amnesty international
Urgent Action

UA 19/01-1 ai-Index: EUR 44//082/2001 12. November 2001 - bs
Weitere Informationen zu UA 19/01 (EUR 44/005/2001, 25. Januar 2001)

SORGE UM SICHERHEIT

Türkei: Frau S.Ö., 32 Jahre alt und ihre sechs Kinder

Die acht Polizisten aus Diyarbakir, denen die Folterung einer kurdi-schen Frau zur Last gelegt wird, müssen sich derzeit vor Gericht verantworten. Die Kurdin S.Ö. (der vollständige Name ist amnesty international bekannt, wird zum Schutz der Person jedoch nicht genannt) ist wiederholt von der Polizei bedroht worden, um sie zu zwingen, ihre Anzeige zurückzuziehen. In den vergangenen Wochen sind auch mehrere ihrer Kinder inhaftiert und einige von ihnen geschlagen worden. amnesty international ist deshalb in großer Sorge um die Sicherheit der Familie.
Berichten zufolge war Frau S.Ö. im November 1997 in der Polizeizentrale von Diyarbakir im Südosten der Türkei vergewaltigt und gefoltert worden. Sie erstattete Anzeige bei den Behörden, und im Januar 2001 wurden acht Polizisten in Diyarbakir vor Gericht gestellt, nachdem man sie wegen Folter, aber nicht wegen Vergewal-tigung, angeklagt hatte. Weil sie Angst hatte, nach Diyarbakir zu fahren, durfte S.Ö. ihre Aussage am 2. April 2001 vor einem Gericht in Istanbul machen. Dort sind ihre Anwältinnen ansässig, und sie selbst wohnte dort vorübergehend.
Derzeit erscheinen fast jede Woche Polizisten bei S.Ö. in Izmir und bedrohen sie. Auch wird sie ständig auf der Straße verfolgt. Sie hat wegen dieser Drangsalierungen Anzeige erstattet und fordert, dass die Verantwortlichen festgenommen werden. Vor einigen Monaten hat die Polizei nach vorliegenden Informationen ihren 17-jährigen Sohn F.Ö. festge-nommen. Er wurde nach drei Tagen freigelassen, nachdem sich der Innenminister und ein Mitglied der parla-mentarischen Menschenrechtskommission für ihn eingesetzt hatten. In der zweiten Okto-berwoche nahm die Polizei den zwölfjährigen Sohn C.Ö. in seiner Schule fest und bezichtigte ihn des Dieb-stahls. Auf dem Weg zur Polizeiwache schlugen die Polizisten auf ihn ein, nahmen ihn am folgenden Tag erneut fest und inhaftierten ihn drei Stunden lang.
Eine Woche darauf erhielt S.Ö. eine Vorladung von der Polizeizentrale in Narlidere und wurde dort aufgefordert, ihre Anzeige zurückzuziehen. Als sie sich weigerte und erklärte, die Verantwortlichen sollten vor Gericht gestellt werden, drohte ihr ein zivil gekleideter Polizist indirekt mit den Worten: "Wir hoffen, dass ihnen nichts zustößt".
Nach vorliegenden Informationen wurde am 22. Oktober 2001 ihre 15-jährige Tochter B.Ö. von Personen in Zivilkleidung in einem weißen Fahrzeug verschleppt. Die Entführer knebelten sie und verbanden ihr die Augen. Dann schlugen sie auf sie ein, und sollen damit gedroht haben, sie zu vergewaltigen und ihre Mutter zu verge-waltigen und zu töten. Nach einer Stunde warfen die Entführer die Jugendliche aus dem Auto. Als S.Ö. und B.Ö. zur örtlichen Polizeiwache gingen, um den Überfall zu melden, wurden sie dort bis 5 Uhr morgens am folgenden Tag festgehalten. Die Polizisten fragten, wie sie denn wissen könnten, dass es sich bei den Entfüh-rern von B.Ö. um Polizisten gehandelt habe. Die Polizisten legten der Familie außerdem nahe, dass C.Ö. seine Aussage über den Polizisten, der ihn geschlagen habe, zurückziehe.
Nach ihrer Festnahme im November 1997 war S.Ö. bis zum 24. August 2000 in Haft, nachdem man sie für schuldig befunden hatte, der bewaffneten Oppositionsgruppe "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) bei Straftaten Beihilfe geleistet zu haben. Seit ihrer Haftentlassung wohnt S.Ö. in Izmir und zeitweise auch in Istanbul. Ihr Ehemann befindet sich seit sechs Jahren in Haft.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Vergewaltigungen und sexuelle Misshandlungen durch Angehörige der Sicherheitskräfte werden amnesty inter-national regelmäßig aus der Türkei gemeldet. Frauen wie Männer, die sich ohne Kontakt zur Außenwelt in Poli-zei- oder Gendarmeriegewahrsam befinden, werden routinemäßig gezwungen, sich auszuziehen. Zu den Foltermethoden, die amnesty international immer wieder genannt werden, gehören Elektroschocks, Schläge auf Genitalien und Brust, sexuelle Misshand-lungen und Vergewaltigung bzw. Androhung von Vergewaltigung.
Bis Oktober 2001 hatten 146 Frauen das Rechtshilfeprojekt für in der Haft sexuell misshandelte und vergewal-tigte Frauen in Istanbul um Unterstützung gebeten. Die mutmaß-lichen Täter sind in den allermeisten Fällen Polizisten, andere sind Gendarmen, Soldaten oder Dorf-schützer. Die Täter werden nur sehr selten vor Gericht gestellt. Die wenigen Gerichtsverfahren ziehen sich oft über Jahre hin. amnesty international liegen außerdem zahlreiche Berichte vor, denen zufolge Frauen, die mutmaßliche Folterer vor Gericht bringen wollen, sowie deren Familien und Rechtsanwälte drangsaliert und bedroht werden. Einige Opfer von Vergewaltigungen und sexueller Gewalt sowie deren Anwälte stehen selbst unter Anklage, weil sie öffentliche Stellungnahmen über Vergewaltigung in der Haft abgegeben haben.
EMPFOHLENE AKTIONEN: Schreiben Sie bitte weitere Telefaxe oder Luftpostbriefe, in denen Sie
· sich darüber besorgt zeigen, dass Berichten zufolge Polizisten Frau S. Ö. bedrohen, um sie zu zwingen, ihre Anzeige gegen die Polizisten zurückzuziehen, die sie vergewaltigt und gefoltert haben sollen und nun vor Gericht stehen;
· sich angesichts der Berichte besorgt zeigen, denen zufolge Personen in Zivil und Polizisten ihre Kinder geschlagen und inhaftiert haben;
· die Behörden auffordern, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um sie und ihre Familie vor Einschüch-terungen, Angriffen und willkürlichen Festnahmen zu schüt-zen;
· die türkischen Behörden an ihre Verpflichtungen gemäß des 1988 von der Türkei ratifizierten Überein-kommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe erinnern, worin sich die Vertragstaaten unter anderem verpflichten, mutmaßliche Folterer strafrechtlich zu verfolgen (Artikel 4 und 5) sowie Folteropfer, ihre Anwälte und Zeugen zu schützen (Artikel 13);
· die Behörden daran erinnern, dass der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes vor kurzem mit "großer Besorgnis" darauf hingewiesen hat, dass in der Türkei "die Inhaftierung [von Kindern] nicht nur als letztes Mittel angewandt wird und Berichte über Fälle vorliegen, in denen Kinder über lange Zeiträume ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten wurden."
APPELLE AN:
Herrn Rüstü Kazim Yücelen, Icisleri Bakanligi, 06644 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI (Innenminister)
Telefax: (00 90) 312 418 1795
Herrn Prof.Hikmet Sami Türk, Adalet Bakani, Adalet Bakanligi, TR-06659 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI
(Justiz-minister)
Telefax: (00 90) 312-418 5667; (00 90) 312-417 3954
Herrn Halil Tatas, Izmir Emniyet Müdürü, Emniyet Müdürlügü, Izmir, TÜRKEI
(Polizeichef von Izmir)
Telefax: (00 90) 232 446 7515
KOPIEN AN:
Herrn Nejat Arseven, Büro des Ministerpräsidenten, Basbakanlik, 06573 Ankara, REPUBLIK TÜRKEI
(Minister und Beauftragter für Menschenrechtsfragen)
Telefax: (00 90) 312 417 0476
Kanzlei der Botschaft der Republik Türkei, Rungestr. 9, 10179 Berlin
(S. E. Herrn Osman Taney Korutürk)
Telefax: 030-2759 0915
E-Mail: turk.em.berlin@t-online.de
Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 24. Dezember 2001 keine Appelle mehr zu verschicken.
FURTHER RECOMMENDED ACTION: Please send appeals to arrive as quickly as possible, in English, German or your own language:
- expressing concern that police officers are reportedly threatening S.Ö. to force her to withdraw her complaint while the police officers accused of raping and torturing her are on trial;
- expressing concern that police and people in plain clothes have reportedly detained and beaten her children;
- asking the authorities to ensure that she and her family are protected from intimidation, attack and arbitrary detention;
- reminding the authorities that they ratified the UN Convention against Torture in 1988, and are obliged to bring alleged torturers to justice (Articles 4 and 5), and to protect victims, plaintiffs and witnesses in torture trials (Article 13);
- reminding the authorities that the UN Committee on the Rights of the Child has recently "noted with deep concern" that in Turkey "detention [of children] is not used as a measure of last resort and that there have been reported cases of children held incommunicado for long periods".