 2 bis 4 Wochen berichtet die Mutter von polizeilichen Überwachungsbesuchen. Diese werden nach drei Jahren seltener, finden aber weiter statt, etwa nachdem am 25.4.1999 in der "Türkiye" ein Bericht über seine Flucht, seine politischen Aktivitäten und seine Zuflucht im Wuppertaler Wanderkirchenasyl erscheint. In Deutschland ist er zunächst weiter politisch aktiv, muss diese Aktivitäten aber von April 1995 bis Herbst 1998 unterbrechen, weil er durch seine Arbeit als Hilfskoch praktisch keine freie Zeit mehr hat. Im Januar 1998 lehnt das VG Köln seine Klage ab. Eine Berufungszulassung wird gleichfalls abgelehnt, eine Verfassungsbeschwerde nicht angenommen. Auch ein Antrag an die Härtefallkommission des NRW-Landtages vom 14.10.98 wird schließlich abgelehnt. Er hat nun das Recht auf Aufenthalt in Deutschland verloren und ist "illegal" geworden. Am 22.11.1998 'besetzen'30 kurdische Flüchtlinge die Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen und schließen sich dem Wanderkirchenasyl an. An der Kirche werden zwei Transparente aufgehängt, darunter eines mit der Aufschrift 'Stoppt die blutigen Hände der Folterer "keine Abschiebungen in die Türkei!'Mehmet Kilic ist von Anfang an aktiv dabei und wird einer der Sprecher der Gruppe. Zahlreiche Zeitungen und Fernsehsender berichten unmittelbar und in den folgenden Monaten über die Aktionen des Wanderkirchenasyls in Wuppertal und anderen Städten. Am 15.4.1999 stellt er einen Asylfolgeantrag. Das Bundesamt lehnt diesen nur 5 Tage später ab, das VG Köln gewährt ihm aber am 23.6. Abschiebeschutz, woraufhin die Ausländerbehörde Bergisch-Gladbach am 15.7.1999 eine erneute Duldung erteilt. Am 3.1.2000 hebt das VG Köln den Abschiebeschutz auf und lehnt den Antrag auf Prozeßkostenhilfe ab. Einen erneuten Antrag auf Abschiebeschutz lehnt das VG Köln am 8.3.2000 ab. Wieder lebt Mehmet Kilic in der "Illegalität". Am 7. Oktober 2000 wird Mehmet Kilic bei einer Kontrolle an seinem Arbeitsplatz verhaftet und in die Abschiebehaftanstalt Büren bei Paderborn gebracht. Für Mehmet Kilic gibt es eine Eilpetition beim Petitionsausschuß des Landtages NRW. Der §41a-Termin des Petitionsausschusses ist zusammengelegt worden mit dem von Hüseyin Çalhan am Donnerstag, 12.10.00. Protestfaxe an: Ordnungs- und Ausländeramt Berg.-Gladbach (02202) 14 28 10 Innenminister Dr. Behrens (0211) 871 3355 In Faxen an Innenminister Behrens sollte die unverzügliche Freilassung aller Gefangenen aus dem Wanderkirchenasyl gefordert werden. Derzeit sind dies Mehmet Kilic, Halil Arslan aus Oberhausen und Hüseyin Çalhan aus Aachen.

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