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Kurdistan e.V.
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Wir dokumentieren aus der türkischsprachigen Tageszeitung Özgür Politika' vom 23. Mai 2001 ein längeres Interview von Murat Sarac mit Osman Öcalan, Mitglied des Präsidialrates der PKK, welche Politik die PKK vor allem in Europa im Rahmen der zweiten Friedensoffensive verfolgt.
"Die erste Friedensoffensive bestand in ihrem Kern aus der Beendigung des Krieges und der Verhinderung der Rückkehr zu einem Krieg, der durch den Komplott verschärft worden wäre und die Gegensätze vertieft hätte. Sie fand ihre Fortsetzung in der Schaffung einer Atmosphäre, in der die möglichen Lösungen der bestehenden Fragen diskutiert werden können." Von Murat Sarac Die Arbeiterpartei Kurdistans PKK hat mit ihrer zweiten Friedensoffensive sowohl in Kurdistan und der Türkei als auch in Europa eine neue Diskussion angeregt. Häufig angewandte Begriffe in dieser Diskussion sind "Bekenntnis zur Identität" ("kimlik bildirim") und "Willensbekundung" ("irade beyani"). Worauf sich diese Strategie stützt, wollten wir von einem PKK-Vertreter persönlich erfahren. Auf die Fragen von ÖZGÜR POLITIKA erklärte Osman Öcalan, Mitglied des Präsidialrates der PKK, welche Politik die PKK im Rahmen der zweiten Friedensoffensive verfolgt. Er teilte mit, dass sich mit der Vervollständigung der kurdischen Revolution alles auf die demokratische Befreiung ausrichte. Die PKK hat die zweite Friedensoffensive begonnen. Bevor wir zu diesem Thema kommen - die Kurden und die kurdische Frage sind wieder zu einem aktuellen Thema der internationalen Politik geworden. Genauer gesagt, sind die Kurden mit einer aktiven Politik in eine neue Phase getreten. Können Sie die kurdische Position in dieser Etappe erläutern? Wir
befinden uns in einer neuen Etappe des nationalen Befreiungskampfes unseres
Volkes. Diese Etappe ist die Phase, in der für die nationale Frage
und die gesellschaftlichen Probleme eine Lösung im demokratischen
System gefunden werden wird. Es ist bekannt, dass die kurdische Befreiungsbewegung
einhergehend mit den Demokratisierungsproblemen der Gesellschaft, in der
sie lebt, die kurdische Frage in die Hand genommen hat, und verschiedene
Etappen in dem von ihr geführten Kampf für eine Lösung
durchlaufen hat. Bei diesen Etappen handelt es sich erstens um die gelebte
Revolution ("Dirilis Devrimi", schwer zu übersetzen, hat
was mit "Wiederbelebung" oder auch "Wiedergeburt"
zu tun), die 1999 abgeschlossen wurde, und zweitens um die Lösungsphase,
die mit dem Begriff "Demokratische Befreiung" umschrieben werden
kann. Mit dem Eingriff der PKK im kurdischen Volk wurde somit auf eine Art auch in allen anderen Gesellschaften interveniert... Unser
Ziel bestand darin, der gegen unser Volk angewandten Verleugnungs- und
Vernichtungspolitik nicht die Möglichkeit zum Erfolg zu geben; im
Gegenteil wollten wir gewährleisten, dass das kurdische Volk sich
seiner nahezu zerstörten nationalen Wirklichkeit annimmt, und ein
Leben verwirklicht wird, dass auf freien Beziehungen mit den herrschenden
Nationen aufbaut. Auch wenn immer wieder in unserem nationalen Befreiungskampf
die Rede von einem separaten Leben war, wurde die separatistische Form
niemals als einziger, unverzichtbarer Weg angesehen. Aber haben die Kurden damit nicht auch das internationale Gleichgewicht gestört? Was für eine Politik verfolgen Sie? Richtig,
genau zu dem Zeitpunkt, als diese Phase vervollständigt worden ist,
wurde der internationale Komplott entwickelt, um die gewonnenen Errungenschaften
zu vernichten. Beabsichtigt wurde damit, in der Person unserer Führung
das Beharren auf der Verleugnungs- und Vernichtungspolitik gegen unser
Volk zu wecken, das den Befreiungskampf führte und seine Kraft und
Möglichkeiten gefunden hatte. Im internationalen Komplott waren mit
der Gefangenschaft unserer Führung die Errungenschaften der Revolution
in grosse Gefahr geraten. Die Auflösung unserer Partei wurde angestrebt;
um das zu verwirklichen, wurden vielseitige Angriffe gestartet. Diese
Gefahr war nicht zu unterschätzen. Beabsichtigt war die Vernichtung
und Verleugnung unseres Volkes. Durch die Beabsichtigung der Vernichtung
der durch grosse Hingabe erzielten Errungenschaften entstand eine gefährliche
Situation. Unsere Errungenschaften zu verteidigen und gestützt auf
diese Errungenschaften auf dem Weg zur Lösung weiterzukommen, ist
die historische Aufgabe, die sowohl vor den Führungskräften
als auch vor den breiten Volksmassen liegt. Welche Ergebnisse hat die erste Friedensoffensive erbracht, die die Grundlage für die jetzt von der PKK augerufene zweite Friedensoffensive bildet? Die die Jahre 1999 und 2000 einschliessende Phase hat ihr grundlegendes Ziel erreicht. Die mit vielseitigen konkreten Schritten unterstützte Friedensarbeit blieb nicht auf die praktische Beendigung des Krieges beschränkt. Die Verschärfung des Krieges wurde verhindert und die Spannung vermindert. Darum sagen wir, dass die erste Friedensoffensive ihr gesetztes Ziel erreicht hat. Die revolutionären Kräfte wurden bedrängt, es wurde damit gerechnet, dass sie sich auflösen. Insofern konnte nicht damit gerechnet werden, dass die internationalen oder die über Kurdistan herrschenden Kräfte praktische Schritte bezüglich einer Lösung unternehmen. Es war notwendig, negative Entwicklungen zu beschneiden und eine Atmosphäre für eine Lösung zu schaffen. Ausserdem standen unsere Kräfte stark unter dem Einfluss der Gefangennahme unserer Führung, den es zu überwinden galt. Die Verhinderung verstärkter negativer Entwicklungen und die Vorbereitung einer Atmosphäre, in der die Probleme gelöst werden können, war an diesem Punkt die definitiv richtigste Haltung. Unsere Partei hat auf dieser Basis agiert. Sie hat die Prüfung in diesem schwierigen Prozess mit Erfolg bestanden. Trotz der Grösse des Erfolgs besteht die Notwendigkeit einer neuen Offensive. Deshalb ist sie mit den erzielten Ergebnissen in eine neue Etappe, in den Prozess der "Nationalen Befreiung" getreten. Kommen wir also zur zweiten Friedensoffensive.... oder besser gesagt zu der Phase, in der die Intensivierung der Demokratisierungsphase angestrebt wird... Die
erste Friedensoffensive stellte grundsätzlich eine Übergangsphase
dar. Um die Vertiefung negativer Entwicklungen zu verhindern und eine
für eine Lösung geeignete Atmosphäre zu schaffen, sind
wir dazu gebracht worden, uns in dieser Form festzulegen. Die Fortsetzung
des Krieges wurde verhindert, der Frieden kam als ein Bedürfnis auf
die Tagesordnung, gegen das niemand angehen konnte. Zu dieser Zeit waren
auch die Bedingungen geschaffen, die Zwischenetappe zu überwinden
und den Demokratischen Wechsel, die Demokratische Transformation in die
Praxis umzusetzen. Die Serhildan-Phase, die am 15. Februar 2001 begonnen
wurde und ihren Höhepunkt zu Newroz fand, zeigte deutlich die Notwendigkeit
dessen. Newroz war der praktische Beweis für die Entwicklungsphase,
in die wir getreten sind. Um die politischen Ziele der neuen Phase in
passender Form zu entwickeln, musste basierend auf dem politischen Kampf
eine Offensive gestartet werden. Die zweite Friedensoffensive ist als
Festigung der neuen Phase zu verstehen. In der neuen Phase geht es nicht
mehr darum, dass das kurdische Volk sich seine Identität aneignet
und zu einer Macht wird. Es geht darum, von dem erreichten Grad ausgehend
den demokratischen Wechsel und Wandel umzusetzen und die nationale Befreiung
in die Hand zu nehmen. Angestrebt wird dabei, einhergehend mit der Akzeptanz
der Problemlösung in zu entwickelnden Schritten dieses in die Praxis
umzusetzen. ----------------------------------------------------------- Wie soll das "Identitätsbekenntnis" konkret aussehen? Sie haben alle Kurden und Kurdinnen dazu aufgerufen, sich in der zweiten Friedensoffensive zur eigenen Identität zu bekennen. Was ist das Ziel dieser Kampagne? Auf welche Weise, in welchem Umfang und wo soll sie umgesetzt werden? Die
zweite Friedensphase wird die Serhildan-Bewegung entwickeln und stärken.
In der Vergangenheit wurden Aktionsformen wie Kundgebungen, Demonstrationen,
Volksversammlungen, Rollädenschliessen, Boykotte, Streiks, das Anziehen
traditioneller Kleidung, Verdunkelungsaktionen usw. angewandt. Mit den
Serhildans wurde die Entwicklung gewährleistet bzw. zumindest eine
geeignete Atmosphäre für eine Lösung geschaffen. Um die
Kraft und Effektivität der Serhildan-Bewegung zu steigern, müssen
neben den bisherigen Aktionsformen neue Aktivitäten entwickelt und
vorangetrieben werden. Die erwähnten Aktionen sind auch für
die zweite Friedensoffensive von Bedeutung. Ihre Umsetzung in einer wirkungsvolleren
Form bildet die Basis für die Steigerung der Kraft der Serhildan-Bewegung.
Was für ein Projekt gibt es für die Kurden, die in Europa leben? Wird die Kampagne "Identitätsbekenntnis" in Europa stattfinden? Die
Kampagne ist nicht auf eine Region begrenzt. Sie wird sowohl auf internationaler
als auch auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Die Architekten der nationalen
Verleugnungs- und Vernichtungspolitik, die das Abkommen von Lausanne getroffen
haben, sind auf internationaler Ebene die europäischen Kräfte
unter der Führung Englands und auf nationaler Ebene die Türkei.
Deshalb ist die Durchführung der Kampagne in Europa und der Türkei
sowohl in historischer als auch in aktueller Hinsicht eine Notwendigkeit.
Als das osmanische Reich zusammengebrochen ist, haben die imperialistischen
Mächte auf das Nicken Englands hin Anatolien besetzt. Das kurdische
und das türkische Volk haben in einem Bündnis Widerstand gegen
die Besatzung geleistet. Mit dem Befreiungskrieg wurde der Abzug der Besatzer
aus Anatolien erreicht. In den Jahren des Befreiungskrieges war das Verhalten
Mustafa Kemals und seinen Leuten zum Thema Kurden nicht von Verleugnung
geprägt. Sie haben intensive Diskussionen über die Form einer
Lösung geführt. Als jedoch England und seine Verbündeten
interveniert haben, wurde anstelle einer Lösung, die die Anerkennung
der kurdischen Identität beinhaltete, die in Lausanne geformte Verleugnungs-
und Vernichtungspolitik auf die Tagesordnung der Türkei gebracht.
Bis zur Konferenz von Lausanne stand die kurdische Frage auf der Tagesordnung,
danach war es die Verleugnungs- und Vernichtungspolitik. Massgeblich daran
beteiligt waren mehr als Mustafa Kemal und seinen Leuten England und mit
seinen Verbündeten. Die Gründer der Republik Türkei wurden
durch die Intervention Englands und seinen Verbündeten auf einen
billigen Weg geschickt und somit der Weg dafür bereitet, die Kurden,
die mit den Türken in schwersten Zeiten ein Bündnis gebildet
hatten, ins Abseits zu stellen. Welche Rolle wird die Kampagne "Identitätsbekenntnis" in dieser Hinsicht spielen? Die
Kampagne dient der Verwirklichung der juristischen Anerkennung der kurdischen
Identität. Das kurdische Volk hat sich aktiv zu seiner Identität
bekannt. Eine ausreichende Antwort ist daraufhin jedoch nicht gegeben
worden. Das Identitätsbekenntnis muss sich auf juristischem Gebiet
abspielen.
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