Initiative
der kurdischen Intellektuellen in Europa
Înîsiyatîfa Întelektuelên Kurd li Ewropa
Postfach 90 31 70, D-51124 Köln
Tel: 0049-2203-126 76, Fax: 126 77, e-mail: EU-Kurd@t-online.de
26.10.01
EU-Türkei:
Eine friedensfördernde Politik ist dringend notwendig
Die türkisch-kurdischen Menschenrechtler, wie auch die europäischen
und US-amerikanischen stellen immer wieder fest, welche "Fortschritte"
auf dem Wege in die EU die Türkei seit ihrer Anerkennung als Beitrittskandidat
im Dezember 1999 in Helsinki gemacht hat.
In dem Nationalen Programm der Türkei vom März 2001 wurden demokratische
Forderungen wie die Aufhebung des Ausnahmezustands, die Ermöglichung
der Rückkehr in die Dörfer, die Abschaffung der Todesstrafe
und die Minderung des Einflusses der Nationalen Sicherheitsrates auf das
politische Leben sowie die Beseitigung der gesetzlichen Hindernisse, die
der Meinungs-, Organisations- und Pressefreiheit entgegenstehen, auf spätere
Zeiten vertagt. Auch die in den letzten Tagen vollzogenen Verfassungsänderungen
entsprechen nicht den Erwartungen der Menschenrechtler. Sie bilden nur
einen Bruchteil dessen, was die Türkei tatsächlich verändern
muss. Außerdem sollte nicht nur auf die Worte, sondern auch auf
die Taten geachtet werden. Es sind Änderungen, die schnell ihre Grenzen
finden und nur unter "Vorbehalt" Gültigkeit erlangen. Die
Oberbegriffe "Nationale Sicherheit, Unteilbarkeit des Staates, Separatismus
und Terrorismus" stecken den Rahmen der erlaubten "Freiheiten"
genau ab.
Zusammengefasst kann man sagen, dass alle, die sich der neuen "Freiheiten"
bedienen wollen, unter die Lupe des "Terrorismus und Separatismus"
genommen werden. Ein Blick in die Gefängnisse, ein Blick auf die
Liste der "Straftaten" der Intellektuellen wird zeigen, wer
damit gemeint wird.
Die Kurden und Menschenrechtler in der Türkei glauben, dass die Türkei
die durch die einseitigen Schritte der PKK und durch die EU-Beitrittskandidatur
entstandenen Chancen nicht ernsthaft wahrnehmen will. Sie befürchten,
dass diese einmaligen Chancen vertan werden, wenn die Türkei so weiter
macht. Mit den im Sommer 1999 vollzogenen einseitigen Schritten der PKK
wurden eigentlich alle Grundbedingungen der Machthaber in Ankara und politisch
Verantwortlichen in Europa erfüllt: die Einstellung des bewaffneten
Kampfes, der Rückzug der Kämpfer und die Bereitschaft, die Kurdenfrage
friedlich und im Rahmen der Türkei zu lösen.
Kurden betteln im wahrsten Sinne des Wortes um Frieden. Frieden aber kann
nicht einseitig erreicht werden. Sowohl für den Dialog, als auch
für den Frieden braucht man mindestens 2 bereitwillige Parteien und
auch Vermittler.
Doch diese Haltung der Kurden wird einfach ignoriert. Ununterbrochen finden
sogenannte militärische "Säuberungs"aktionen diesseits
und jenseits der Grenzen statt. Weder eine Amnestie für politische
Gefangene und die Aufhebung des seit über zwei Jahrzehnten existierenden
Ausnahmezustandes noch Rückkehrmöglichkeiten für Millionen
vertriebene Menschen hat es gegeben.
Auch aus Brüssel sind keine positiven Reaktionen auf die von der
PKK einseitig vollzogenen Schritte zu beobachten. Die ausgestreckte Friedenshand
der Kurden wird auch hier nicht ergriffen und dementsprechend geantwortet.
Anscheinend hat man mit der Auslieferung Abdullah Öcalans an seine
Gegner die Kurdenfrage zu den Akten gelegt. Auch diese Haltung muss geändert
werden, da sie den Frieden nicht fördert.
Friedensaktivisten und Menschenrechtler beobachten ferner, dass die Geduld
der Kurden langsam zu Ende geht und der Druck der kurdischen Bevölkerung
auf die PKK, erneut militärisch vorzugehen, sich verstärkt.
Dies muss aber unbedingt verhindert werden. Wenn wieder der Krieg zu toben
beginnt, befürchten sie, dass er dieses Mal nicht wie früher
regional begrenzt sein wird. Die Flammen des Krieges könnten dann
auch Ankara und Istanbul, Izmir und Adana erreichen. Und die Folgen und
Auswirkungen würden auch in Europa spürbar sein.
Die "ganz Untersten", die "Verdammten der Welt" sagen
"Nein" zu einem Leben in Unterdrückung und Gewalt, Negation
und Leugnung. Die 15-20 Millionen Kurden fordern nur das, was die internationale
Gemeinschaft, die UN und die EU als Lösung für Zypern vorgeschlagen,
worauf sie im ehemaligen Jugoslawien, in Bosnien-Herzegowina und in Kosovo
gedrängt haben: nämlich eine föderative Lösung innerhalb
eines demokratischen Staates.
Die demokratischen Kräfte in der Türkei und die überwiegende
Mehrheit des kurdischen Volkes sind dafür, dass eine Türkei
EU-Mitglied wird, die bereit ist, sich zu verändern und zu wandeln,
sowie die Demokratie mit all ihren Institutionen und Regeln in die Tat
umzusetzen. Sie sind dafür, dass eine Türkei EU-Mitglied wird,
die die Menschenrechte voll anerkennt und anwendet, die bereit ist, mit
unterschiedlichen Farben und Tönen auf der Grundlage der Gleichheit
in Frieden zu leben und gewillt, die kurdische Frage einer gerechten Lösung
zuzuführen. Eine von wechselseitigen Interessen gekennzeichnete Beziehung
zwischen der Türkei und der EU, bei der demokratische Grundsätze
und Prinzipien verletzt und Werte missachtet werden, lehnen sie aber ab.
Sie glauben, dass dies weder dem türkischen und kurdischen Volk noch
der EU nutzen würde. Sowohl der Weg in die EU, als auch die Demokratisierung
der Türkei führt über eine Befriedung von Amed (Diyarbakir),
führt darüber, dass das kurdische Volk als gleichberechtigter
Gesprächspartner anerkannt wird, also kurz gesagt, über eine
gerechte Lösung der Kurdenfrage.
Nach den terroristischen Anschlägen in den USA glaubt die Türkei,
dass sie jetzt eine einmalige Gelegenheit gefunden hat, Forderungen nach
Frieden und mehr Demokratie entgegenzutreten. Sie versucht aus diesem
barbarischen Akt Kapital zu schlagen, indem sie den berechtigen Kampf
eines Volkes von 15-20 Millionen Menschen mit Terrorismus gleichsetzt,
KurdInnen kriminalisiert und ihre Institutionen zur Zielscheibe erklärt.
Sie hofft damit einerseits zum "Nulltarif" durch die Hintertür
in die EU hereinzukommen und andererseits den berechtigten Kampf des kurdischen
Volkes zu diskreditieren. Auch dies muss entschieden zurückgewiesen
werden.
Aus all den oben genannten Gründen kommen der EU und den europäischen
Regierungen eine sehr wichtige Aufgabe zu. Sie müssen auf die Türkei
einwirken, damit die entstandenen Chancen nicht vertan werden und damit
Dialog und Verständigung die Oberhand über Gewalt und Zerstörung
gewinnen.
V.i.S.d.P: Mehmet Sahin, Köln
|