Initiative der kurdischen Intellektuellen in Europa
Înîsiyatîfa Entelektuelên Kurd li Ewrûpa
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Presseerklärung
14. Februar 2001
Die
Türkei steht am dunklen Abgrund
Seit 6 bis 7 Monaten treibt die Türkei Schritt für Schritt
auf einen dunklen Abgrund zu und verspielt dabei nach und nach alle
positiven Schritte und sich ihr bietenden Chancen. Dabei hatte sie
sich, dank der einseitigen Schritte der PKK hin zum Frieden, im Dezember
1999 in Helsinki dem Zielhafen der Europäischen Union (EU) genähert,
und das Jahr 2000 hatte in einer relativ hoffnungsvollen und positiven
Atmosphäre begonnen.
Die Kräfte in der Türkei, die den Frieden und die Demokratie
fürchten und in Gewalt und Konflikten die einzige Alternative
sehen, haben nach der Ergreifung des PKK-Führers Öcalan
und seiner Verurteilung zum Tode gehofft, dass die PKK mit der Beendigung
des bewaffneten Kampfes und dem Rückzug ihrer Guerilla hinter
die Grenzen geschwächt und gespalten würde. Als diese Erwartungen
sich nicht erfüllten, wurden sie immer zorniger und aufgeregter.
So wurde der Weg für eine Entwicklung geebnet, die sogar Ministerpräsident
Ecevit hat fragen lassen: "Wer hat auf den Knopf gedrückt?".
Nach 20 Jahren hat die Polizei wieder damit begonnen, Seite an Seite
mit zivilen faschistischen Kräften, "Operationen" gegen
Menschenrechtler und demokratische Kräfte durchzuführen,
in vielen Städten zeitgleich auf die Straße zu gehen und
mit Bedrohungsgesten ihre Waffen zu zeigen, um so Terror auszuüben.
Dem folgte der Angriff auf die Angehörigen der in den Kerkern
im Hungerstreik befindlichen Häftlinge. Am Morgen des 19. Dezember
2000 sind durch einen geplanten und koordinierten Angriff in den Gefängnissen
über 30 Menschen bei lebendigem Leibe verbrannt und ihre Körper
mit Dumdum-Geschossen zerfetzt worden.
Im Zentrum von Diyarbakir wurden am 24. Januar 2001 der Polizeidirektor
Gaffar Okkan und 5 Polizisten durch ein Kommando von 15-20 Leuten
ermordet. Dass man bis jetzt noch keine Spur von den Tätern hat,
muss in höchstem Maße verwundern, wenn man weiß,
dass sich hier das Hauptquartier des Ausnahmezustandsgebiets befindet,
wo nach Aussagen des ehemaligen Staatsministers für Menschenrechtsfragen
Algan Hacaloglu 85 % der Bevölkerung polizeilich registriert
sind.
Durch eine Eskalation solch negativer Entwicklungen soll eine Atmosphäre
der Angst erzeugt werden. Die Zentrale des Menschenrechtsvereins IHD
in Ankara wurde in den vergangenen Tagen erstmals in ihrer Geschichte
gestürmt und Disketten und Dokumente beschlagnahmt. IHD-Büros
in anderen Städten werden nach und nach geschlossen. Die Willkür
gegenüber der pro-kurdischen Partei HADEP ist grenzenlos. Zwei
HADEP-Mitglieder, die in Silopi zur Vernehmung auf die Gendarmerie
gerufen wurden, sind seit dem 25. Januar 2001 verschwunden. Und in
Kurdistan werden wieder Leichen von Opfern "unbekannter Täter"
gefunden.
Obwohl im EU-Dokument zur Beitrittspartnerschaft Rücksicht auf
die "Sensibilität" der Türkei genommen wurde und
dort nur verdeckt von Mindestrechten die Rede ist, gesteht die Türkei
selbst diese Rechte den Kurden nicht zu und verletzt die Grenzen eines
souveränen Staates (Irak). Mit Tausenden von Soldaten ist sie
200 km tief in Südkurdistan einmarschiert, hat Panzer und Kanonen
stationiert und dort de facto eine Situation geschaffen, wo sie mit
allen Mitteln die PKK in eine bewaffnete Auseinandersetzung zu ziehen
versucht.
Der Ehrenvorsitzende des IHD Akin Birdal, der 1998 ein Attentat schwerverletzt
überlebte, bezeichnete die gegenwärtige Situation in der
Türkei am 12.02.01 im WDR als einen "Gang durch ein Minenfeld,
bei dem man nie weiß, wann und wo die nächste Mine explodiert".
Anstatt dem Frieden eine Chance zu geben, indem sie den Krieg beendet,
anstatt eine umfassende Demokratie zu etablieren und sich so den Weg
zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu ebnen, bewegt
sich die Türkei zum Negativen hin. Anstelle des Lichts wählt
sie die Dunkelheit, anstelle des Friedens Konflikt und Chaos. Die
kaum wahrnehmbare Reaktion Europas ermutigt die friedensfeindlichen
Kräfte in der Türkei noch.
Unsere Initiative besteht aus über 80 kurdischen Intellektuellen
aus verschiedenen Ländern Europas. Anfang November 2000 wurden
von uns in der Deklaration "Die Europäische Union, die Türkei
und die Kurden" dringende von der Türkei und der EU zu unternehmende
Schritte aufgeführt. Kurz danach haben wir zur weiteren Beobachtung
der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei die "Initiative
der kurdischen Intellektuellen in Europa" gegründet, um
die Forderungen des kurdischen Volkes den zuständigen Parteien
zu übermitteln.
Aus Verantwortung für das kurdische und türkische Volk rufen
wir die EU, die einzelnen Mitgliedsstaaten und die demokratischen
Kräfte dazu auf, gegen die negative Entwicklung in der Türkei
Stellung zu beziehen, um dem Frieden und der Demokratie eine Chance
zu wahren. Die Menschenrechtler, demokratische Kräfte und das
kurdische Volk heute gegenüber den Angriffen allein zu lassen
wird zu nicht wiedergutzumachenden Resultaten führen. Daher ist
es höchste Zeit, jetzt zu handeln.
V.i.S.d:P: M, Sahin, Köln