Interview mit den Rechtsanwälten Roland Meister (Essen) und
Rainer Ahues (Hannover). Das Interview führte Karin Leukefeld für die Tageszeitung Junge Welt (erschienen in gekürzter Fassung am 8.2.2001) Herr Ahues, welche Vorwürfe werden Ihrem Mandanten Sait Hasso vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gemacht? Rainer Ahues: Herr Hasso ist der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt, dem sog. "Heimatbüro". Er soll Urkunden gefälscht und Ausländer eingeschleust haben, das war die Ursprungsanklage. Im Eröffnungsbeschluss wurde das um den Vorwurf des "bandenmäßigen Einschleusens" angereichert. Dabei ging es um eine bestimmte Person, die in Berlin im Asylverfahren als politischer Flüchtling nach der Genfer Konvention anerkannt wurde.
Rainer Ahues: Herr Hasso ist seit etwa Mitte Januar in der JVA Düsseldorf, seitdem haben sich seine Haftbedingungen dramatisch verschlechtert. So etwas habe ich in meiner Verteidigertätigkeit noch nicht erlebt. Angeblich soll er erklärt haben, er lege keinen Wert auf seine persönlichen Dinge und die könnten in seinem ehemaligen Haftort Hannover verbleiben. Wer's glaubt wird selig. Es ist völlig außer Frage, dass ein Gefangener, der zum Prozeß 14 Tage vorher verlegt wird, natürlich alle seine Unterlagen dabei haben möchte, auch haben muß. Die Haftbedingungen in Düsseldorf sind derzeit schlecht und wir versuchen, das zu verbessern.
Rainer Ahues: Nein.
Roland Meister: Sait Hasso ist ein kurdischer Politiker, der aus
der Türkei geflohen ist, weil er dort durch das türkische
Regime gesucht wird. Er hat hier Asylantrag gestellt. Der ist abgelehnt
worden mit der Begründung, dass man ihm die Geschichte nicht
glaubt. Gleichzeitig hat das Bundeskriminalamt gegen ihn als "Deutschlandkoordinator"
der PKK ermittelt. Er sei bereits in der Türkei illegal an maßgeblicher
Stelle für die PKK tätig gewesen. Interessant ist, dass
das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge,
eine Behörde des Bundesinnenministeriums des Inneren, vor der
Entscheidung über den Asylantrag, durch das BKA unterrichtet
wurde, dass gegen Sait Hasso wegen PKK-Tätigkeiten und des Verdachtes
der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird. Das Bundesamt
hat in klarem Wissen über diese Tatsache den Asylantrag abgelehnt
und die Abschliebung in die Türkei angedroht. Wenn eine Behörde
doppelgesichtig handelt, ist das meiner Ansicht nach ein klarer Verstoss
gegen das Rechtsstaatsprinzip eines Verfahrenshindernisses.
Roland Meister: Dieser Prozess reiht sich ein in die Kette von tausenden von Prozessen seit dem PKK-Betätigungsverbot 1993. Früher ging es in der Anklage um eine "terroristische Vereinigung", inzwischen geht es um die Bildung einer "kriminellen Vereinigung". Wir haben in den letzten 10 Monaten mehrere Verfahren vor den Oberlandesgerichten Stuttgart, Berlin, Celle, München gehabt. Die dort Angeklagten wurden wegen der Bildung und Teilnahme einer "terroristischen Vereinigung" verurteilt. Das Strafmaß lag zwischen 2 bzw. 2 Jahren und 8 Monaten. Sait Hasso ist wegen der Bildung einer "kriminellen Vereinigung" angeklagt. Allein unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit - d.h. ein niedrigerer Anklagevorwurf und eine fast einjährige Untersuchungshaft - ist seine Haftentlassung erforderlich. Das Gericht hat das heute (5.2.2001) abgelehnt. Offensichtlich soll auf ihn Druck ausgeübt werden, die letztlich auch seine politische Identität betrifft. Rainer Ahues: Der Haftentlassungsantrag war zudem gerechtfertigt, weil wir es hier mit einem verstaubten Relikt der politischen Verfolgung zu tun haben, nämlich dem § 129. Dieser Paragraph ist sowohl aus rechtsstaatlichen als auch aus strafrechtlich-dogmatischen Gesichtspunkten außerordentlich bedenklich. Hier wird eine bestimmte Zugehörigkeit zu einer Organisation, die sich meistens über gedankliche Gemeinsamkeiten ergibt, zum Anlaß genommen, eine "kriminelle Vereinigung" zu konstruieren, die Urkunden fälschen und Leute einschleusen soll. Wenn man den Vorwurf der "kriminellen Vereinigung" wegnehmen würde, bliebe der Vorwurf der Urkundenfälschung. Wir haben aber keine einzige falsche Urkunde in diesen Akten.
Roland Meister: Inzwischen steht auch für das OLG Düsseldorf eindeutig fest, dass türkisch und kurdisch zwei Sprachen sind. Sait Hasso spricht Kurmanci, das hat er auch in seinem Asylverfahren deutlich gemacht. Wir haben das Gericht im Vorfeld des Verfahrens darauf hingewiesen und gingen davon aus - zumal es dutzende guter kurdischer Dolmetscher gibt - dass selbstverständlich der Prozess für den Angeklagten in die kurdische Sprache übersetzt wird. Die Weigerung des Gerichts erfolgte mit der Begründung, er könne ebenso gut türkisch wie kurdisch. Trotzdem rückt das Gericht diese Frage immer wieder in den Mittelpunkt. Warum? Einerseits soll der Angeklagte demoralisiert werden, aber es soll auch von dem Hauptverlauf der Verhandlung abgelenkt werden. Weder die Verteidigung noch der Angeklagte werden sich darauf einlassen. Rainer Ahues: Das Gericht hat sich heute angemaßt, feststellen zu können, der Angeklagte verstehe soviel türkisch, dass er der Hauptverhandlung folgen kann. Wie? Es wurden zwei Leute aus dem Knast geholt, mit denen er irgendwann mal in türkisch gesprochen hat Das Gericht ist in alten patriaralischen Vorstellungen preussischer Art gefangen, wenn es z.B. sagt, es mache nichts, wenn Sait Hasso nur die türkische Umgangssprache, nicht aber die feine juristische Sprache verstehe. Das sei bei Deutschen ja auch nicht anders.
Rainer Ahues: Unsere wesentlichen Verteidigungsunterlagen sind die Akten. Im Wesentlichen stützt sich dieses Verfahren auf umfangreiche Telefonüberwachungsprotokolle, die auf verschiedenen technischen Geräten analog und digital aufgezeichnet wurden. Es ist enorm wichtig, sich die Originalgespräche mit einem eigenen Dolmetscher anhören zu können. Nur so können wir prüfen, was da wirklich gesprochen worden ist. Das Gericht vertrat allerdings zunächst die Auffassung, die Verteidigung habe darauf keinen Anspruch und müsse die beglaubigten Übersetzungsurkunden akzeptierren. Inzwischen wurde das geändert, so dass wir Verteidiger die Originalmitschnitte anhören können. Allerdings müssen wir uns in die Räume des Bundeskriminalamtes begeben, was die Sache sehr erschwert. Je komplizierter und umfassender die Überwachungstechnik wird, umso komplizierter wird es, diese Originale den Prozeßbeteiligten zur Verfügung zu stellen. Auch das Gericht hat nicht die Originale, die hat nur das BKA. Die Ermittlungsbehörde beherrscht also nicht nur das Ergebnis ihrer Ermittlungen, sondern auch die Anklageschrift und das Urteil. Und die Ermittlungsbehörde behält die überprüfbaren Fakten für sich. Mit technischen Argumenten werden die Verteidigerrechte immer mehr eingeschränkt.
Roland Meister: In diesem Prozess geht es insbesondere um das Betätigungsverbot
gegenüber der PKK von 1993. Sait Hasso wird das zum Gegenstand
seiner Verteidigung machen. Das Verbot war tatsächlich eine einschneidende
Maßnahme, die in ihrem Umfang von der demokratischen Öffentlichkeit
nicht wahrgenommen wurde. Unter dem Aspekt demokratischer Rechte und
Freiheiten. für politische Bewegungen in Deutschland, sind die
Auswirkungen des Verbots vielleicht mit dem KPD-Verbot von 1956 zu
vergleichen. Das Verfahren gegen Sait Hasso soll das PKK-Betätigungsverbot
bestätigen, während gleichzeitig das Betätigungsverbot
die Grundlage für so ein Verfahren ist. Ohne solche Prozesse
könnten die Kurden hier in Deutschland ihre Politik machen, sich
versammeln, sie bräuchten keine illegalen konspirativen Strukturen.
Weitere Informationen zum Prozeß gegen Sait Hasso und die Kriminalisierung von Kurden und Kurdinnen in Deutschland bei AZADI e.V.Köln, 0221-9234497 oder www.nadir.org/azadi/ |