KURDISTAN AKTUELL HINTERGRUNDBRIEFINGS März 2001 Nach Özal Wer ist Kemal Dervis? Ein Portrait des Mannes, der im Auftrag der Weltbank die türkische Ökonomie retten soll Er soll richten, woran die Regierung Ecevit fast zerschellt wäre: die aktuelle Finanzkrise beenden und, wenn möglich; die gesamte türkische Wirtschaft endlich auf In stabiles Fundament stellen: Mit dieser Herkulesaufgabe hat Ministerpräsident Ecevit einen alten Freund der Familie-betraut, Kemal Dervis. Als Dervis im Januar 1949 in Istanbul geboren wurde; waren sein Vater, ein Unternehmer, und seine deutsche Mutter Freunde der Eltern Rahsan Ecevits. In den Freundeskreis stieß eine dritte bürgerliche Istanbuler Familie, die Eltern Bülent Ecevits, der 1946 Rahsan heiratete und später zum Hoffnungsträger der türkischen Linken wurde. Dervis verließ Istanbul und studierte in Ankara an der (englischsprachigen Middle East Technical University) Volkswirtschaftslehre. An der London School of Economics erhielt er sein Diplom; promoviert wurde er an der Princeton University. Von 1973 bis1976 hat er als Sozialdemokrat und junger Wissenschaftler seinen Freund Ecevit beraten und vergeblich versucht, die türkische Linke vom Etatismus abzubringen, auf die Marktwirtschaft auszurichten. Dann trennten sich ihre Wege: Ecevit begann eine Dauerfehde mit seinem konservativen Erzrivalen Demirel, Kemal Dervis machte, nach einer kurzen Lehrtätigkeit in Princeton, von 1978 an bei der Weltbank Karriere. Dort stieg er 1996 zu einem der Vizepräsidenten auf, seit Mai 2000 mit Verantwortung für die Armutsbekämpfung. In der Türkei, wo er auf der Istanbul vorgelagerten Insel Büyükada ein Haus besitzt, wurde Dervis 1994 Gründungsmitglied der kurzlebigen Neuen Demokratiebewegung des Textilunternehmers Cem Boyner. Ein Vergleich mit Turgut Özal drängt sich auf. 1979 hatte der damalige Ministerpräsident Demirel den umtriebigen Özal, der zuvor ebenfalls bei der Weltbank gearbeitet und sich in der Türkei als unkonventioneller Sanierer von Unternehmen einen Namen gemacht hatte, damit beauftragt, den drohenden Staatsbankrott abzuwenden. Der hemdsärmelige Özal befreite zunächst die Wirtschaft dann die Politiker von Fesseln, liberalisierte sie und öffnete die Türkei. Seit 1980 hatte Özal die Rückendeckung des Militärs, um den gordischen Knoten zu durchschlagen. Seine Reformen blieben unvollendet. Noch immer basieren weite Teile der türkischen Politik und Wirtschaft auf Korruption und Nepotismus, auch wenn sie nur mit der Sauerstofflasche überleben können. Noch immer hat die Türkei nicht den Übergang zu einem modernen, in die Globalisierung eingebundenen Land vollzogen. Dervis ist kein Deus ex machina. Um die Reformen Özals zu vollenden, hat er weder eine politische Hausmacht noch freie Hand. Sollte es ihm gelingen zumindest die weitere Modernisierung der Türkei anzustoßen, könnte er, in der Nachfolge des 75 Jahre alten Ecevit, auch zu dem lang erwarteten Erneuerer, der türkischen Politik werden. An einem Erfolg sind aber nicht alle interessiert. Seiner Berufung hatte sich die rechte Partei der Nationalistischen Bewegung bis zuletzt widersetzt. Ihr Weg führte zuletzt geradlinig und fast unbemerkt an die Macht; zielstrebig geht ihr Vorsitzender Bahceli auf das Amt des Ministerpräsidenten zu. Wegen des wachsenden Drucks der Öffentlichkeit und der Wirtschaft mußte sie Dervis akzeptieren. Rainer Hermann |