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Hamburg, den 28. September 2001

Heute, am 28. September 2001 beginnt vor dem Europäischen Menschengerichtshof (EuMRGh) der Prozess des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan. Aufgrund dieses Anlasses gab Mustafa Karasu, PKK-Präsidialratsmitglied, in einem Interview für die in Europa erscheinende türkischsprachige Tageszeitung Özgür Politika eine Auswertung zur aktuellen Situation in der Türkei und zum heute beginnenden Prozess ab. Wir dokumentieren diesen Artikel aus der Özgür Politika vom 27. September 2001. Übersetzung aus dem Türkischen.

Wir beugen uns nicht der Erpressung

von NURDOGAN AYDOGAN

PKK-Präsidialratsmitglied Mustafa Karasu hat in einem Interview für ÖZGÜR POLITIKA eine Auswertung der in der Türkei aktuellen Verfassungsänderung sowie des bevorstehenden Prozesses des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EuMRGh) vorgenommen. Wie Karasu erklärte, sei es nicht zu akzeptieren, dass den Kurden im Verfassungsänderungspaket kein Platz eingeräumt werde und die Todesstrafe nach wie vor als bedrohlicher Faktor verwendet werde. Weiter betonte er, die PKK erwarte vom EuMRGh, dass dieser anerkenne, dass der Prozess von Imrali nicht legitim verlaufen sei. Der Gerichtshof dürfe das dort gefällte Urteil nicht anerkennen.

ÖP: Das Verfassungsänderungspaket hat die parlamentarische Verfassungskommission passiert. Die Kurden wurden dabei aussen vor gehalten, sie werden nicht erwähnt, und auch die gegen den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan ausgesprochene Todesstrafe bleibt unberührt von der Verfassungsänderung. Wie bewerten Sie diese Situation?

Mustafa Karasu: Die durchgesetzten Änderungen sind lehrreich in Hinsicht auf die momentane Politik der Türkei. Sie sind als Schritt zu bewerten, die demokratische Tendenz, den Kampf für Demokratie des kurdischen und türkischen Volkes ins Leere laufen zu lassen. Es handelt sich dabei um die Taktik, von den von der Europäischen Union gesetzten politischen Vorgaben mit einer opportunistischen Antwort abzulenken, die EU hinzuhalten. Man kann es auch als Taktik der reaktionären, profitgierigen Kreise in der Türkei betrachten, mit der sie ihre Lebensdauer gegen den Druck von innen und aussen verlängern wollen. Es sind keine Änderungen vollzogen worden, die aus der Entscheidung für eine Demokratisierung resultieren. Ebenso ist keine Neigung gezeigt worden, die kurdische Identität anzuerkennen.

Es wird so getan, als finde mit den Verfassungsänderungen eine Demokratisierung statt. Das stimmt jedoch nicht. Die Änderungen werden nicht für eine Demokratisierung gemacht, sondern genau im Gegenteil, um den Übergang zur Demokratie zu verhindern. Keine Initiative, die über die kurdische Identität hinweggeht, verdient die Bezeichnung "demokratisch". Demokratisierung und die Anerkennung der natürlichen Rechte der kurdischen Identität sind untrennbar miteinander verbunden. Um also die Qualität dieser Art von Änderungen beurteilen zu können, muss darauf geschaut werden, inwieweit dieser grundlegende Fakt berücksichtigt worden ist.

Eine Verfassung, die die kurdische Identität nicht anerkennt, kann für die Kurden keine Legitimität darstellen. Somit ist es das Recht der Kurden als ein Volk, diese Verfassung nicht anzuerkennen und für ihre Veränderung zu kämpfen. Dieser Fakt muss sowohl dem kurdischen Volk als auch den herrschenden Kräften der Türkei bewusst sein.

Die Türkei kann sich nicht demokratisieren, weil sie die kurdische Identität ablehnt. Die Unterdrückung der kurdischen Identität und des Kampfes dafür kann nur antidemokratisch sein, sowohl was die Gesetzgebung als auch was die Durchführung betrifft. Solange die Kurden unterdrückt werden, kann es auch keine Demokratie für das türkische Volk geben. Auch wenn in der Anwendung der Druck auf das türkische Volk nicht ganz so stark ist wie der auf das kurdische Volk, bleiben die damit in Verbindung stehenden Gesetze die gleichen. Solange das türkische Volk sich nicht auch für den Befreiungskampf des kurdischen Volkes einsetzt, wird es auch keine demokratische Verfassung bekommen.

Der Artikel "In gesetzlich verbotenen Sprachen dürfen keine Veröffentlichungen gemacht werden" wird aus der Verfassung gestrichen. Der faschistische und anti-demokratische Geist der Verfassung vom 12. September (Anm.: 1980, Militärputsch) wird in diesem Satz sehr deutlich. Mit der Streichung dieses Absatzes wird jedoch nicht der Geist der Verfassung geändert. Es ist nur der Versuch, diese Ungeheuerlichkeit zu verschleiern. Ein Artikel, in dem die Namen der anderen Sprachen erwähnt werden und ihre Entwicklung und Bewahrung vorgesehen wird, ist nicht zugefügt. Schon mit der Änderung dieses Artikels wird die Haltung gegenüber den Kurden deutlich. Indem andere Sprachen nicht erwähnt und nicht durch Gesetze geschützt werden, wird die Logik der Verleugnung und Auflösung bewahrt. Ohnehin kann eine Logik, die eine Identität verleugnet, nicht von der freien Entwicklung einer Sprache sprechen.

Weil in der Türkei immer noch diejenigen an der Macht sind, die von der antidemokratischen und verleugnerischen Ordnung leben, können sie auch nicht die Anerkennung der kurdischen Identität auf die Tagesordnung bringen, die jedoch das grundlegende Element für die Ermöglichung der Demokratisierung ist. Sie wird jedoch in naher Zukunft mit dem Befreiungskampf des kurdischen Volkes auf die Tagesordnung kommen. Wir sind davon überzeugt, dass die demokratische Gesellschaft des türkischen und kurdischen Volkes und seine Sehnsucht nach Leben diese Entwicklung erschaffen wird.

Die Änderung, die lautet: "Ausserhalb von Terrorismus und Kriegszustand wird keine Todesstrafe ausgesprochen", bedeutet nicht die Abschaffung der Todesstrafe. Mit der Parole "Nein zur Todesstrafe" wurde ohnehin darauf abgezielt, in politischen Verfahren niemanden zum Tode zu verurteilen. Mit der jetzt veränderten Form des Artikels könnte die Todesstrafe gegen Deniz Gezmis* auch heute noch vollstreckt werden. Sogar Menderes** und Co könnten nach diesem Artikel heute noch hingerichtet werden. (...) Das bedeutet, dass auch mit der Änderung dieses Artikels nur geblufft wird. Genauer gesagt, ist diese Form der Veränderung einzig und allein für die Aufrechterhaltung der Todesstrafe gegen unseren Vorsitzenden gemacht worden. Tatsächlich heisst es ja auch: "Wenn die Sache mit Abdullah Öcalan nicht wäre, hätten wir die Todesstrafe vollständig abschaffen können".

Vor allem ist es höchst gefährlich, die Todesstrafe als ein Mittel der Erpressung zu nutzen. Der türkische Staat vergeudet wertvolle Zeit, indem er die Todesstrafe als Erpressungsmittel gebraucht und keine demokratischen Schritte einleitet. Vor dieser Erpressungspolitik wird weder unser Vorsitzender noch unsere Partei sich beugen. Wer die konstruktive und vernünftige Heransgehensweise unseres Vorsitzenden falsch versteht, wird in seinem eigenen Irrtum verloren gehen. Es ist der Kampf des Volkes und sein Einsatz für den Vorsitzenden APO, der für eine Veränderung sorgen wird.

ÖP: Der türkische Staat hat unter Ausnutzung der Anschläge in den USA die Vollstreckung der Todesstrafe gegen den PKK-Vorsitzenden auf die Tagesordnung gebracht und seine Bemühungen, den EuMRGh zu beeinflussen, gesteigert. Wie begegnen Sie dieser Haltung des türkischen Staates? Was für ein Ergebnis erwarten sie vom EuMRGh?

MK: Der Anschlag auf die Symbole der USA in New York und Washington und die darauffolgende Ankündigung der USA einer gewaltvollen Bestrafungsaktion war auch in Hinsicht auf die offenkundig werdende Mentalität in der Türkei lehrreich. Sprechen wir nicht über die Trauer der Türkei angesichts dieses Ereignisses, sie hat sich darüber gefreut. Sie konnten sich gerade noch zurückhalten, auf die Strassen zu gehen und zu feiern. Die Türkei berechnet sowieso jedes Geschehen danach, wie es für die Unterdrückung der kurdischen Frage verwendet werden kann, die gleiche Reaktion hat sie auch bei diesem Vorfall gezeigt. In der Zeit, in der die Gewaltanwendung der USA bevorstand und sich alles darauf konzentrierte, fingen in der Türkei die Diskussionen darüber an, wie Öcalan hingerichtet werden kann.

Diese Leute, die sich für besonders schlau und gerissen halten, kann man volkstümlich mit dem Satz beschreiben "Entweder sie können nicht zählen oder sie haben nicht genug Schläge bekommen". Diese Verantwortungslosen, die ihre Schäfchen im Trockenen haben, glauben, dass sie von der Wirkung ihrer Worte nicht betroffen sein werden. Wir wollen solche Sachen nicht hören. Niemand sollte versuchen, es mit der PKK und dem kurdischen Volk aufzunehmen. Der Vorsitzende APO und die PKK haben die neue Strategie weder aus Schwäche angenommen noch sprechen wir so, um zu bluffen.

Der Vorsitzende APO hat Freund und Feind wissen lassen: "Ich lebe für Demokratie und Freiheit, ich lebe für einen gerechten Frieden. Niemand sollte das falsch verstehen." Daran möchten wir insbesondere die Staatsvertreter erinnern. Anstatt die Existenz des Vorsitzenden APO richtig zu nutzen, machen sie falsche Berechnungen. Das zeigt, wie sehr sie die Situation auf die leichte Schulter nehmen. Trotzdem betonen der Vorsitzende APO und unsere Partei geduldig, wie unsere Haltung richtig aufzufassen ist.

Es war die DYP (Anm.: Partei des Rechten Weges von Tansu Ciller), die darauf bestanden hat, das die (Vollstreckung der) Todesstrafe ins Parlament eingebracht wird. Ciller ist die Person, die am meisten Schuld trägt an dem schmutzigen Krieg gegen das kurdische Volk. Sie hat grosse Angst davor, dass ihre Verbrechen und die ihrer Truppe und Partner im schmutzigen Krieg ans Licht der Öffentlichkeit kommen. Sie ist die Person, die am meisten Angst vor einer Demokratisierung der Türkei hat. Die Demokratisierung der Türkei bedeutet, dass Ciller als Schuldige der Geschichte auf den Müllhaufen der Politik geworfen wird. Aus diesem Grund können wir Cillers unruhiges Zappeln sehr gut verstehen. Wir verstehen auch ihre Wut über den Demokratisierungskampf des Vorsitzenden APO. Es wird ihr nur nichts nützen. Es sieht nicht so aus, als ob sie sich davor retten könnte, ihren historischen Platz in der Geschichte als schmutziger Kopf des schmutzigen Krieges einzunehmen.

Der türkische Staat möchte von der Reaktion und der Angst, die die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon hervorgerufen haben, profitieren und diejenigen isolieren und vernichten, die Widerstand leisten gegen seine repressive und verleugnerische Politik. Vor allem will er die Gelegenheit nutzen und den gegen unsere Partei durchgeführten Komplott vervollständigen. So hat auch Aussenminister Ismail Cem gestanden, was der Kern ihrer Politik ist, indem er gesagt hat: "Wir wollen von den Möglichkeiten profitieren, die diese Ereignisse geschaffen haben."

Vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wird das auf Imrali stattgefundene Verfahren verhandelt werden. Die Aussage unseres Vorsitzenden ist, dass der Prozess von Imrali unzulässig war, weil er durch einen illegalen internationalen Komplott der Türkei ausgeliefert wurde. Das heisst, dass der Imrali-Prozess von Anfang an ungültig war. Somit kann auch das gefällte Urteil keine Geltung haben.

Es wird nur eine Partei eines Krieges, der mindestens 30.000 Tote gekostet hat, einseitig der gerichtlichen Beurteilung unterworfen. Aber es ist undenkbar, dass eine Kriegspartei über die andere Seite ein gerechtes Urteil fällt. Unser Vorsitzender schlägt ein Gerichtsverfahren vor, indem beide Seite vor Gericht gestellt werden. Da der Imrali-Prozess keine juristische Legalität hatte, wird gewollt, dass der EuMRGh auf ein zweiseitiges Gerichtsverfahren entscheidet. Nach Aussage der PKK und des Vorsitzenden APO hat der türkische Staat einen schmutzigen Krieg geführt und unzählige Kriegsverbrechen begangen. Die Türkei spricht von Terrorismus. Wir sprechen von Staatsterrorismus und seinen Kriegsverbrechen. Wer inwieweit schuldig ist und wer wie weit im Recht, kann nur ein internationales Gericht beurteilen. Unser Vorsitzender und wir sind bereit, vor ein solches Gericht zu treten.

Wenn die PKK eine terroristische Organisation wäre, hätte eine solche gerichtliche Beurteilung stattgefunden, als unser Vorsitzender nach Europa gekommen ist. Dass Deutschland trotz des Haftbefehls gegen unseren Vorsitzenden ihn nicht verurteilen wollte, ist der Beweis dafür, dass der Terrorismusvorwurf kein Fundament hat. Auch die Tatsache, dass der EuMRGh unseren Genossen Duran Kalkan von jeder Schuld freigesprochen hat, obwohl Deutschland ihm die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation vorgeworfen hat, zeigt, dass unserem Kampf nicht der Terror-Stempel aufgedrückt werden kann.

Es ist richtig, dass der EuMRGh über Terrorismus richtet. Die Europäer verstehen unter Terrorismus mehr das Begehen internationaler Verbrechen. Was im universellen Recht als Verbrechen gezählt wird, wird mit dem Begriff Terror bewertet. Wenn es auch keine klare Definition von Terror gibt, hat keine Justiz bisher den Kampf einer unterdrückten Nation für ihre nationalen, demokratischen Rechte als Terrorismus bezeichnet. Diese Art von Kampf in Ländern, in denen es keine Demokratie gibt, wurde sogar als berechtigt angesehen. Wenn man diesen Wertmaßstab anlegt, ist unser nationaler demokratischer Kampf sogar der gerechteste Kampf der Welt.

ÖP: Kann in dieser Zeit die Diskussion um die kurdische Identität an Geschwindigkeit zunehmen?

MK: Die Verleugnung von Identität ist der grösste Terrorismus. Bei der Unterdrückung des Kampfes für Identität handelt es sich sogar um das Verbrechen Völkermord. Auf der Welt sind die Kurden heute das einzige Volk, das einem solchen Völkermord und Terror ausgesetzt ist. Es ist zu erwarten, dass der EuMRGh diesen Terror erkennt und seine Verurteilung ermöglicht. Das ist es, was unsere Partei und unser Volk erwarten.

Der EuMRGh ist ein europäisches Gericht. Er schützt in erster Linie europäisches Recht. Dass dieses Recht verletzt wird, kann er nicht ein einziges Mal zulassen. Nachdem unser Vorsitzender in Rom angekommen war, war er ein Individuum, dass unter der Sicherheit des europäischen Rechtes stand. Er beantragte einen Aufenthalt in Italien und Griechenland. Sie haben sich dem Druck der USA gebeugt und ihr eigenes Recht verletzt. Am Komplott gegen unseren Vorsitzenden nahmen auch Länder der EU teil. Der Vorsitzende APO wurde nicht an die Türkei ausgeliefert, ohne dass sich dabei auf irgendein Abkommen gestützt wurde. Im Gegenteil, während er sich in der Sicherheit europäischen Rechtes befand, war er dem Komplott ausgesetzt. Das ist gleichzeitig ein Komplott gegen das Recht Europas. Weil die Auslieferung an die Türkei keine rechtliche Legitimität hatte, kann auch Imrali aus Sicht des EuMRGh keine Legitimität haben. Aus diesem Grund erwarten wir, dass der EuMRGh das Imrali-Gericht nicht als legal betrachtet und das Urteil von Imrali für ungültig erklärt.

Weil tausende von Menschen ihr Leben verloren haben, tausende von Dörfern niedergebrannt wurden, tausende Morde von sogenannten "unbekannten Tätern" begangen wurden, wird das Urteil des EuMRGh ein historisches Urteil sein.

ÖP: Wie finden Sie die Haltung der europäischen Staaten der kurdischen Frage und dem Gerichtsverfahren vor dem EuMRGh gegenüber?

MK: Es ist schwer zu behaupten, dass die europäischen Staaten an den EuMRGh eine der politischen Ethik entsprechende Erwartung haben. Allerdings hat der Bewusstseinsgrad, den das kurdische Volk erreicht hat, und sein Einsatz für seine nationalen Rechte auch Europa nachdenklich werden lassen. Europa ist in Bedrängnis geraten wegen seiner alten Mittelost- und Kurdenpolitik. Nicht nur Europa, auch andere grosse Staaten haben Schwierigkeiten mit ihrer Kurdenpolitik. Unser Kampf hat diese Schwierigkeiten in der Politik aller Mächte geschaffen. Wenn unser Volk weiter entschlossen Einsatz zeigt in seinem Kampf, wird die alte Politik sich verändern und überwunden werden. Man kann sagen, dass wir uns in einer solchen Phase befinden. Unser Kampf wird diese Phase weiterentwickeln und reifen lassen.

Die Europäer nehmen nach wie vor nicht die Kurden zur Grundlage in der Region, sondern die Staaten, die über das kurdische Volk herrschen. Dieser Fakt hat sich immer noch nicht komplett geändert. Auch wenn sie in Bedrängnis sind angesichts des Kampfes des kurdischen Volkes, verfolgen sie wegen ihrer Beziehungen zu den herrschenden Mächten eine opportunistische und auf Gleichgewicht ausgerichtete Politik. Ihre Haltung am EuMRGh wird dementsprechend ausfallen. Sie werden sich nicht vollständig gegen die Kurden stellen, aber weil sie selbst an dem internationalen Komplott beteiligt sind, wird es schwer sein, den Imrali-Prozess als nicht-gültig zu bezeichnen. Denn das würde bedeuten, in mittelbarer Form auch den Komplott und die Unrechtmässigkeit anzuerkennen. Das können Staaten nicht tun. Aber der EuMRGh kann. Wir wissen nicht, inwieweit die Richter des EuMRGh sich unabhängig von der Politik der Länder verhalten werden. Eine Aufgabe des EuMRGh muss es sein, die von den eigenen Staaten begangenen Verbrechen zu benennen. Ohne die Rolle der europäischen Staaten zu benennen, kann der EuMRGh nicht Imrali verurteilen. Es ist unumgänglich, dass das Gericht untersucht, warum und wie weit die Europäer Anteil an dem Komplott haben, und dass unser Vorsitzende persönlich angehört wird. Wir erwarten von Europa, dass es die Lösung erzwingt.

ÖP: Wie sollten sich die Kurden und Kurdinnen für das Verfahren am EuMRGh einsetzen?

MK: Der Prozess unseres Parteivorsitzenden am EuMRGh betrifft den Kampf der kurdischen Nation. Das Verfahren wird ein Kampf zwischen dem kurdischen Volk und seinen Gegnern sein. Die kurdische Frage ist eines der grössten Probleme internationaler Qualität auf der Welt. Somit wird im EuMRGh auch die Haltung Europas und der anderen Mächte der kurdischen Frage gegenüber deutlich werden. Gleichzeitig wird der EuMRGh-Prozess auch Plattform für einen gegenseitigen Kampf werden.

Aus diesem Grund betrifft es unseren Befreiungskampf aus nächster Nähe. Während des Zeitraums des Gerichtsverfahrens muss die Wirklichkeit mit Aktionen zur Sprache gebracht und Einsatz für den Vorsitzenden APO gezeigt werden. Einsatz für den Vorsitzenden bedeutet, den am Komplott Beteiligten eine Antwort zu geben und den Kampf gegen den Komplott zu verstärken. Wir sind mit der Aufgabe konfrontiert, die Angriffe gegen unseren Parteivorsitzenden und das Verfahren vor dem EuMRGh zurückzuschlagen. Ansonsten werden wir uns nicht davor retten können, der internationalen Politik geopfert zu werden und fortwährend Komplotten zu begegnen. Das kurdische Volk muss im Wissen um den Wert der strategischen Politik des EuMRGh-Prozesses seine Aufmerksamkeit erhöhen. Es muss bei allen Aktionen deutlich machen, dass im Falle einer gerichtlichen Beurteilung beide Seiten angehört werden müssen. Es muss fordern, dass der EuMRGh den Komplott verurteilt, um die Ehre Europas zu retten. Es muss sagen: "Der EuMRGh muss vor allem ans Licht der Öffentlichkeit bringen, dass das Recht Europas verletzt wurde". Der Einsatz, der in der Rom-Phase*** gezeigt wurde, muss in der Zeit dieses Gerichtsverfahrens noch verstärkt werden. Dass mit dem Komplott nicht alle angestrebten Ziele erreicht wurden, ist in erster Linie der Rom-Phase zu verdanken, die verhindert hat, dass der Komplott vollständig verwirklicht wurde. Die zweite Rom-Phase, die wir in Strasbourg beginnen werden, kann eine wichtige Rolle dafür spielen, dass der Komplott ganz ins Leere geführt wird. Aus diesem Grund rufen wir unser Volk dazu auf, mit fortwährenden Aktionen aus Strasbourg ein zweites Rom zu machen. Mit diesen Aktionen müssen wir gleichzeitig verhindern, dass die Türkei unseren Kampf als Terrorismus brandmarkt und somit Einfluss auf das Gericht und die Öffentlichkeit ausübt. Grundlegendes Ziel dieser Aktionen muss die Erklärung der Ungültigkeit des Imrali-Prozesses sein sowie die Errichtung eines internationalen Gerichtshofes, vor dem sich beide Seiten verantworten müssen. Es muss folgende Frage aufgeworfen werden: "Welchen Platz auf dieser Welt räumt das internationale Recht den Kurden und Kurdinnen ein?" Wir glauben daran, dass am EuMRGh der Befreiungskampf des kurdischen Volkes siegen wird und dass diejenigen verlieren werden, die das kurdische Volk verleugnen und vernichten wollen.

*Deniz Gezmis, Mitbegründer der THKO (Türkiye Halk Kurtulus Ordusu - Volksbefreiungsarmee der Türkei) wurde am 18. Oktober 1971 zum Tode verurteilt. Am 6. Mai 1972 wurde er in der Türkei gehängt

**Adnan Menderes wurde 1950 zum Ministerpräsidenten gewählt. Am 27. Mai 1960 machte die Armee durch einen Putsch der Ära Menderes ein Ende. Die Demokratische Partei wurde verboten: Menderes 1961 hingerichtet.

***Vom 12.11.1998 bis zum 16. Januar 1999 hielt sich Abdullah Öcalan in Rom auf. Mit dieser Initiative brachte er die Frage für den Frieden in Kurdistan und der Türkei direkt auf die europäische Tagesordnung. Unterstützt wurde Abdullah Öcalan von tausenden Kurdinnen und Kurden. Überall wo KurdInnen leben wurden Demonstrationen und Hungerstreike organisiert, Tausende machten sich auf den Weg nach Rom und demonstrierten damit ihre Verbundenheit und Entschlossenheit für eine politische und friedliche Lösung der kurdischen Frage