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Hamburg, 06.05.2001

Wir dokumentieren einen Artikel von Irfan Cüre aus der türkischsprachigen Tageszeitung Özgür Politika vom 6. Mai 2001

Deniz zu gedenken, bedeutet seinen Kampf fortzusetzen

Deniz Gezmis: "Es lebe die Unabhängigkeit des Volkes der Türkei! Es lebe die erhabene Ideologie des Marxismus-Leninismus! Es lebe der Unabhängigkeitskampf des türkischen und kurdischen Volkes! Nieder mit dem Imperialismus!

Yusuf Aslan: "Ich sterbe nur einmal und in Ehre für die Unabhängigkeit und das Glück meines Volkes. Ihr, die ihr uns aufhängt, werdet jeden Tag sterben. Wir dienen unserem Volk, ihr dient Amerika. Es leben die Revolutionäre, nieder mit dem Faschismus!"

Hüseyin Inan: "Ich habe für das Glück und die Unabhängigkeit meines Volkes gekämpft, ohne persönlichen Profit anzustreben. Diese Fahne habe ich bis zum jetzigen Augenblick in Ehre getragen. Jetzt vertraue ich sie dem Volk der Türkei an. Es leben die Arbeiter und Bauern! Nieder mit dem Faschismus!"

von IRFAN CÜRE

Deniz Gezmis, Yusuf Aslan und Hüseyin Inan waren die Führer der "Volksbefreiungsarmee der Türkei". Genau vor 29 Jahren, am 6. Mai 1972, zu einer Zeit, in der die Armee der Republik Türkei das Land mit offener Gewalt beherrschte, wurden sie in Ankara hingerichtet.
Demirel, der damals alles versuchte, um den Hinrichtungsentscheid durch das Parlament zu bringen, sagte Jahre später so etwas wie: "Wenn sie heute leben würden, wären sie nicht hingerichtet worden." Diejenigen, die in der Zeit vor 71 mit der Studentenbewegung von Deniz und seinen Leuten in Berührung kamen, bestehen heute noch darauf, dass sie "unschuldig waren und keine Schuld begangen haben, die die Hinrichtung rechtfertigt". Die Fossilien dieser Zeit, die sich in der 68'er-Stiftung zusammengefunden haben, legen falsches Zeugnis ab, wenn sie beteuern, wie sehr Deniz und seine Leute dem Staat und der Armee verbunden waren und eigentlich nur gegen die damalige Regierung etwas hatten. Sie spalten die Wut, die Begeisterung und die Sehnsucht dieser Menschen, für die wissenschaftlicher Sozialismus und revolutionäre Geschichte eine Bedeutung hatte, ab und verwandeln sie in eine trockene Fabel, in eine mathematische Formel und versuchen zu beweisen, dass Deniz und seine Freunde nichts mit Revolution am Hut hatten, sondern nur kleine bourgeoise Abenteurer waren.
Deniz, Yusuf und Hüseyin waren die Anführer von THKO. THKO wiederum war eine der drei Komponenten des Widerstands von 71. THKO, THKP-C und TKPML-TIKKO waren die Avantgarde des grossen Aufstandes, der als "Widerstand von 71" in die Geschichte einging und eine neue Phase des revolutionären Kampfes in der Türkei einleitete. Trotz ihrer Unterschiedlichkeiten lehnten sie sich alle an den wissenschaftlichen Sozialismus an, wollten der imperialistischen und oligarchischen Herrschaft ein Ende setzen und ein demokratisches Land gründen. In ihren Programmen war die Rettung der Arbeiterklasse und Bauern vor Repression, Unterdrückung und Ausbeutung vorgesehen. Alle drei standen für die Befreiung des kurdischen Volkes ein, auch wenn sie unterschiedliche Ausdrücke dafür verwendeten (Freiheit den Völkern, Schluss mit nationaler Unterdrückung, Kampf des kurdischen und türkischen Volkes). Eine weitere Besonderheit, die sie gemeinsam hatten, war der bewaffnete Aufstand gegen den Staat. (...)
Weggabelung in der sozialistischen Bewegung der Türkei
Es ist der Kemalismus, der den Feind der Demokratie in der Türkei darstellt und dem repressiven und ausbeuterischen Aufbau seinen Geist verleiht. Was Kemalismus bedeutet, wissen am besten diejenigen, die am meisten unter seiner Unterdrückung gelitten haben. Deren Sprache, Kultur und selbst Existenz verleugnet wurde, können seine Wirklichkeit am besten begreifen. Die Sozialisten der Türkei konnten nicht wirklich damit abrechnen, auch wenn sie dem Staat noch soviel Blut und Leben gegeben und die Kerker des Kemalismus, Folter und Vertreibung erlebt hatten, weil sie einerseits unter dem Einfluss der Bewertung des Kemalismus durch die internationale sozialistische Bewegung standen und andererseits grösstenteils Sozialisten der herrschenden Nationen waren. In der sozialistischen Bewegung der Türkei trennten sich die Wege, als die revolutionäre Bewegung von 71 den Staat der Republik Türkei und seine Ordnung angriff, der das grösste Werk des Kemalismus darstellt. Natürlich ist diese Bewegung nicht vom Himmel gefallen. Sie ist das Produkt sowohl der langen Geschichte der sozialistischen Bewegung der Türkei, als auch der revolutionären Jugendbewegung sowie des Geistes der Begeisterung und internationalen Solidarität, die sich von den Revolutionen in China, Kuba, Vietnam auf die gesamte Welt ausgebreitet hatten.
Sie waren Schreie der Sehnsucht und Überzeugung
Mit einem Memorandum begann am 12. März 1971 die Militärdiktatur. Der damalige Kopf der türkischen Armee, Generalleutnant Tagmac, spricht zur Rechtfertigung der Intervention wenn auch ungewollt davon, dass "die soziale Entwicklung der wirtschaftlichen Entwicklung den Weg verbaut" habe. Der demokratische, revolutionäre Kampf der Arbeiter, Bauern, Lehrer und Jugend, also mit den Worten Tagmac's die "soziale Entwicklung", bedrängte die wirtschaftliche, politische und juristische Ordnung von Imperialismus und Oligarchie. Den am weitesten links und ganz vorne stehenden Platz in der sich entwickelnden und anschwellenden gesellschaftlichen Opposition nahm die militante sozialistische Jugend ein, aus der sich später die revolutionäre 71'er-Bewegung zusammensetzte.
Die Aktivitäten der 71'er-Revolutionäre, deren Symbolfiguren Deniz, Yusuf, Hüseyin, Mahir, Cihan, Kaypakkaya, Sinan, Cevahir und Ulas darstellen, umfassten nur einen Zeitraum von ein paar Monaten. Ihr heldenhafter Aufbruch endete mit einer Niederlage, mit tödlichen Schüssen in Maltepe, Kizildere, Nurhak, mit ihrer Ermordung durch Folter im Kerker von Diyarbakir und der Vollstreckung der Todesstrafe in Ankara. Die Niederlage der Monate März bis Mai 1972 hat eine besondere Bedeutung in der von Niederlagen geprägten Geschichte der sozialistischen Bewegung in der Türkei. Die Geschichte der Revolutionäre von 72 ist gleichzeitig die Geschichte der Abspaltung von der traditionellen Linie der Linken der Türkei und der Nichtabspaltung wegen fehlender Gründung einer dauerhaften Führung. Es ist die Geschichte derer, die mit Leidenschaft aufgebrochen waren, um eine "vollkommen unabhängige und demokratische Türkei" zu gründen, Revolution zu machen und den Himmel zu erobern, und dabei ihre Führung verloren.
Gewiss waren die Schreie ihrer Überzeugung und Sehnsucht nach Sozialismus und Geschwisterlichkeit des türkischen und kurdischen Volkes bei ihrer Hinrichtung nicht umsonst. Auch der Tod der Mahirs und Cihans, die in Aktion traten, um Deniz und seine Freunde zu retten, war nicht umsonst. Ihre Aktion war gestern und heute Inspiration für diejenigen, die ein verrottetes gesellschaftliches und politisches System dem Erdboden gleich machen wollten. Trotz all ihrer Unterschiedlichkeiten vertraten die Revolutionäre zwischen sich den Gipfel des Solidaritätsbewusstseins.
Deniz, Yusuf und Hüseyin 29 Jahre später zu gedenken, bedeutet nicht, drei am Galgen ermordete junge Menschen zu beweinen. Ihrer gedenken, bedeutet sich dem von ihnen angestossenen Prozess anzunehmen. Gegenüber Imperialismus und oligarchischem Herrschaftssystem nicht zu kapitulieren. Kurz gesagt, ihren Prozess fortzuführen.
'Die Zukunft der Türkei liegt in diesem Widerstand verborgen'
Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan sagt folgendes über die 71'er-Revolutionäre: "Wenn man es aufmerksam betrachtet, gibt es hier sowohl einen grossen Heldenmut als auch eine grosse Tragik. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass diese Menschen sehr beherzt waren, sich bis zum Schluss für die Freiheit erhoben haben, bis zum Schluss aufrichtig für die Gleichheit und Freiheit der Völker eintraten und bereit waren, alles für den Sozialismus und das Volk zu tun. Darum haben sich diese Menschen so sehr aufgelehnt. Für mich bleibt das Gedenken an sie immer lebendig. Aber ich fand ihren Aufbruch schreckenerregend. So sehr ich auch versuchte, mutig zu sein, ich reichte nicht heran an ihren heldenhaften Widerstand. Aber trotzdem habe ich gesagt, die Erinnerung an sie darf nicht ausgelöscht werden. (...) Jetzt gibt es ein weiteres Element in meinem Leben. Vor allem dürfen herausgestellte Werte nicht verraten werden und sollten falls möglich von neuem zum Leben erweckt werden. (...) Ich bestehe immer noch auf meiner Aussage. Der Widerstand von 1971 mit seinen Märtyrern darf nicht umsonst gewesen sein. Die Zukunft der Türkei liegt ein wenig darin verborgen." (Erkegi Öldürmek, S. 75-76).
Der Kampf ist das Erbe von Deniz und seinen Freunden
Der Kampf von Deniz, Yusuf, Hüseyin und den Widerständigen von 71 dauert auch heute noch an. Er findet seine Fortsetzung in der kurdischen Bewegung, die die Fahne der Geschwisterlichkeit der Völker, der Freiheit und Demokratie, gegen die Oligarchie hochhält. Er wird im Kampf der revolutionären Gefangenen fortgesetzt, die sich nicht beugen lassen und in den Knästen und draussen gegen Kapitulation, Isolation und F-Typ-Identitätsverlust ankämpfen. Ihr Andenken zu würdigen, bedeutet, die Kampfeinheit türkischer und kurdischer Revolutionäre aufzubauen und zu stärken, um ihren Kampf für Sozialismus, Demokratie und Unabhängigkeit zum Sieg zu führen, für den sie mit dem Leben bezahlt haben.
Was ist aus unserem früheren revolutionären Blick auf Solidaritätsaktionen mit den Palästinenserlagern und dem Krieg der Vietkong geworden? Haben wir sie vergessen? Niemand kann behaupten, dass sie vergessen worden sind. Die Freiheitskämpfer Palästinas und die Krieger des Vietkongs leben in einer Nation, die eine andere Sprache spricht, fort. Und das direkt vor unsere Nase. Wenn wir unseren Kopf heben, sind sie das erste, was wir sehen. Aber um zu sehen, braucht es Augen, um zu fühlen, ein Herz. Meine Freunde werden sich ärgern, aber ich muss es sagen: Wir haben angefangen, zu schielen und sind halbherzig geworden, Freunde. Waren es nicht wir, die gesagt haben, Freiheit den Völkern. Waren es nicht wir, die gesagt haben, Freiheit den Kurden. Waren es nicht wir, die gesagt haben, Arbeiter- und Bauerneinheit, mit der Arbeiterbewegung zur Bewegung der nationalen Einheit. Waren es nicht wir, die gesagt haben, mit Herz und Leidenschaft drinnen und draussen Widerstand leisten gegen jede Art der Unterdrückung.
Deniz und seiner Freunde gedenken...
Die Kurden leisten Widerstand. Dabei handelt es sich unbedingt um eine nationale Befreiungsbewegung. Ist nicht jede nationale Befreiungsbewegung in gewisser Hinsicht gleichzeitig eine Bauernbewegung? Wann kommt die Zeit, sich mit ihnen zu verbünden? Waren es nicht wir, die einen Unterschied gemacht haben zwischen gerechtem und ungerechtem Krieg? Die Kriege gegen Imperialismus und Ausbeutung zumindest als fortschrittlich und unterstützenswert angesehen haben? Waren es nicht wir, die von der Notwendigkeit des Kampfes für die Geschwisterlichkeit der Völker gesprochen haben, für einen gerechten und demokratischen Frieden, für die Unterstützung der Revolutionäre im nationalen Befreiungskampf in den unterdrückten und ausgebeuteten Ländern? Doch, das waren wir, die all das gesagt haben und dafür gekämpft haben.
Und was haben wir getan? Gestern haben wir den Krieg der Kurden betrachtet. Heute schauen wir uns die Serhildans aus der Ferne an. Im F-Typ leisten die Revolutionäre Widerstand, die aus der Unterdrückung hervorgegangen sind, aus Arbeitern und Werktätigen. Aber wir laufen davon, um bloss nicht damit in Berührung zu kommen.
Wenn wir heute so gelähmt, kalt und leidenschaftslos angesichts des Kampfes verharren, der direkt vor unseren Augen stattfindet und zu dem wir stehen müssten, als ob es der unsere wäre, dann liegt es nicht an ihnen, sondern an uns (...). Vielleicht erlaubt es unsere momentane Situation nicht, grosse Aufgaben zu übernehmen, aber es ist höchste Zeit, die Ketten zu zersprengen, die uns davon abhalten, kleine Beiträge zu leisten.
Deniz und seiner Freunde zu gedenken, bedeutet die Selbstlosigkeit der Männer und Frauen bei der Guerilla zu verstehen und zu teilen, die heute die Ehre und Zukunft der revolutionären Bewegung schützen auf den Gipfeln der Berge, die Deniz und seine Freunde erreichen wollten, als sie auf halben Wege dem Feind in die Hände fielen. Erst wenn wir wieder die revolutionäre Luft atmen, die Deniz und seine Freunde mit den Bergen vereinigt, können wir von einem Gedenken an Deniz sprechen.