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Hamburg, 31. August 2001


Wir dokumentieren die Mitschriften der Anwälte vom letzten Treffen mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalans auf Imrali vom 29. August 2001. Übersetzung aus dem Türkischen

Das Projekt Demokratische Republik baut auf dem kurdischen Faktor auf

Frieden und Geschwisterlichkeit sind unsere grundlegende Philosophie. Sie ist sowohl menschlich als auch modern. Wir beziehen uns dabei auf das Zusammenleben der Völker und Kulturen. Das ist es, was wir in naher Zukunft entwickeln wollen. Wir wollen Geschwisterlichkeit und Einheit im Licht moderner Wissenschaft und Demokratie in die Politik einbringen.

Wir müssen darüber diskutieren, was für eine kurdisch-türkische Geschwisterlichkeit wir anstreben. Die Kultur des Chauvinismus muss vernichtet werden. Von kurdischer Seite aus muss der primitive Nationalismus überwunden werden. Es bedarf der Ausgestaltung einer neuen Utopie, um die Zukunft und die Würde zu retten. Die Kultur des Friedens und der Geschwisterlichkeit muss tiefgreifend angegangen werden. Es muss eine mentale Revolution stattfinden. Friedlich zu sein, bedeutet keine Schwäche. Am stärksten ist eigentlich der Mensch, der seine Stärke für den Frieden einsetzt.

In der Türkei gibt es Kreise, die sich für eine Lösung einsetzen, aber konkret hat sich noch nichts herauskristallisiert. Das muss überwunden werden. Das Projekt Demokratische Republik baut auf dem kurdischen Faktor auf. Die erstmalige Partizipation der KurdInnen in die Demokratie ist von grosser Bedeutung. Das Schicksal des Mittleren Ostens kann sich durch die kurdische und türkische Einheit vollständig ändern.

Für die nationale Sicherheit bedeuten die KurdInnen keine Quelle der Besorgnis, sondern die Quelle der Sicherheit. Sie sind in der Lage, ihre demokratische Rolle auszufüllen. Wir werden die Demokratische Republik und den Laizismus mit Inhalt füllen und die Mentalität des "sumerischen Priesterstaat" überwinden. (Anm.: In seinen jüngsten Eingaben an den Gerichtshof liefert A. Öcalan eine historische Analyse der mesopotamischen Frühgesellschaft und ihrer Unterdrückung und Ausbeutung durch die sumerische Theokratie. Diese historisch erste Form einer Klassengesellschaft dient als eine Metapher für eine Staats- und Rechtswelt, die bis heute unreflektiert übernommen worden ist: Der Mensch hat dem Staat zu dienen, nicht der Staat dem Menschen.) Die Religion muss vollständig auf literarischer Ebene zu einem Thema der Literatur werden. Auch in der Türkei muss das Recht auf demokratischer Grundlage funktionieren.

Die Phase der Cliquenwirtschaft und des Gangstertums hat der Türkei grossen Schaden zugefügt. Möglicherweise steht der Mord an Garih (Anm.: Üzeyir Garih wurde letzten Samstag durch Messerstiche ermordet auf einem Friedhof in Istanbul aufgefunden. Als Täter wurde zunächst ein 13-jähriger Klebstoffschnüffler präsentiert, der später jedoch wegen Unhaltbarkeit des Vorwurfes wieder laufen gelassen wurde. Garih war Geschäftsmann jüdischer Abstammung und liberaler Gesinnung. U.a. war er Mitglied beim Arbeitergeberverband TÜSIAD, der insbesondere in letzter Zeit mit der Forderung nach Demokratisierung an die Öffentlichkeit getreten war.) mit dieser Struktur in Zusammenhang. Menschen wurden benutzt und weggeworfen und jetzt begehen sie solche Morde. Es wurden 2000 politische Verbrechen begangen (Anm: Bezug auf das Geständnis Mehmet Agars, er habe 2000 tödliche Operationen ausgeführt. Mehmet Agar ist Ex-Innenminister und -Polizeichef, dessen Name im Susurluk-Skandal auftauchte, und steht Tansu Ciller nahe.), im Namen des TürkInnentums. Aber sie stehen in keinem Zusammenhang mit dem TürkInnentum. Aus diesem Grund habe ich in meiner Verteidigung gesagt, dass im Krieg beide Seiten Kriegsverbrechen begehen. Eine Verurteilung kann nicht einseitig stattfinden, beide Seiten müssen vor Gericht gestellt werden. Etwas anderes ist für die KurdInnen nicht akzeptabel. Der Verfahren vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EuMRGh) darf nicht auf simplizistische Äusserungen zu Todesstrafe und Recht auf Leben und den Haftbedingungen auf Imrali reduziert werden. Das Gericht muss diesen engen Rahmen überschreiten. Der Prozess auf Imrali entbehrte jeglicher rechtlicher Grundlage. Es handelt sich um eine illegale Entführung und eine Auslieferung durch einen Komplott. Dies steht in völligem Widerspruch zu europäischem Recht. Der Prozess muss für ungültig erklärt werden. Ich wünsche mir, dass der EuMRGh meinen Prozess in diesem Rahmen angeht. Ansonsten kann es passieren, dass der Komplott zum Erfolg führt und damit würde das Gericht zum juristischen Standbein des Komplotts.

Aus Anlass des 1. Septembers möchte ich folgendes sagen: Für Demokratie und Frieden brauchen wir einen Dialog. Das ist es, was wir von der Regierung, dem Staat erwarten. Die Situation, in der sich der Staat weder auf Krieg noch auf Frieden einlässt, stellt keinen stabilen und bleibenden Zustand dar. Frieden und Demokratie können sich nicht entwickeln, wenn die Identität und Kultur eines Volkes verleugnet werden. Auf dem Weg der Menschheit muss der Weg zu Frieden und Geschwisterlichkeit eingeschlagen werden. Unausgegorene Illusionen müssen überwunden werden.