Sehr geehrte Damen,
Helfen
Sie mit, die Hürde zur Demokratie zu überwinden!
Am 3. November wird in der
Türkei gewählt. Alle politischen Entwicklungen deuten darauf
hin, dass es bei diesen Wahlen nicht um einen pragmatischen und politischen
Kurswechsel gehen wird. Vielmehr wird es aufgrund der neuen politischen
Debatten und Entwicklungen um einen radikalen Kurswechsel gehen.
Zum ersten Mal haben demokratische kurdische und türkische Politikerinnen
und Politiker zueinander gefunden. Unter dem Dach der DEHAP (Demokratische
Volkspartei) werden sie als Block für ihre gemeinsamen Forderungen
antreten. Hierzu gehört eine Türkei, die der kurdischen und
türkischen Bevölkerung auf der Grundlage von Demokratie und
Gerechtigkeit einen gleichberechtigten Status anerkennt. Aber auch Forderungen
hinsichtlich einer fundamentalen Veränderung des arbeitsmarkt- und
beschäftigungspolitischen Sektors sind die Wahlziele des Bündnisses.
Revolutionär, einzigartig,
alternativ und überzeugend ist aber die DEHAP in ihrer Absicht, Frauen
eine herausragende Rolle bei diesen Wahlen zu übertragen. Dies belegt
nicht nur die große Zahl der Kandidatinnen, sondern auch die Tatsache,
dass ca. 35 % von ihnen auf den vorderen sicheren Listenplätzen antreten.
Alle diese Frauen sind aufgrund ihrer langjährigen politischen Aktivitäten
und Erfahrungen besonders geeignet, ihren Anteil zu grundlegenden gesellschaftlichen
Veränderungen in der Türkei beizutragen. Sie haben einen Teil
ihres Lebens entweder in Untersuchungshaftanstalten oder in Gefängnissen
verbracht, was für Frauen Folter, Vergewaltigung, Misshandlung und
Erniedrigung bedeutet. Manche von ihnen haben ihre Kinder und Ehemänner
während des Krieges verloren.
Gerade diese einschneidenden Erfahrungen der Frauen sind es, die ihnen
den unbändigen Willen und die Kraft geben, für eine andere Gesellschaft
und eine menschenwürdige Politik zu kämpfen.
Eine dieser Frauen ist Sükran Aydin aus Diyarbakir. Ihr Ehemann,
Vedat Aydin, wurde im Juli 1991 als erstes Opfer von Todesschwadronen
ermordet. Sükran Aydin brachte den Fall vor den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. In Zusammenarbeit
mit dem Menschenrechtsverein IHD in Diyarbakir hat sie sich jahrelang
für Angehörige von Opfern ermordeter Menschen eingesetzt.
Eine andere ist Perwin Buldan
aus Hakkari. Ihr Mann Faik Buldan wurde 1993 aufgrund des Befehls der
damaligen türkischen Ministerpräsidentin Tansu Ciller ermordet.
Sie hatte eine Todesliste mit den Namen kurdischer Geschäftsleute
anfertigen lassen. Perwin Buldan hat ein Verfahren gegen Tansu Ciller,
die heute für DYP kandidiert, eingeleitet. Um ein weiteres Morden
zu verhindern und um die Schmerzen der Angehörigen solcher Opfer
zu lindern, hat sie zunächst den Verein für Opfer des Krieges
und später den Verein für Angehörige von Kriegsopfern gegründet.
Perwin Buldan gehört zu jenen Frauen, die weiß, was Krieg bedeutet
und sich deswegen für die Alternative, Frieden einsetzt.
Eine weitere Frau ist Pinar
Selek aus Istanbul. Als engagierte Soziologin hat sie sich sehr stark
für die Rechte der Kurd(inn)en, der Straßenkinder oder der
Transvestiten engagiert. Gemeinsam mit Kurdinnen hat sie die Initiative
zur Entwicklung der Frauenposition von Frauen, ins Leben gerufen. Mit
verschiedenen Kampagnen versucht sie, den Stimmen von Frauen aus den ländlichen
Gebieten Gehör zu verschaffen. Aufgrund ihrer politischen Überzeugungen
wurde sie zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Noch
heute hat sie Ausreiseverbot.
Die Kandidatinnen der DEHAP stehen für den demokratischen Wandel
der Gesellschaft und des Staates. Wir auch. Für die Zukunft der Türkei
wollen sie Frieden, Demokratie und Gleichberechtigung für alle Mitglieder
der Gesellschaft. Wir auch.
Sie sind Frauen von der Basis. Wir glauben ihnen. Denn sie verfügen
über Erfahrung. Sie sind aus den Reihen der Völker und selbstbewusste
Frauen. Sie kämpfen nicht nur für Völkerverständigung,
sondern auch für die Emanzipation der Geschlechter. Aus diesen Gründen
wollen wir diese Frauen unterstützen.
Das wird nicht einfach: Als weltweit einziges Land hat die Türkei
eine Wahlhürde von 10 %. Die Repression gegen die Mitglieder der
DEHAP ist Grund zu großer Sorge. Kandidaten wie der ehemalige Vorsitzende
des Menschenrechtsvereins (IHD), Akin Birdal, und der ehemalige Vorsitzende
der HADEP, Murat Bozlak, wurden von der Wahlkommission aufgrund laufender
politischer Verfahren, nicht zugelassen. Auch die HADEP kann nicht kandidieren,
weil sie mit einem Verbot bedroht ist.
Die Türkei steht am Scheideweg: Entweder wird eine Entscheidung für
die Demokratisierung getroffen oder die Kräfte, die vom Krieg profitieren,
werden wieder das Wort ergreifen. Nicht ohne Grund rief die Parteivorsitzende
der DYP, Tansu Ciller, dazu auf, dass sich die Türkei am Krieg gegen
den Irak beteiligen soll. Ihr Ziel ist, wieder das Amt der Ministerpräsidentin
zu erreichen. Nach wie vor gibt es die politischen Hardliner in der Türkei,
die für Krieg und Zerstörung stehen. Aus diesem Grund werden
diese Kräfte bemüht sein, die Wahlen vor allem von Parteien
wie der DEHAP zu erschweren. Die Ermordung dreier Zivilisten durch die
staatlich finanzierten Dorfschützer in der kurdischen Stadt Bismil
in dieser Woche, dienen der Einschüchterung der Bevölkerung.
Es gibt genügend Anlass zur Sorge. Aus den vergangenen Erfahrungen
wissen wir, dass nicht nur Wahlzettel gefälscht und Wahlurnen gestohlen,
sondern auch Wähler unerwünschter Parteien wie die DEHAP bedroht
oder festgenommen oder Wahlkundgebungen verhindert werden. Schon jetzt
existiert eine lange Liste von Repressionen.
Damit die Wahlen tatsächlich gerecht und gesetzmäßig ablaufen,
sind Beobachter/innen aus dem Ausland, vor allem aus Europa, eine große
Unterstützung. Durch Delegationen können der Druck und die Repression
vermindert werden. Helfen Sie mit, dass die Demokratie die Hürde
überschreitet.
Wir wenden uns daher mit der
Bitte an Sie, als Wahlbeobachterin in die Türkei zu reisen. Unser
Büro konzentriert sich vor allem auf die Städte Van und Mersin,
da in diesen Städten die Repressionen am höchsten sind.
Über Ihre Teilnahme würden wir uns freuen. Für weitere
Informationen wenden Sie sich bitte an uns.
Mit freundlichen Grüßen
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