Seit 4 Wochen Verteidigerbesuch bei Abdullah Öcalan verwehrt
Anwälte
rufen Europarat und Amnesty International zur Intervention bezüglich
verschärfter Haftbedingungen auf
Sechs der Anwältinnen
und Anwälte Abdullah Öcalans aus der Kanzlei Asrin in Istanbul
haben sich am 7. November 2002 mit einem Schreiben an das Komitee zur
Folterprävention beim Europarat (CPT) sowie an Amnesty International
gewandt, nachdem ihnen nunmehr seit mehr als vier Wochen Besuche bei ihrem
Mandanten verwehrt bleiben. Seit langer Zeit schon äußert das
Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) e.V. seine Besorgnis über die
schweren Haftbedingungen Öcalans und ruft die Öffentlichkeit
dazu auf, sich für eine Normalisierung seiner Haftbedingungen einzusetzen.
Grundsätzlich fordert das KIZ für die Türkei eine bedingungslose
Generalamnestie, die auch Herrn Öcalan einschließt.
Im Folgenden dokumentieren wir das Schreiben der Istanbuler AnwältInnen
an das CPT im Wortlaut. Ein gleichlautendes Schreiben ging an Amnesty
International mit der Aufforderung, eine „urgent action“ zu
starten.
„Seit dem 15. Februar 1999 ist Herr Abdullah Öcalan, der in
Verletzung internationaler Abkommen und geläufiger Rechtspraxis in
die Türkei verbracht wurde, auf der Gefängnisinsel Imrali im
Marmarameer Isolationsbedingungen unterworfen.
Herr Öcalan ist der einzige
Gefangene des Gefängnisses auf der Insel Imrali, die mit einem Umfeld
von fünf Seemeilen zu einem militärischen Sperrgebiet erklärt
worden ist. Der rechtliche Status der Insel Imrali sowie sie betreffende
Verwaltungsmaßnahmen unterstehen dem sogenannten Krisenstab, einer
Einheit, die lediglich in Krisensituationen wie Naturkatastrophen, Kriegen
u.ä. zum Einsatz kommen dürfte. Sie ist mit außerordentlichen
Befugnissen ausgestattet und ihr Aufgabenfeld ist so eingerichtet, dass
ihre Entscheidungen und Maßnahmen keinerlei gerichtlichen Kontrolle
unterworfen sind. Aufgrund seines juristischen Status und der hier angewendeten
Verwaltungsbedingungen handelt es sich um ein sehr umstrittenes Gefängnis.
Herr Öcalan ist nicht lediglich aufgrund erforderlicher Sicherheitsmaßnamen
auf Imrali inhaftiert. Die türkische Regierung bevorzugt dieses Gefängnis
aus mehreren Gründen. So ist es einfach, die Insel von der gesamten
Außenwelt zu isolieren, Besuche der Anwälte und der Familie
können mit kaum glaubhaften Begründungen verhindert werden,
es lassen sich langfristig bzw. permanent Polizeihaftbedingungen aufrechterhalten
und damit verbundene Negativsituationen erwirken.
Offiziell untersteht das Gefängnis Imrali zwar dem Justizministerium
der Türkei, tatsächlich handelt es sich aber bei der Insel Imrali
um ein militärisches Sperrgebiet, wodurch sämtlicher Zutritt
einschließlich dessen des Wachpersonals der Kontrolle von mit Sonderbefugnissen
ausgestatteten Militäreinheiten unterliegt. Ebenso werden Verteidigungsrelevante
sowie sämtliche weiteren Dokumente, die unsererseits an die zuständige
Staatsanwaltschaft geleitet werden, der Kontrolle durch das Militär
unterzogen und nur mit militärischer Genehmigung an unseren Mandanten
ausgeliefert.
Unter schweren Isolationsbedingungen hat Herr Öcalan nur Verbindungen
zur Außenwelt über Besuche von seinen Anwälten und Verwandten
ersten Grades für jeweils eine Stunde einmal wöchentlich (ausschließlich
Mittwochs).
Das Erreichen der Insel Imrali ist der Familie und den Rechtsanwälten
nur durch ein äußerst primitives Wassertransportmittel möglich,
das den Namen Imrali-9 trägt und mit dem Schiffspersonal zusammen
ca. zehn Personen transportieren kann. Die Fahrt zur Insel mit diesem
Transportmittel dauert zweieinhalb bis drei Stunden, und schon bei geringfügig
schlechten Wetterverhältnissen ist eine Überfahrt zur Insel
mit diesem Transportmittel unmöglich. Allgemein bedeutet die Fahrt
über das Meer mit diesem Transportmittel Lebensgefahr. Von Zeit zu
Zeit wird behauptet, dass aufgrund eines Maschinenschadens die Fahrt zur
Insel nicht möglich sei, ohne dass allerdings ein Alternativtransportmittel
bereitgestellt wird, mit dem die Überfahrt problemlos möglich
wäre.
Ausschließlich Herrn Öcalans Anwälte und Angehörigen
ersten Grades können von ihm Informationen aus erster Hand erhalten.
Trotz der laufenden Verfahren vor der 8. Kammer des Strafgerichts Ankara,
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Strafgericht
Athen wird versucht, mit dem Vorwand schlechter Wetterverhältnisse
die ohnehin zeitlich beschränkten Mandantengespräche vollkommen
zu unterbinden. Weil wir keine Möglichkeit zur dringend erforderlichen
Beratung mit unserem Mandanten über juristische Entwicklungen haben,
werden wir in unserer Aufgabe als Verteidigerseite behindert. Des weiteren
kann Herr Öcalan lediglich von seinen Geschwistern besucht werden,
obwohl die in der Türkei gültige Regelung auch Besuche von Verwandten
zweiten und dritten Grades vorsieht. Seine Geschwister können aufgrund
ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes und der weiten Entfernung ihres
Wohnortes von Imrali (ca. 1200 Kilometer) nur einmal im Monat zu Besuch
kommen. Die genannten Schwierigkeiten zuzüglich des Problems, zur
Insel zu gelangen, führen zu einer sehr eingeschränkten Möglichkeit
für Herrn Öcalan, Besuch zu bekommen.
Herr Öcalan kann die Tagespresse nur durch unsererseits bereitzustellende
Zeitungen verfolgen, die an Auswahl (Hürriyet, Milliyet, Sabah) und
Anzahl (acht bis zehn pro Woche) begrenzt werden. An Büchern und
anderen Veröffentlichungen, die ebenfalls entsprechend der Beschränkungen
von uns übergeben werden, kann er höchstens drei Stück
bei sich behalten. Im Gegensatz zu den anderen F-Typ-Gefängnissen
[die umstrittenen Hochsicherheitszelltrakte] in der Türkei, in denen
der Hofgang ganztägig erlaubt ist, ist ihm täglich nur ein Hofgang
für zwei Stunden (eine Stunde vormittags und eine nachmittags) erlaubt.
Herrn Öcalan hat nicht die Möglichkeit, an sozialen oder sportlichen
Aktivitäten teilzunehmen. Die mehrfach gestellten Anträge bezüglich
der Aushändigung eines Fernsehgerätes sind abgelehnt worden;
er hat lediglich die Möglichkeit, einen einzigen staatlichen Radiosender
(TRT) zu empfangen. Von Tausenden an ihn gerichteten Briefen bekommt er
lediglich einige wenige ausgehändigt, die durch eine gründliche
Kontrolle gehen.
Wie im unlängst veröffentlichten Bericht des Komitees zur Folterprävention
beim Europarat (CPT) dargestellt, ist der Raum für den Hofgang 4,5
m breit, 4 m hoch und oben mit einem Gitter versehen. Obgleich auch in
diesem Bericht eine Lockerung seiner Haftbedingungen sowie die zeitweilige
Ermöglichung eines Hofganges in einem größeren Raum gefordert
wurde, ist keine Verbesserung diesbezüglich zu verzeichnen. Wenn
man bedenkt, dass diese Situation seit drei Jahren und acht Monaten andauert,
kann man sich vorstellen, welches akute Risiko die negativen Auswirkungen
dieses Zustandes auf Herrn Öcalans physisches und psychisches Wohlergehen
bergen.
Diese Situation wird auch in den Berichten des CPT festgehalten, die im
Anschluss an zwei Besuche auf der Insel Imrali erstellt worden sind. Da
die türkische Regierung keine Verbesserungen hinsichtlich der Haftbedingungen
Öcalans vorgenommen hat, machte das CPT die genannten Berichte der
Öffentlichkeit zugänglich. Nach wie vor sind die in den Berichten
angemahnten Verbesserungen nicht durchgeführt worden.
Als Anwältinnen und Anwälte von Herrn Öcalan haben wir
auf Grundlage der CPT-Berichte mehrfach Anträge auf eine Auflockerung
der schweren Haftbedingungen und ihre Gestaltung im Rahmen des menschenwürdigen
und annehmbaren an das türkische Justizministerium, die Generaldirektion
für Justizvollzuganstalten und an die zuständige Staatsanwaltschaft
von Bursa gestellt. Weder haben wir eine Antwort darauf bekommen, noch
sind in den Haftbedingungen von Herrn Öcalan Verbesserungen im Sinne
der universellen Mindestrechte von Gefangenen vorgenommen worden.
Obwohl seit dem 3. August 2002 im Rahmen der EU-Anpassungsgesetze die
Todesstrafe in der Türkei abgeschafft und Öcalans Urteil in
eine schwere lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt wurde und in
diesem Rahmen auch seine Lebensbedingungen hätten verbessert werden
müssen, ist die offensichtlich avisierte weitere Verschärfung
der Haftbedingungen juristisch nicht nachvollziehbar. Die Isolation und
die Haftbedingungen, denen Herr Öcalan seit vier Jahren unterworfen
ist, basierten auf dem „Todesstrafensystem”. Diese Bedingungen
halten jedoch unvermindert an.
Statt die Lebensbedingungen zu verbessern und annehmbar zu gestalten,
sind sie in den letzten zwei Monaten verschärft worden. Seit sechs
Wochen (30.Oktober 2002) haben wir unseren Mandanten lediglich eine Stunde
besuchen können. In diesem Zeitraum konnten auch seine Familienangehörigen
ihn nicht besuchen. In den Berichten des CPT wird festgestellt, dass die
Isolation, der Herr Öcalan ausgesetzt ist, sowohl an und für
sich negativ zu bewerten sei, als dass sie auch die Grundlage für
eventuelle negative Erscheinung bezüglich der Maßnahmen bildet,
die seine Lebensbedingungen regulieren. Diese Umstände verletzen
sowohl geltendes türkisches Binnenrecht als auch die Artikel 3, 5,
6, 8 und 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Wir sind aufgrund
dieser willkürlichen und diskriminierenden Haftbedingungen in tiefer
Sorge um das Leben und die Gesundheit von Herrn Öcalan.
Wie das CPT in seinen Berichten feststellt, birgt die Isolationshaft eine
ernsthafte Gefahr für die physische und psychische Gesundheit von
Herrn Öcalan.
Angesichts der Tatsache, dass die von uns ausdrücklich begrüßten
vorangegangenen Besuche seitens des CPT eine positive Auswirkung auf die
Regierung hatten, fordern wir nunmehr, dass das CPT Herrn Öcalan
über den Verlauf seiner Haftzeit regelmäßig besucht und
seine Beobachtungen und Empfehlungen hinsichtlich seiner Haftbedingungen
in Berichten publiziert.“
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