amnesty
international
Urgent Action
UA 11/1 ai-Index: EUR 44/004/2001 19. Januar 2001 - bs
WILLKÜRLICHE
INHAFTIERUNG
UNFAIRES GERICHTSVERFAHREN / MISSHANDLUNG
Türkei:
sechs Jugendliche im Alter zwischen 14 und 16 Jahren
Am
9. Januar 2001 wurden 28 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen
neun und 18 Jahren festgenommen, weil man ihnen vorwarf, Parolen der
verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) skandiert zu
haben. Berichten zufolge hat man die Festgenommenen geschlagen und
misshandelt sowie unter grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden
Bedingungen festgehalten. Während 22 von ihnen wieder auf freien
Fuß gesetzt wurden, sind sechs Jugendliche im Alter zwischen
14 und 16 Jahren weiterhin in einem Gefängnis für Erwachsene
inhaftiert.
Am 9. Januar 2001 erschienen gegen 17 Uhr Polizisten einer Antiterroreinheit
in gepanzerten Fahrzeugen in der kleinen Stadt Viransehir in der südöstlichen
Provinz Urfa. Sie nahmen eine Gruppe von Minderjährigen fest
und schlugen Berichten zufolge auf sie ein. Dann verlangten sie von
den Festgenommenen, die Namen weiterer Kinder zu nennen. Die Polizisten
gaben als Gründe für die Festnahme an, die Jugendlichen
hätten an einem Lagerfeuer Parolen der PKK skandiert. Die Eltern
der Festgenommenen bestritten dies jedoch und erklärten, die
Kinder hätten Fußball gespielt und einige hätten Feuer
gemacht, um sich zu wärmen.
Am folgenden Morgen führte die Polizei gegen 4:30 Uhr in weiteren
Häusern der Stadt Razzien durch und nahm weitere Kinder und deren
Eltern fest. Während die Eltern nach wenigen Stunden freigelassen
wurden, hielt die Polizei insgesamt 28 Minderjährige, darunter
ein neunjähriges Kind, in der Polizeizentrale weiter inhaftiert.
Die Kinder gaben später gegenüber Rechtsanwälten an,
sie seien gezwungen worden, zwei oder drei Stunden zu stehen, wobei
sie mit dem Gesicht zur Wand und den Händen auf dem Kopf verharren
mussten, ohne dass sie sprechen durften. Sie wurden außerdem
ständig beschimpft und bedroht.
Die 28 Kinder und Jugendlichen mussten die folgenden beiden Tage in
einer drei Quadratmeter großen Zelle ohne Toilette, Waschbecken
oder Pritschen verbringen. Wie es heißt, erhielten sie weder
Nahrung noch Wasser. Sie wurden lediglich zwei oder drei Mal zur Toilette
gebracht, was dann die einzige Gelegenheit für sie war, Wasser
zu trinken.
Nach vorliegenden Informationen wurden zumindest einige der Festgenommen
verhört, ohne dass ein Rechtsanwalt anwesend war. Keines der
Kinder durfte einen Rechtsanwalt kontaktieren. Die Polizisten sollen
die Kinder gezwungen haben, Dokumente zu unterzeichnen, deren Inhalt
sie nicht kannten. Obwohl zwölf der Minderjährigen Berichten
zufolge Analphabeten sind, lasen die Polizisten ihnen die Papiere
nicht vor.
Die 28 Minderjährigen wurden am 11. Januar 2001 einem Richter
und einem Staatsanwalt vorgeführt. Es wird vermutet, dass sie
wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation, Verbreitung
von Propagandamaterial dieser Organisation und Verstoßes gegen
das Demonstrationsrecht unter Anklage gestellt worden sind. Danach
wurde ein Minderjähriger freigelassen, 27 der Festgenommenen
überstellte man hingegen in ein Gefängnis für Erwachsene.
21 der Minderjährigen sind inzwischen wieder auf freiem Fuß,
während sechs von ihnen, deren Namen zum Schutz der Kinder nicht
genannt werden, sich nun im Gefängnis Urfa befinden, nachdem
Anträge auf ihre Freilassung abgelehnt wurden. Die Akten zu dem
Fall sind an das Staatssicherheitsgericht von Diyarbakir geschickt
worden.
Die Aussagen der Minderjährigen über ihre Misshandlung bei
der Festnahme und im Gefängnis wurden von Rechtsanwälten,
die die Kinder am 12. Januar 2001 im Auftrag des "Türkischen
Menschenrechtsvereins" (IHD) besucht hatten, aufgezeichnet.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Die Türkei ist Vertragsstaat des Übereinkommens der Vereinten
Nationen über die Rechte des Kindes, der Europäischen Konvention
zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und des Übereinkommens
gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe. Auf der Grundlage dieser Menschenrechtsverträge
ist die Türkei verpflichtet, sicherzustellen, dass niemand der
Folter oder anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Strafe ausgesetzt wird. Internationale Standards schreiben
außerdem vor, dass die Festnahme, Freiheitsentziehung oder Freiheitsstrafe
bei einem Kind im Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und
für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden darf.
Insbesondere ist jedes Kind, dem die Freiheit entzogen ist, von Erwachsenen
zu trennen. Jedes Kind, dem die Freiheit entzogen worden ist, hat
außerdem das Recht auf einen Rechtsbeistand und andere angemessene
Unterstützung. EMPFOHLENE AKTIONEN: Schreiben Sie bitte Telefaxe
oder Luftpostbriefe, in denen Sie
* die Behörden auffordern, umgehend zu überprüfen,
ob die Inhaftierung der Kinder mit internationalen Standards übereinstimmt,
in denen es heißt, dass die Festnahme, Freiheitsentziehung oder
Freiheitsstrafe bei einem Kind im Einklang mit dem Gesetz nur als
letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet
werden darf;
* fordern, dass sofort eine unparteiische und umfassende Untersuchung
der Berichte eingeleitet wird, denen zufolge die Kinder und Jugendlichen
von der Polizei geschlagen worden sind und in der Polizeizentrale
unter grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen festgehalten
wurden;
* bei den Behörden darauf dringen, dass die Polizisten, die für
die Misshandlung der festgenommenen Minderjährigen verantwortlich
sein sollen, bis zum Abschluss der Ermittlungen vom Dienst suspendiert
werden;
* fordern, dass die Kinder eine Entschädigung sowie die erforderliche
medizinische Behandlung und Rehabilitationsmöglichkeiten erhalten;
* die Behörden auffordern, sicherzustellen, dass jedes der inhaftierten
Kinder von einem unabhängigen Arzt untersucht wird und die notwendige
medizinische Behandlung erhält;
* darlegen, dass die Minderjährigen umgehend über die Gründe
für ihre Festnahme und Inhaftierung informiert werden müssen,
und man ihnen die in internationalen Abkommen festgeschriebenen Rechte,
darunter das Recht auf einen Anwalt, gewährt;
* die Behörden auffordern, dafür zu sorgen, dass jene Minderjährigen,
denen erkennbar strafbare Handlungen zur Last gelegt werden, umgehend
in Übereinstimmung mit internationalen Rechtsnormen vor Gericht
gestellt werden und den Schutz erfahren, der ihnen als Minderjährige
zusteht;
* fordern, dass die Aussagen, die aufgrund von Misshandlungen und
ausgeübtem Druck zustande gekommen sind, vor Gericht nicht als
Beweismittel zugelassen werden.
APPELLE
AN:
Herrn Saadettin Tantan, Innenminister der Türkei, Innenministerium,
Içisleri Bakanligi, TR-06644 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI Telefax:
(00 90) 312 418 1795
Herrn Prof. Hikmet Sami Türk, Adalet Bakani, Adalet Bakanligi,
TR-06659 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI (Justizminister) Telefax: (00
90) 312-418 5667; (00 90) 312-417 3954
Herrn Hasan Gemici, Basbakanlik, 06573 Ankara, TÜRKEI (Minister
für Frauen und Jugend) Telefax: (00 90) 312 418 0476 (please
forward to...)
KOPIEN
AN:
Herrn Rüstü Kazim Yücelen, Büro des Ministerpräsidenten,
Basbakanlik, 06573 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI (Beauftragter für
Menschenrechtsfragen) Telefax: (00 90) 312 417 0476
Kanzlei der Botschaft der Republik Türkei, Rungestr. 9, 10179
Berlin (S. E. Herrn Osman Taney Korutürk) Telefax: 030-2759 0915
E-Mail: turk.em.berlin@t-online.de
Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben
Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent
Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir
Sie, nach dem 1. März 2001 keine Appelle mehr zu verschicken.
RECOMMENDED
ACTION: Please send telegrams/telexes/faxes/express/airmail letters
in English or your own language:
- calling on the authorities to review the detention of these children
immediately, in line with international standards, which state that
children shall be deprived of their liberty only as a measure of last
resort and for the shortest appropriate time;
- urging the authorities to initiate a prompt, impartial, independent
and thorough investigation into the allegations that the children
were ill-treated by police, and that they were held in the Police
Headquarters in conditions that amounted to cruel, inhuman or degrading
treatment or punishment;
- asking them to ensure that the police officers allegedly responsible
are suspended from active duty while they are under investigation,
and that the children receive compensation, treatment and rehabilitation;
- urging the authorities to ensure that each of the children in custody
is examined and given any necessary treatment by an independent doctor
of their choosing;
- stating that all children who are arrested should be told immediately
why they have been arrested, and afforded access to a lawyer and all
other rights and safeguards enshrined in international standards;
- asking them to ensure that any who are charged with recognizably
criminal offences are tried promptly in accordance with international
standards for fair trial, and afford the special protections due to
people of their ages;
- urging the authorities to ensure that any statements made as a result
of ill-treatment or coercion are excluded from evidence in any proceedings
against the children.