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Düsseldorf, 08.01.2001


10.000 türkische Soldaten in Südkurdistan

Menschenrechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen gehen weiter

Repressionen gegen Teilnehmer an Protestdemonstration in München


Während in der Türkei weiterhin Gefangene gefoltert werden und im Hungerstreik gegen die neuen Isolationsgefängnisse sterben, während VertreterInnen europäischer Menschenrechtsorganisationen an Recherchen gehindert werden die Repressionen gegen den türkischen Menschenrechtsverein IHD immer größere Ausmaße annehmen, und während der türkische Ministerpräsident Ecevit den Einmarsch türkischen Militärs in Stärke von 10.000 Mann in Südkurdistan (Nordirak) öffentlich bestätigt, nahm die deutsche Polizei in München am vergangenen Samstag kurdische und deutsche TeilnehmerInnen an einer Protestdemonstration gegen diese Geschehnisse in der Türkei fest und durchsuchte ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss deren Wohnungen.

Am gestrigen Sonntagabend hat der türkische Ministerpräsident Bülent ECEVIT gegenüber dem türkischen Fernsehsender TRT bestätigt, dass 10.000 Soldaten seines Landes in den Norden des Irak einmarschiert seien. Sie leisteten der südkurdischen Partei PUK "technische Hilfe" bei ihrem Kampf gegen die "Rebellen" der PKK. Nach Meldungen der türkischen Massenzeitung Hürriyet werden diese Truppen bereits seit dem 20.Dezember im Nordirak stationiert, um "eine groß angelegte Offensive" vorzubereiten. Die türkischen Truppen stehen nach Angaben des Blattes 150 km tief südlich der Grenzen im Nachbarland. In derselben Sendung kritisierte Ecevit, dass aus Belgien und Holland mit Unterstützung von Regierungsstellen Delegationen entsandt worden seien, um Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Erstürmung der Gefängnisse und dem Vorgehen der Türkei gegen die Hungerstreikenden im vergangenen Monat zu untersuchen.

Wie nötig internationale Beobachtung in Wirklichkeit ist, zeigt sich auch in den jüngsten Repressionen gegen den türkischen Menschenrechtsverein IHD. Dessen Zweigstellen in Antep, Van, Konya und Bursa wurden in den vergangenen Tagen und Wochen von der Polizei überfallen, durchsucht und geschlossen. Der IHD in Izmir wurde für zehn Tage geschlossen, während die verschiedenen IHD-Zweigstellen in Ankara und Istanbul wiederholt überfallen und Vorstand und Leitung sowie alle Anwesenden festgenommen wurden. Gestern berichtete der kurdische Fernsehsender MEDYA-TV, dass alle TeilnehmerInnen einer dreißigköpfigen Delegation des IHD in Istanbul, darunter die international bekannte Rechtsanwältin Eren KESKIN, festgenommen wurden, als sie versuchten, einen Brief mit Untersuchungsergebnissen bezüglich der Ereignisse im Zusammenhang mit der Gefängniserstürmung bei der DSP (Partei des Ministerpräsidenten Ecevit) abzugeben.

Der Hungerstreik der ersten Gruppe der Gefangenen hat gestern den achtzigsten Tag erreicht; die meisten Gefangenen dieser Gruppe sind nicht mehr bei Bewusstsein. Soweit sie in Gefängniskrankenhäusern an Infusionen angeschlossen wurden, reißen sie sich selbst die Schläuche heraus, sobald sie das Bewusstsein für kurze Zeit erlangen, um sich gegen die Zwangsernährung zu wehren. Der Solidaritätshungerstreik der Familienangehörigen dauert bereits 55 Tage an. Die von den Gefangenen geforderte Behandlung der ihnen bei der Zwangsräumung zugefügten Verletzungen durch Ärzte des "Ärztebundes der Türkei" (TTB) ist vom Justizministerium abgelehnt worden.

Heidi WEDEL von amnesty international und Jonathan SUGDEM von Human Rights Watch, beide Mitglieder einer gemeinsamen Delegation ihrer Verbände zur Untersuchungen der staatlichen Übergriffe gegen die Gefangenen, erklärten am vergangenen Samstag in Istanbul nach Gesprächen mit Anwälten, Ärzten und Verwandten der Gefangenen sowie mit drei entlassenen Häftlingen, es gäbe deutliche Hinweise darauf, dass die Häftlinge misshandelt worden seien. Einige seien offenbar vor, während und nach ihrer Verlegung in die neuen F-Typ-Gefängnisse gefoltert worden. Der Zugang zu den Gefängnissen selbst war den VertreterInnen der Menschenrechtsorganisationen verwehrt worden. Frau Wedel und Herr Sugdem riefen den Europarat auf, die Lage in den türkischen Gefängnissen zu untersuchen.

Während alle genannten Tatsachen, der türkische Einmarsch in Südkurdistan ebenso wie die Vorgänge in den türkischen Gefängnissen und in Bezug auf die Repressionen gegen MenschenrechtlerInnen in der Türkei, der deutschen und internationalen Öffentlichkeit weitgehend bekannt sind, wurden am Samstag in München von der Polizei fünf Kurden und ein Deutscher während eienr Demonstration gegen die Zwangsverlegungen in die Isolationsgefängnisse in der Türkei, gegen die Folter an den Gefangenen und gegen den türkischen Einmarsch in Südkurdistan festgenommen. Sie wurden nahezu zwölf Stunden unter dem Vorwurf festgehalten, sie hätten "verbotene Parolen" gerufen. In den späten Abendstunden, während die Verdächtigten sich noch in Haft befanden, wurden ihre Wohnungen von je fünfzehn Polizeibeamten durchsucht, wobei private Gegenstände beschlagnahmt wurden - ohne richterliche Durchsuchungsbeschlüsse!

Fassen wir zusammen: Ein Staat - die Türkei - marschiert widerrechtlich in einen Nachbarstaat ein, um in einem erklärten und eingehaltenen Waffenstillstand befindliche Gegner zu eliminieren. Er foltert seine eigenen Gefangenen, verlegt sie mit Gewalt in nicht nur von den Gefangenen, sondern auch von weiten Teilen der übrigen Bevölkerung abgelehnte Isolationsgefängnisse. Den Verletzten wird die Behandlung verweigert, und internationalen Menschenrechtsorganisationen der Zugang zu den Häftlingen. Die eigenen Menschenrechtsvereine unterliegen derweil härtesten Repressionen. Und während Belgien und die Niederlande zivilen Untersuchungsdelgationen offizielle staatliche Unterstützung gewähren, werden in Bayern die Menschen angegriffen, die gegen die Übergriffe in der Türkei demonstrieren.

Wir protestieren auf das Schärfste gegen die Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen der Türkei - und gleichermaßen gegen die Untätigkeit der deutschen Regierung und insbesondere gegen die bayerischen Behörden, die die Repressionen gegen friedliche Demonstrationsteilnehmer veranlasst haben!

YEK-KOM