Namens und als Berichterstatter/innen des GEW-Landesvorstandes Hamburg haben wir in der Zeit vom 15.3. - 22.3.02 mit 17 Personen - Lehrern, Rechtsanwälten, Pastoren, Universitätsbediensteten, Erziehern, Studenten, Sozialpädagogen und Gewerkschaftern - in 2 Gruppen verschiedene Städte in der Türkei bereist, um uns ein Bild von der allgemeinen Menschenrechtssituation sowie insbesondere der Entwicklung der Kampagne für muttersprachlichen Unterricht zu machen. Zunächst besuchten wir gemeinsam in Istanbul den Menschenrechtsverein IHD und das Mesopotamische Kulturzentrum MKM. Danach reiste die eine Gruppe über Adana, Urfa nach Diyarbakir, und die andere über Elazig, Dersim (Tunceli) und Bingöl ebenfalls nach Diyarbakir, wo beide weitere Gespräche führten und gemeinsam an den Newroz-Feierlichkeiten in Diyarbakir teilnahmen. Besucht
wurden: zu a: Das MKM in Istanbul hat 5 Zweigstellen, von denen 3 (Adana, Diyarbakir und Urfa) seit längerem auf richterlichen Beschluß geschlossen sind. Neben dem Zentrum in Istanbul können nur noch die Vereine in Izmir und Mersin öffentlich arbeiten. Selbstgestecktes Ziel ist die Pflege und Weiterentwicklung der Kultur aller mesopotamischen Minderheiten sowie der kurdischen Kultur, insbesondere in den Bereichen Musik, Tanz, Theater und Literatur, wobei eine Zusammenarbeit mit türkischen Künstlern ausdrücklich erwünscht ist. Von 20 selbstproduzierten und vom Kulturministerium genehmigten Musikkassetten sind bisher 19 vom Innenministerium verboten worden. Die Schließungsverfügungen der Zentren beziehen sich im wesentlichen auf den Vertrieb solcher verbotenen Kassetten. Verboten sind u.a. auch ein jeweils vom Kulturministerium gefördertes Theaterstück und ein Film (Kleine Liebe - großer Mann), wobei letzterer sogar vom Kulturministerium für eine Oscar-Nominierung vorgeschlagen wurde. In diesem Film geht es um ein kleines kurdisches Mädchen, dessen gesamte Familie während des Krieges ums Leben gekommen ist und das nun in die Obhut eines pensionierten nationalistisch eingestellten türkischen Richters gerät. Da das Mädchen kein Türkisch spricht, muß der Richter anerkennen, daß es über eine eigene kulturelle Identität verfügt. Durch die Schließung des Veranstaltungsraumes, Auftrittsverbote und Unterbindung des Vertriebes von Tonträgern und dergleichen wird versucht, dem MKM, dem allein in Istanbul ca. 70 Künstler angehören, die finanzielle Grundlage zu entziehen. Dadurch ist das Zentrum in seiner Existenz stark gefährdet. Dennoch versucht es, mit Künstlergruppen die Newroz-Feierlichkeiten in anderen Städten der Türkei zu unterstützen. Einer ähnlichen Politik der finanziellen Austrocknung sind u.a. auch die Wochen- bzw. Monatszeitungen Yedinci Gündem und Özgür Halk ausgesetzt, deren Publikationen willkürlich beschlagnahmt und deren Vertrieb insbesondere in den Ausnahmezustandsgebieten verboten ist. zu b Die HADEP sieht sich in erster Linie als Partei, die für die Durchsetzung demokratischer Grundwerte und den Frieden in der Türkei und zwischen den in ihr lebenden Volksgruppen eintritt. Gegen sie liegt seit mehreren Jahren ein Verbotsantrag vor, über den demnächst entschieden werden soll. Nach aktuellen Meinungsumfragen ist sie derzeit die einzige Partei, die die 10% Hürde überspringen würde. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß sie sich einer stetig wachsenden Unterstützung von Menschen aus der westlichen Türkei erfreut, die von der Korruption und Untätigkeit der anderen Partein enttäuscht sind. In den kurdischen Gebieten stellt sie seit den Wahlen vor 3 Jahren ohnehin fast überall die Bürgermeister, so in den wichtigsten Metropolen Diyarbakir, Van und Batman. Die HADEP wird von den Behörden als Initiatorin der Kampagne für das Recht auf muttersprachlichen Unterricht angesehen, obwohl es hierfür überall unabhängige Komitees gibt, die überwiegend von Studenten gebildet wurden. Im Zuge dieser Kampagne wurden Zehntausende Anträge in Listenform eingereicht, wovon allerdings viele nicht angenommen bzw. gleich zerrissen wurden. Mehrere tausend Studenten wurden festgenommen, viel wurden zumindest befristet von den Universitäten relegiert. Antragstellende Mütter von Schulkindern wurden festgenommen (in Adana wurde uns von dem Fall einer Hochschwangeren berichtet, die sich immer noch in Haft befindet) und Lehrer, die die Antragstellung nicht verhinderten, wurden verbannt bzw. in den Westen der Türkei versetzt. In Carikli, einem Vorort von Diyarbakir, wurden 80 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren, die sich an der Kampagne beteiligt hatten, verhaftet und verhört. Alle Lehrer der Schule wurden umgehend in andere Städte versetzt. Wegen Initiatorentums der Kampagne wurden am 25. Januar Vertreter nahezu aller HADEP-Ortsvorstände festgenommen und befinden sich immer noch in Haft. Am brutalsten war das Vorgehen in Adana, wo 25 der 37 Vorstandsmitglieder verhaftet wurden und 4 von ihnen - darunter der Vorsitzende - im Gefängnis durch Mißhandlungen lebensgefährlich verletzt wurden. Die HADEP wies uns darauf hin, daß auch 2 1/2 Jahre nach dem Abzug der letzten PKK-Guerillaeinheiten aus dem Staatsgebiet der Türkei die Militärpräsenz im Osten nicht abgenommen habe. Während offiziell nur noch in den Provinzen Diyarbakir, Dersim und Sirnak der Ausnahmezustand bestehe, gelte dies faktisch für alle kurdischen Provinzen, in denen allein das Militär bzw. die Gendarma die Macht ausübt. Hiervon konnten wir uns selber überzeugen, da insbesondere Elazig, Dersim, Bingöl und Mardin schon optisch Militärlagern glichen bzw. von Garnisonen regelrecht eingekreist sind. Auf dem Weg von Bingöl nach Diyarbakir wurden wir 5mal auf dem Weg von Mardin nach Diyarbakir 3mal vom Militär bzw. der Gendarma kontrolliert, wobei es noch weitere feste Kontrollpunkte gibt, an denen wir zum Teil vorbeigewunken wurden. Entschärft hat sich lediglich die Form der Kontrollen, die sich inzwischen weniger auf Durchsuchungen als auf Identitätsüberprüfungen und Registrierungen beziehen. zu c Mehrere hundert Mitglieder der 1995 gegründeten Erziehungsgewerkschaft Egitim Sen sind wegen des Vorwurfs, mit ihren Schülern Kurdisch gesprochen zu haben, oder jetzt wegen Unterstützung der Kampagne für muttersprachlichen Unterricht in Städte der Westtürkei verbannt oder vom Dienst suspendiert und mit Ermittlungsverfahren überzogen worden. Neben ständigen Festnahmen von Vorstandsmitgliedern ist ein besonders eklatanter Einschüchterungsversuch der Mitglieder der Fall eines früheren Vorsitzenden von Diyarbakir, der in einem völlig unbegründeten Verfahren allein auf der Basis eines diffusen Separatismusvorwurfes zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt wurde und dem trotz einer lebensgefährlichen Erkrankung eine adäquate ärztliche Behandlung verweigert wird. Darüber hinaus wurden in den Jahren 1995 - 99 allein in Diyarbakir 19 Mitglieder der Gewerkschaft von sogenannten unbekannten Tätern verschleppt bzw. ermordet. Im Gründungsstatut der Gewerkschaft findet sich der Artikel, daß muttersprachlicher Unterricht das natürliche Recht (Grundrecht) eines jeden Menschen sei. Nach Beginn der Kampagne für muttersprachlichen Unterricht wurde die Gewerkschaft von den Behörden bei Verbotsandrohung aufgefordert, diesen Passus aus ihrer Satzung zu streichen. Von den 410 Delegierten der Gewerkschaft sind nur 120 Kurden. Diese befürchten, daß die türkischen Delegierten beim Kongreß im Juni aus Angst vor Auflösung der Gewerkschaft der Streichung zustimmen werden. Das türkische Mitglied eines Bezirksvorstandes bestätigte uns gegenüber diese Einschätzung, obwohl sie selber mit der Forderung der Kampagne übereinstimmt. Im Zuge einer gezielten Assimilierungspolitik wurden insbesondere in den letzten Jahren Internatsschulen in den kurdischen Gebieten der Türkei eingerichtet. Allein in Diyarbakir werden 12.500 Kinder in diesen Schulen unterrichtet, in Dersim ist es bei einer Einwohnerzahl von 24.000 sogar 9 und in Mardin 8. Während die normalen Schulen mit geringsten finanziellen Mitteln ausgestattet sind und Schülerzahlen bis zu 80 pro Klasse ausweisen, werden für die Internatsschulen enorme Mittel aufgebracht. Die Klassenstände betragen nur halbsoviele Schüler, die Lehrer werden speziell ausgesucht, zum Teil kommen sie vom Militär. Die Schüler werden vorwiegend aus den völlig mittellosen Flüchtlingsfamilien rekrutiert. Egitim Sen ist Mitglied im Dachverband von KESK, dem 11 Einzelgewerkschaften aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes angehören. Der Verband ist aufgrund des Drucks der beiden anderen Dachverbände Türk-Is und Disk weder Mitglied der ILO noch des europäischen Gewerkschaftsbundes. Die ILO bereiste im Januar 02 mit einer Delegation die Türkei, um zu überprüfen, ob KESk die Aufnahmebedingungen erfülle. Dies scheint die türkischen Behörden sehr beunruhigt zu haben, was sich auch darin äußerte, daß wir in Kontrollen gefragt wurden, ob wir etwa im Namen der ILO reisten. ( Über das deutsche Auswärtige Amt war den türkischen Behörden bekannt und von diesen weitergegeben worden, daß wir eine Gewerkschafterdelegation seien). Durch die von der Weltbank und dem IWF wie überall verlangten und größtenteils umgesetzten Privatisierungen und damit verbundenen Massenentlassungen sind die Mitgliederzahlen aller Gewerkschaften drastisch gesunken, denn die Mitgliedschaft in Gewerkschaften ist mit einem festen Arbeitsverhältnis verbunden. Außerdem werden von den privatisierten Betrieben nur Nichtgewerkschafter eingestellt bzw. übernommen. In Adana beispielsweise sei die Situation so, daß morgens um 5.00 Uhr an verschiedenen Plätzen der Stadt Hunderte ihre Arbeitskraft anböten und wie auf einem Sklavenmarkt vor allem von Baufirmen und landwirtschaftlichen Großbetrieben für einen Tagelohn geheuert würden. Ob man sie überhaupt bezahle, sei stets ungewiß, sozialversichert seien sie sowieso nicht, von gewerkschaftlichen Arbeiterrechten ganz zu schweigen. Für das Newroz-Fest wurde allen Schülern, Lehrern und Studenten bei Relegations- bzw. Berufsverbotsandrohung das Fernbleiben vom Unterricht verboten. Krankschreibungen würden grundsätzlich an diesem Tag nicht akzeptiert. Wie ernst zu nehmen solche Drohungen sind, ist dem Umstand zu entnehmen, daß beispielsweise ein Lehrer aus Lice vom Dienst suspendiert wurde, weil er die Einladung zu seiner Hochzeitsfeier in kurdischer und türkischer Sprache abgefaßt hatte. zu d Der IHD tritt ein für die Einhaltung der Menschenrechte und greift dabei jegliche in diese Richtung gehende Initiativen auf, die vom Volke ausgehen. Er versucht, diesbezügliche Informationen zu sammeln und einer möglichst großen auch internationalen Öffentlichkeit zugängig zu machen. Derzeitige Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe und der Isolationshaft sowie die Unterstützung der Kampagne für das Grundrecht auf muttersprachlichen Unterricht. Der IHD verfügt in 23 Städten über Ortsvereine, wovon 3 (Malatya, Van und Antep) geschlossen und mehrere weitere von Schließung bedroht sind. Begründung hierfür ist die Bereitstellung von Vereinsräumlichkeiten für Pressekonferenzen von Angehörigen der seit 1 1/2 Jahren hungerstreikenden politischen Gefangenen aus verschiedenen Organisationen der türkischen Linken. Der Hungerstreik forderte gerade in den letzten Tagen sein 86. und 87. Todesopfer. Gegenwärtig befinden sich noch ca. weitere 1.000 Gefangene im Hungerstreik, an dem sich die ca. 10.000 PKK-Gefangenen im übrigen nicht bzw. nur durch sporadische befristete Solidaritätshungerstreiks beteiligen. Der Hungerstreik richtet sich gegen die seit 1 1/2 Jahren sukzessive eingeführten Isolationshaftbedingungen. Gegenwärtig haben 4 Anwaltskammern mit Unterstützung zahlreicher Intellektueller einen Kompromißvorschlag für einen begrenzten Zellenumschluß von jeweils 3 Gefangenen vorgelegt, auf den es seitens des Justizministeriums bislang allerdings ebensowenig eine Reaktion gegeben hat, wie auf alle vorangegangenen Vermittlungsvorschläge. Mehrere hundert, aus gesundheitlichen Gründen vorläufig aus der Haft entlassene Gefangene, sind von irreparablen gesundheitlichen Schäden betroffen: totaler Gedächtnisverlust, Lähmungen und andere motorische Disfunktionen sowie Organschädigungen aller Art. Die IHDs, die sich im Rahmen weitgefächerter Bündnisse verschiedener politischer und sozialer Organisationen an den Newroz-Vorbereitungen beteiligt haben, sind fast überall insbesondere auf Vorstandsebene von Festnahmen und Verfahren überzogen. Der IHD, der selber stets von Schließung bedroht ist und über so gut wie keinerlei finanzielle Mittel verfügt, kann in bezug auf die ca. 4.500 von Sicherheitskräften zerstörten Dörfer und die ca. 4 Millionen Flüchtlinge lediglich eine Bestandsaufnahme und Dokumentation der Not und Unterdrückung leisten. Eine Rückkehr der Dorfbewohner in ihre zerstörten Dörfer ist nur unter der Voraussetzung möglich, daß sie eine Erklärung des Inhaltes unterschreiben, daß ihre Dörfer von der PKK zerstört wurden und sie keinerlei Regreßansprüche an den Staat stellen werden. Da die Dörfer aber völlig zerstört und vermint, Felder, Wälder und der Viehbestand vernichtet sind, gibt es ohne eine massive staatliche und internationale Unterstützung bzw. Wiedergutmachung ohnehin keine realistische Rückkehrmöglichkeit, zumal sich inzwischen Dorfschützerclans die besten Grundstücke angeeignet haben. Besonders in Dersim, aber auch in Urfa, wurden wir auf die verheerenden Auswirkungen der bereits errichteten bzw. in Bau befindlichen Staudammprojekte hingewiesen. So sind in Dersim bereits 2 Staudämme mit einer überfluteten Fläche von 60 qkm fertiggestellt worden. Für 4 weiter Staudämme ragen bereits jetzt bis zu 45 m hohe Betonpfeiler in die Landschaft, die zum großen Teil ein einmaliges Naturschutzgebiet, eine Vielzahl von historischen Kulturgütern und insbesondere unzählige zur Evakuierung anstehende Dörfer und Weiler umfaßt. Diese Staudammprojekte wurden von unseren Gesprächspartnern immer wieder als eine gezielte Maßnahme zur Vertreibung der seit Jahrtausenden ansässigen kurdischen Bevölkerung bezeichnet. Bei der Anwaltskammer von Diyarbakir wurde uns berichtet, daß seitens der Staatsanwaltschaft bisher 12.434 Anträge auf muttersprachlichen Unterricht registriert und 122 Anklagen erhoben worden seien. Zu Prozessen sei es in dieser Sache bisher nur in Izmir gekommen, wo Gefängnisstrafen von bis zu 3 Jahren und 9 Monaten ausgesprochen wurden. Eine genaue Prozeßterminierung findet in derartigen Verfahren nicht statt, d.h., Angeklagte, Anwälte und Prozeßbesucher werden lediglich über den Tag des Prozesses, nicht aber über die Uhrzeit informiert. So müssen sich zeitlich alle darauf einrichten, von morgens um 9.00 Uhr bis nachmittags um 17.00 Uhr bereitzustehen. Im Schnitt werden 40 Urteile pro Tag verkündet. zu e Am 19.3.02 fand in Bingöl ein Prozess gegen 8 Inhaftierte statt. Hintergrund war, daß am 25.1.01 zwei Vorstandsmitglieder der HADEP aus Silopi zur Gendarmerie vorgeladen waren, die seitdem "verschwunden" sind. Am 25.1.02 fand landesweit, so auch in Bingöl, eine Versammlung statt, auf der gegen die Praxis, Menschen verschwinden zu lassen, eine Pressekonferenz stattfand. Im Rahmen dieser Versammlung griff die Polizei ein, mißhandelte die Teilnehmer/innen (der Frauenbeauftragten wurden die Haare ausgerissen) und nahm 70 Menschen fest, darunter 19 Frauen. 8 Teilnehmer/innen wurden willkürlich verhaftet und bis zu diesem Termin im ersten in den kurdischen Gebieten errichteten F-Typ-(Isolationshaft)-Gefängnis inhaftiert. Während der vorangegangenen 2 Prozeßtermine war es den Prozeßbeobachtern nicht gelungen, auch nur in die Nähe des weiträumig von Polizei und Gendarma abgesperrten Gerichtsgebäudes zu gelangen. Nach Einschätzung der Bevölkerung konnten durch die Teilnahme verschiedener Delegationen aus Europa (Dänemark, Italien, Deutschland) Angehörige der Gefangenen und Prozeßbesucher zumindest das Gerichtsgebäude betreten, wenngleich der Prozeßsaal mit ca. 60 Plätzen viel zu klein war. Die 8 Inhaftierten wurden gegen Kaution freigelassen. Prozeßbeteiligte, HADEP-Vertreter/innen der verschiedenen Regionen sowie die ausländischen Delegationen wurden im Anschluß des Prozesses vom HADEP-Bürgermeister von Bingöl empfangen. Zuvor berichteten Mitglieder der HADEP, daß es anläßlich des internationalen Weltfrauentages am 8. März seitens der Sicherheitskräfte die Auflage gegeben habe, daß die Frauen außerhalb des HADEP-Gebäudes keinesfalls ihre traditionelle Kleidung auf der Straße tragen dürften. zu f Der Bürgermeister von Urfa gehört der religiös orientierten Saadet-Partei an. Damit ist Urfa eine der wenigen kurdischen Städte, in denen die HADEP nicht die Wahl gewann, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, daß fast die Hälfte der Bevölkerung Urfas arabischen Ursprungs ist. Der Bürgermeister sagte gleich zu Beginn, daß er selber Kurde sei und es durchaus begrüßen würde, wenn Kurdisch als Wahlfach angeboten werde, allerdings ginge er davon aus, daß höchstens 1 % der Bevölkerung ein solches Angebot in Anspruch nehmen würde. Im übrigen habe er sein Studium in England auch nicht auf Türkisch (!) durchführen können. Jetzt besitze er eine Fabrik in Instanbul und würde versuchen, Unternehmen zu Investitionen in Urfa zu ermutigen, um damit der Bevölkerung zu helfen, denn wichtig sei, daß man Arbeit habe, und nicht, in welcher Sprache man unterrichtet werde. Allerdings sei Bildung die Voraussetzung, um Arbeit zu bekommen, weswegen Bildung sehr wichtig sei. Neben solchen Ausführungen beklagte er, daß das Armutsgefälle in der Türkei vom Westen nach Osten ständig zunehme und die Regierung nur in den westlichen Metropolen für Investitionen sorge. Für die Flüchtlinge tue sie nichts, und die Kommunen verfügten über keinerlei Mittel, um ihrerseits die Not zu lindern, die einzige Hoffnung sei das GAP-Staudamm-Projekt, da in der Folge von Bewässerung Wohlstand für alle zu erwarten sei. Angesprochen auf die damit verbundenen Dorfevakuierungen (und neuen Flüchtlingsströme) sowie die ökologischen und kulturellen Zerstörungen sagte er, daß auch eine Rose Dornen habe. Der HADEP-Vorsitzende von Urfa sagte uns diesbezüglich, daß der Bürgermeister in den bisherigen Jahren seiner Amtszeit ausschließlich für sein Wählerklientel gehandelt habe und dass in Folge der Inflation und des Preisverfalls für landwirtschaftliche Güter (heute bekommen die Bauern für 6 kg Weizen einen Liter Diesel, während noch vor 5 Jahren das Verhältnis 1:1 war) die Lage der Bauern so schlecht geworden sei, daß sie ihr Land mit immer höheren Hypotheken belasten müßten, bis es dann an die Banken fiel. Bei dem Staudammprojekt verlören kurzfristig Dutzende, langfristig Hunderte Dörfer entschädigungslos ihr Land, und daß die Felder der verbleibenden Dörfer davon profitieren würden, glaube keiner. Vielmehr sei eine Wasserpipeline nach Israel geplant sowie Stromerzeugung, wobei der Strom für den Westen der Türkei geplant sei. Wenn darüber hinaus noch Wasser für Bewässerung vorhanden sei, würde dies vermutlich den Ländereien von Großagrariern zugute kommen, die die durch Überschuldung verfallenen Grundstücke von den Banken aufkaufen würden. Hier sei vor allem israelisches Kapital im Spiel. Auch der im Bau befindliche Flughafen von Urfa würde mit israelischem Kapital errichtet, was wegen der unmittelbaren Nähe zur syrischen Grenze nicht ganz bedeutungslos ist. zu g Der vor knapp 3 Jahren gewählte Oberbürgermeister, Feridun Celik, empfing uns im imposanten Rathaus von Diyarbakir. Allerdings wies er uns gleich darauf hin, daß die Bürgermeister - genau wie alle gewählten Vertreter des Volkes in der Türkei, einschließlich der Parlamentsabgeordneten - nur sehr wenige Befugnisse hätten. Die tatsächliche Macht liege bei den (nicht gewählten) Gouverneuren und dem Sicherheitsrat, der aus dem Generalstab und einigen Ministern sowie dem Präsidenten besteht. Die HADEP habe in den vergangenen Jahren versucht, die Türkei näher an die EU heranzuführen, was allerdings nicht sehr erfolgreich gewesen sei, da die Türkei die von ihr selber unterschriebenen Konventionen, z.B. die Kopenhagener Kriterien, nicht erfülle bzw. schlicht und einfach ignoriere. Nun wäre die HADEP selber vom Verbot bedroht und hoffe auf die Unterstützung von Parteien und Regierungen aus dem Bereich der EU, um das drohende Verbot abzuwenden. Auch wenn die Befugnisse des Bürgermeisters nur sehr gering seien, habe man immerhin in den vergangenen 2 Jahren ein ziemlich ungestörtes und friedliches Newroz-Fest mit jeweils mehreren hunderttausend Teilnehmern durchführen können. Ansonsten bestehe auch weiterhin eine nur sehr unbefriedigende Ausstattung mit finanziellen Mitteln, da diese von den offiziellen Einwohnerzahlen abhingen, die Ergebinsse der vor einem Jahr durchgeführten Volkszählung, die einen großen Teil der bisher nicht registrierten Flüchtlinge einbeziehen sollte, aber immer noch nicht vorlägen und folglich der Etat immer noch nicht aufgestockt sei. Trotz dieser geringgehaltenen Mittel wurde in den vergangenen 3 Jahren die Wasserversorgung der anderthalb Millionen Einwohner zählenden Metropole sichergestellt und der Ausbau der Kanalisation soweit vorangetrieben, daß man von einer Fertigstellung in 2 - 3 Jahren ausgehen könne. Bezüglich internationaler Hilfsprogramme sagte er, daß von dänischer Seite versucht worden sei, den Wiederaufbau von 20 Dörfern und die Rückführung der betroffenen Flüchtlinge zu organisieren, daß dies aber von seiten der Behörden der Türkischen Republik verhindert worden sei. Andere Hilfsprogramme gebe es nicht. zu h Die Newroz-Feier selber wurde von deutlich mehr Menschen besucht als im vorigen Jahr. Wenn das riesige Veranstaltungsgelände im vorigen Jahr zu Zweidritteln gefüllt war und es hieß, es sei eine halbe Millionen Menschen gekommen, so war dasselbe Gelände in diesem Jahr derart überfüllt und von Menschen dichtgedrängt, daß die Gesamtzahl der Teilnehmer mindestens ein Drittel mehr betragen haben muß. Dies in absoluten Zahlen zu schätzen, ist uns nicht möglich. An den Zufahrtswegen standen Panzerspähwagen und Panzerräumfahrzeuge von Polizei, Militär und Gendarma. Die Zugangsseite zum Gelände war mit Polizeigittern abgesperrt, jeder Teilnehmer wurde - nach Geschlechtern getrennt - abgetastet und personalausweislich kontrolliert, besonders schikanös waren die Kontrollen bei den Frauen. Die Personalien der Ausländer wurden in Listen eingetragen. Grün-gelb-rote Tücher und Transparente jeder Art wurden beschlagnahmt. Insgesamt war unser Eindruck, daß die Repression seitens der türkischen Behörden und des Militärs kaum abgenommen hat, daß dementsprechend die Not und das Leid der kurdischen Bevölkerung, insbesondere der Millionen Flüchtlinge, sich eher verschärft hat, daß aber dennoch die Zuversicht, das Selbstbewußtsein und der unbedingte Wille, nicht mehr nachlassen zu wollen bei der Durchsetzung der demokratischen Grundrechte, für alle in der Türkischen Republik lebenden Menschen stärker geworden ist denn je. Dies kam stellvertretend zum Ausdruck in der Äußerung eines langjährigen IHD-Vorstandsmitgliedes, der gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war, und auf die Frage hin, ob er durch das Gespräch mit uns nicht neuen Schwierigkeiten ausgesetzt sein würde, erwiderte: wenn sie mich nachher holen sollten, wird es mir eine Ehre sein, Angst haben wir nicht mehr vor ihnen. |