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Hamburg, 04.05.2001

 

Wir dokumentieren aus einer Erklärung des PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan aus der türkischsprachigen Tageszeitung Özgür Politika vom 4. Mai 2001

Die Geschichte wird neu geschrieben

Wie der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan mitteilt, befindet er sich in der Vorbereitung seiner Verteidigung für den bevorstehenden Prozess vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, die umfangreicher als die vom Imrali-Prozess sein wird. Er werde damit die Geschichte neu schreiben, so Öcalan: "Die Kurden haben keine Geschichte, eine Gesellschaft ohne Geschichte ist verflucht. Dagegen arbeite ich an."

In einer Erklärung, die über seine AnwältInnen abgegeben wurde, wertet der PKK-Vorsitzende seine Verteidigung, die Frage der demokratischen Einheit und die in der Türkei stattfindende Krise aus.
Grundlegend für die Verteidigung vor dem EMGH sei die Anlehnung an die Realität und komplette Aufklärung des Themas, so Öcalan. Seine Verteidigung von Imrali sei oberflächlich gewesen aufgrund der damals bestehenden Bedingungen, die eine bessere Vorbereitung nicht ermöglicht hätten. "Die Verteidigung kann nicht auf wenige juristische und technische Paragraphen reduziert werden. Die EMGH-Verteidigung darf nicht oberflächlich behandelt werden. Sie wird ihrer historischen, politischen und gedanklichen Bedeutung angemessen sein. In meiner Verteidigung habe ich mich auch bemüht, ein bisschen Geschichte zu schreiben. In der Vergangenheit wurde von einem sehr engen Antagonismus ausgegangen. In den letzten beiden Jahren habe ich dagegen angearbeitet."
"Die Kurden haben keine Vergangenheit. Eine Gesellschaft ohne Vergangenheit ist verdammt", so Öcalan, der weiter erklärte, seine grösste Anstrengung sei darauf ausgerichtet, dies zu verändern. Es seien wichtige Dinge hervorgebracht worden, auf politischer Ebene sei der Erfolg jedoch nicht ausreichend: "Das ist bezeichnend, in der Geschichte bleibt die Realität bestehen, nicht die kleinen unnützen Auseinandersetzungen. Davon handelt meine Verteidigung, das ist meine Wirklichkeit, dementsprechend müssen Ergebnisse erzielt werden. Dafür kämpfen wir hier seit zwei Jahren. In der Verteidigung steckt ein bisschen der Kern dessen."

In der Verteidigung werde er sich mit Europa "raufen", so Öcalan: "Es wird noch mehr eine Verteidigung gegen Europa sein. Europa hat die Türkei, die Kurden und mich genötigt. Deswegen werde ich nicht rumschreien, aber die Türkei muss diese Dinge begreifen."

Grund für die momentane Krise in der Türkei seien die Kriegsausgaben, erklärte der PKK-Vorsitzende und wiederholte, der einzige Weg zur Überwindung der Krise sei die Demokratisierung. "Meine Verteidigung werde ich darauf aufbauen. Wir müssen richtig verstanden werden. Ich spreche dabei nicht nur vom Staat, sondern vom Staat der Türkei oder sogar vom Staat des Mittleren Ostens. Grundlegend für mich ist der Bestand eines demokratischen Staates. Ich bestehe auf der Demokratischen Republik. Wir müssen in diesem Prozess in meiner Persönlichkeit wichtige Realitäten schaffen. Wenn wir das machen, werden wir demokratisches Recht angewandt haben. Zur Zeit demokratisiert sich auch die Justiz. Wir können nicht die gesamte Justiz als faschistisch bezeichnen. So wird die demokratische Justiz verteidigt."
Weiter kritisierte Öcalan, dass zwar TÜSIAD Forderungen nach Reformen aufgestellt habe, die Gewerkschaften jedoch, deren eigentliche Aufgabe das sei, ihre politischen Forderungen nach einem demokratischen Wechsel nicht strukturiert formuliert hätten. "In der Türkei bildet die Bourgeoisie die Vorhut der Demokratie, sie hat die Notwendigkeit begriffen. Dagegen sind die Gewerkschaften völlig unbekümmert. Ich rufe sie dazu auf, demokratische Forderungen zu erheben. Sie sagen dem türkischen Volk nicht die Wahrheit über die Ursachen der Krise. Ein demokratisches Bündnis ist wichtig, ein Bündnis der demokratischen Kräfte der Türkei grundlegend. Die kapitalistischen Kreise in der Türkei haben das erkannt, aber es ist notwendig, dass die Gewerkschaften und auch die politischen Parteien eine demokratische Einheit bilden."

Weiter forderte Öcalan die Schaffung einer demokratischen Einheit sowohl zwischen Türken und Kurden als auch zwischen Kurden und Kurden in Südkurdistan. "Wir brauchen eine demokratische Einheit im Süden, ein Dreierbündnis muss zu arbeiten beginnen. An dieser demokratischen Einheit können sich auch Turkmenen, Assyrer, Yeziden beteiligen. Es muss ein Einheitsbündnis geben. Im Süden soll weder das Blut der Kurden noch das von Soldaten vergossen werden. Jeder muss etwas für den Frieden tun, wir müssen uns gegen das Blutvergiessen einsetzen."

Auch von der Türkei erwarte er eine Friedensinitiative sowie eine Generalamnestie. "Wir wollen einer demokratischen, laizistischen Republik dienen, dafür muss der Weg geöffnet werden. Wenn das, was wir gesagt haben, schon im Jahr 2000 angewandt worden wäre, hätte sich die Krise nicht soweit vertieft."
Weiterhin erklärte der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan, es gebe eine Verbindung zwischen seiner eigenen Haltung und dem Fall des ehemaligen Ministers und Geschäftsmanns Cavit Caglar, der (wegen Korruption in den USA festgenommen worden war) und sich jetzt in der Türkei vor Gericht verantworten muss. "Die Aufdeckung seiner Korruptionsgeschäfte steht in Zusammenhang mit meinem Verhalten hier. Caglar soll gesagt haben, "Was für ein Schicksal, in meinem Flugzeug haben sie Apo hergebracht, jetzt bringen sie mich genauso in die Türkei". Es gibt vielleicht keine direkte Verbindung, aber eine indirekte. Er hat mich mit seinem Flugzeug hergebracht. Ich habe nicht direkt ihn hergebracht, aber ich habe die Phase eröffnet, die das ermöglicht hat. Ich bin ein Aufständiger, er war Minister. Er wird wegen Korruption verurteilt werden, ich dagegen werde im Rahmen der Demokratischen Republik meine Wirklichkeit in der Geschichte beweisen. Die Realität ist auch der stärksten politischen Kraft überlegen."