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Pressemitteilung

Berlin, 10. November 2002

Seit 4 Wochen Verteidigerbesuch bei Abdullah Öcalan verwehrt

Anwälte rufen Europarat und Amnesty International zur Intervention bezüglich verschärfter Haftbedingungen auf

Sechs der Anwältinnen und Anwälte Abdullah Öcalans aus der Kanzlei Asrin in Istanbul haben sich am 7. November 2002 mit einem Schreiben an das Komitee zur Folterprävention beim Europarat (CPT) sowie an Amnesty International gewandt, nachdem ihnen nunmehr seit mehr als vier Wochen Besuche bei ihrem Mandanten verwehrt bleiben. Seit langer Zeit schon äußert das Kurdistan Informations-Zentrum (KIZ) e.V. seine Besorgnis über die schweren Haftbedingungen Öcalans und ruft die Öffentlichkeit dazu auf, sich für eine Normalisierung seiner Haftbedingungen einzusetzen. Grundsätzlich fordert das KIZ für die Türkei eine bedingungslose Generalamnestie, die auch Herrn Öcalan einschließt.
Im Folgenden dokumentieren wir das Schreiben der Istanbuler AnwältInnen an das CPT im Wortlaut. Ein gleichlautendes Schreiben ging an Amnesty International mit der Aufforderung, eine „urgent action“ zu starten.
„Seit dem 15. Februar 1999 ist Herr Abdullah Öcalan, der in Verletzung internationaler Abkommen und geläufiger Rechtspraxis in die Türkei verbracht wurde, auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer Isolationsbedingungen unterworfen.

Herr Öcalan ist der einzige Gefangene des Gefängnisses auf der Insel Imrali, die mit einem Umfeld von fünf Seemeilen zu einem militärischen Sperrgebiet erklärt worden ist. Der rechtliche Status der Insel Imrali sowie sie betreffende Verwaltungsmaßnahmen unterstehen dem sogenannten Krisenstab, einer Einheit, die lediglich in Krisensituationen wie Naturkatastrophen, Kriegen u.ä. zum Einsatz kommen dürfte. Sie ist mit außerordentlichen Befugnissen ausgestattet und ihr Aufgabenfeld ist so eingerichtet, dass ihre Entscheidungen und Maßnahmen keinerlei gerichtlichen Kontrolle unterworfen sind. Aufgrund seines juristischen Status und der hier angewendeten Verwaltungsbedingungen handelt es sich um ein sehr umstrittenes Gefängnis.
Herr Öcalan ist nicht lediglich aufgrund erforderlicher Sicherheitsmaßnamen auf Imrali inhaftiert. Die türkische Regierung bevorzugt dieses Gefängnis aus mehreren Gründen. So ist es einfach, die Insel von der gesamten Außenwelt zu isolieren, Besuche der Anwälte und der Familie können mit kaum glaubhaften Begründungen verhindert werden, es lassen sich langfristig bzw. permanent Polizeihaftbedingungen aufrechterhalten und damit verbundene Negativsituationen erwirken.
Offiziell untersteht das Gefängnis Imrali zwar dem Justizministerium der Türkei, tatsächlich handelt es sich aber bei der Insel Imrali um ein militärisches Sperrgebiet, wodurch sämtlicher Zutritt einschließlich dessen des Wachpersonals der Kontrolle von mit Sonderbefugnissen ausgestatteten Militäreinheiten unterliegt. Ebenso werden Verteidigungsrelevante sowie sämtliche weiteren Dokumente, die unsererseits an die zuständige Staatsanwaltschaft geleitet werden, der Kontrolle durch das Militär unterzogen und nur mit militärischer Genehmigung an unseren Mandanten ausgeliefert.
Unter schweren Isolationsbedingungen hat Herr Öcalan nur Verbindungen zur Außenwelt über Besuche von seinen Anwälten und Verwandten ersten Grades für jeweils eine Stunde einmal wöchentlich (ausschließlich Mittwochs).
Das Erreichen der Insel Imrali ist der Familie und den Rechtsanwälten nur durch ein äußerst primitives Wassertransportmittel möglich, das den Namen Imrali-9 trägt und mit dem Schiffspersonal zusammen ca. zehn Personen transportieren kann. Die Fahrt zur Insel mit diesem Transportmittel dauert zweieinhalb bis drei Stunden, und schon bei geringfügig schlechten Wetterverhältnissen ist eine Überfahrt zur Insel mit diesem Transportmittel unmöglich. Allgemein bedeutet die Fahrt über das Meer mit diesem Transportmittel Lebensgefahr. Von Zeit zu Zeit wird behauptet, dass aufgrund eines Maschinenschadens die Fahrt zur Insel nicht möglich sei, ohne dass allerdings ein Alternativtransportmittel bereitgestellt wird, mit dem die Überfahrt problemlos möglich wäre.
Ausschließlich Herrn Öcalans Anwälte und Angehörigen ersten Grades können von ihm Informationen aus erster Hand erhalten. Trotz der laufenden Verfahren vor der 8. Kammer des Strafgerichts Ankara, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem Strafgericht Athen wird versucht, mit dem Vorwand schlechter Wetterverhältnisse die ohnehin zeitlich beschränkten Mandantengespräche vollkommen zu unterbinden. Weil wir keine Möglichkeit zur dringend erforderlichen Beratung mit unserem Mandanten über juristische Entwicklungen haben, werden wir in unserer Aufgabe als Verteidigerseite behindert. Des weiteren kann Herr Öcalan lediglich von seinen Geschwistern besucht werden, obwohl die in der Türkei gültige Regelung auch Besuche von Verwandten zweiten und dritten Grades vorsieht. Seine Geschwister können aufgrund ihres Alters, ihres Gesundheitszustandes und der weiten Entfernung ihres Wohnortes von Imrali (ca. 1200 Kilometer) nur einmal im Monat zu Besuch kommen. Die genannten Schwierigkeiten zuzüglich des Problems, zur Insel zu gelangen, führen zu einer sehr eingeschränkten Möglichkeit für Herrn Öcalan, Besuch zu bekommen.
Herr Öcalan kann die Tagespresse nur durch unsererseits bereitzustellende Zeitungen verfolgen, die an Auswahl (Hürriyet, Milliyet, Sabah) und Anzahl (acht bis zehn pro Woche) begrenzt werden. An Büchern und anderen Veröffentlichungen, die ebenfalls entsprechend der Beschränkungen von uns übergeben werden, kann er höchstens drei Stück bei sich behalten. Im Gegensatz zu den anderen F-Typ-Gefängnissen [die umstrittenen Hochsicherheitszelltrakte] in der Türkei, in denen der Hofgang ganztägig erlaubt ist, ist ihm täglich nur ein Hofgang für zwei Stunden (eine Stunde vormittags und eine nachmittags) erlaubt.
Herrn Öcalan hat nicht die Möglichkeit, an sozialen oder sportlichen Aktivitäten teilzunehmen. Die mehrfach gestellten Anträge bezüglich der Aushändigung eines Fernsehgerätes sind abgelehnt worden; er hat lediglich die Möglichkeit, einen einzigen staatlichen Radiosender (TRT) zu empfangen. Von Tausenden an ihn gerichteten Briefen bekommt er lediglich einige wenige ausgehändigt, die durch eine gründliche Kontrolle gehen.
Wie im unlängst veröffentlichten Bericht des Komitees zur Folterprävention beim Europarat (CPT) dargestellt, ist der Raum für den Hofgang 4,5 m breit, 4 m hoch und oben mit einem Gitter versehen. Obgleich auch in diesem Bericht eine Lockerung seiner Haftbedingungen sowie die zeitweilige Ermöglichung eines Hofganges in einem größeren Raum gefordert wurde, ist keine Verbesserung diesbezüglich zu verzeichnen. Wenn man bedenkt, dass diese Situation seit drei Jahren und acht Monaten andauert, kann man sich vorstellen, welches akute Risiko die negativen Auswirkungen dieses Zustandes auf Herrn Öcalans physisches und psychisches Wohlergehen bergen.
Diese Situation wird auch in den Berichten des CPT festgehalten, die im Anschluss an zwei Besuche auf der Insel Imrali erstellt worden sind. Da die türkische Regierung keine Verbesserungen hinsichtlich der Haftbedingungen Öcalans vorgenommen hat, machte das CPT die genannten Berichte der Öffentlichkeit zugänglich. Nach wie vor sind die in den Berichten angemahnten Verbesserungen nicht durchgeführt worden.
Als Anwältinnen und Anwälte von Herrn Öcalan haben wir auf Grundlage der CPT-Berichte mehrfach Anträge auf eine Auflockerung der schweren Haftbedingungen und ihre Gestaltung im Rahmen des menschenwürdigen und annehmbaren an das türkische Justizministerium, die Generaldirektion für Justizvollzuganstalten und an die zuständige Staatsanwaltschaft von Bursa gestellt. Weder haben wir eine Antwort darauf bekommen, noch sind in den Haftbedingungen von Herrn Öcalan Verbesserungen im Sinne der universellen Mindestrechte von Gefangenen vorgenommen worden.
Obwohl seit dem 3. August 2002 im Rahmen der EU-Anpassungsgesetze die Todesstrafe in der Türkei abgeschafft und Öcalans Urteil in eine schwere lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt wurde und in diesem Rahmen auch seine Lebensbedingungen hätten verbessert werden müssen, ist die offensichtlich avisierte weitere Verschärfung der Haftbedingungen juristisch nicht nachvollziehbar. Die Isolation und die Haftbedingungen, denen Herr Öcalan seit vier Jahren unterworfen ist, basierten auf dem „Todesstrafensystem”. Diese Bedingungen halten jedoch unvermindert an.
Statt die Lebensbedingungen zu verbessern und annehmbar zu gestalten, sind sie in den letzten zwei Monaten verschärft worden. Seit sechs Wochen (30.Oktober 2002) haben wir unseren Mandanten lediglich eine Stunde besuchen können. In diesem Zeitraum konnten auch seine Familienangehörigen ihn nicht besuchen. In den Berichten des CPT wird festgestellt, dass die Isolation, der Herr Öcalan ausgesetzt ist, sowohl an und für sich negativ zu bewerten sei, als dass sie auch die Grundlage für eventuelle negative Erscheinung bezüglich der Maßnahmen bildet, die seine Lebensbedingungen regulieren. Diese Umstände verletzen sowohl geltendes türkisches Binnenrecht als auch die Artikel 3, 5, 6, 8 und 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Wir sind aufgrund dieser willkürlichen und diskriminierenden Haftbedingungen in tiefer Sorge um das Leben und die Gesundheit von Herrn Öcalan.
Wie das CPT in seinen Berichten feststellt, birgt die Isolationshaft eine ernsthafte Gefahr für die physische und psychische Gesundheit von Herrn Öcalan.
Angesichts der Tatsache, dass die von uns ausdrücklich begrüßten vorangegangenen Besuche seitens des CPT eine positive Auswirkung auf die Regierung hatten, fordern wir nunmehr, dass das CPT Herrn Öcalan über den Verlauf seiner Haftzeit regelmäßig besucht und seine Beobachtungen und Empfehlungen hinsichtlich seiner Haftbedingungen in Berichten publiziert.“